Sie wollen in Ruhe reich sein
Nicolas Stemann hebt Ayn Rands Neoliberalen-Bibel «Der Streik» als Musical-Satire in den Schiffbau. Zum Mitswingen.

Ayn Rand gilt als die kälteste Kriegerin gegen einen Staat, der die Starken massregelt, die Schwachen schützt und stützt; als Ikone der amerikanischen Neoliberalen, Super-Libertären und der Alt-Right-Bewegung. Dass sie es auch zur Musical-Heldin am subventionierten Theater einer linken, mitteleuropäischen Stadt bringen würde, hätte sie selbst wohl am wenigsten erwartet.
Aber seit Sonntag stemmen die Schauspieler in der Zürcher Schiffbau-Halle ostentativ Rands Opus magnum «Atlas Shrugged» von 1957 – in der deutschen Fassung: «Der Streik» – in die Höhe. Immer wieder drücken sie sich den rund 1300-seitigen Backstein an die Brust, dessen Lektüre Alan Greenspan ebenso dringend empfahl wie etwa Steve Jobs. Und der Master dieser Ayn-Rand-Festspiele – durchweg stark: Matthias Neukirch – lädt zur traditionellen Aufführung der «John Galt Saga»: in Erinnerung an die «düsteren Zeiten», als man nicht «in Ruhe reich sein konnte».
Krimi, Schnulze, Cabaret
Dann katapultieren uns Schlagzeug, Geige, Klavier und Elektronik (Livemusik: Thomas Kürstner, Hipp Mathis, Burkhard Niggemeier, Sebastian Vogel) zurück in die 50er und hinein in den ersten Song, «Es verschwinden Menschen»: John Galt hat sie geholt. Aber, so die Dauerfrage: «Wer ist John Galt?»
Rands Roman verrührt Krimi, Schnulze und Scifi zum «philosophischen» Schlager – und Nicolas Stemann greift als bissiger Texter, Liedtexter und Regisseur diesen Beat auf. Sein Cabaret swingt und fährt in die Beine, bedient die Lust am Lichterspiel (die anspielungssatte Videospur, samt lodernden Waldbränden, stammt von Claudia Lehmann), während das Hirn die satirische Absicht merkt und ein kleines bisschen verstimmt wird, je doller (und platter) die Satire in den gut drei Stunden dreht.
Stemann lässt seine neun Darstellerinnen und Darsteller flockig singen und tanzen.
Egal, der neue Co-Chef des Schauspielhauses krempelt grundsätzlich kräftig um, verjüngt auch das Publikum. Jetzt fetzt er süffige Sounds ins Haus, schreibt dafür um die 20 Songs (inklusive Brecht-Persiflage) und schiebt die Kritik an der «Kommerz-Kacke» namens Musical gleich selbst auf der Bühne hinterher.
«Wir wollen die Menschen ja nicht mit kommerzieller Massenware überhäufen», sagt Daniel Lommatzschs Philip Rearden hier im Brustton der Überzeugung, während er sich Subvention um Subvention krallt. Der Bruder des Stahl-Tycoons Hank Rearden ist in Stemanns Ayn-Rand-Überschreibung ein Theaterregisseur mit grosser Klappe, winzigem Geldbeutel und noch weniger Anstand. Und Hank – der bei Sebastian Rudolph dem jungen Alan Greenspan frappant ähnlich sieht – kontert trocken: «Warum eigentlich nicht?»
Ja, wieso eigentlich nicht? Stemann lässt seine neun Darstellerinnen und Darsteller jedenfalls flockig singen und tanzen vom Unrecht, das den hart arbeitenden Unternehmern angetan wird (Choreografie: Evelina Stampa). Das hat einen Wochenend-Groove, auch wenn sie sichtlich und hörbar keine Profi-Musical-Performer sind. Da trällern sie von den hohen Steuern, die sie in ihrer Rolle als Leistungsträger der Gesellschaft zahlen müssen. Von den Knebelgesetzen, die sie befolgen müssen, von Monopolverbot und Umweltschutzauflagen, Kündigungsschutz und Mindestlohn. Vom Opfergeheule à la «Les Misérables» haben sie genug.
Untier Staatskrake
Auch Eisenbahnkönigin Dagny Taggart – eine grossartige Alicia Aumüller mit raspelkurzem Pixieschnitt und einer Kühle, die all die Wirtschaftsgenies um sie herum heissmacht – wird geknechtet von der parasitären Umverteilungs-Politik, wie sie Hanks Ex-Frau als schwarze US-Präsidentin (Thelma Buabeng) betreibt. Dagnys eifersüchtiger Bruder (Kay Kysela) arbeitet dem Stimmenfänger-Staatskraken unter dem Deckmantel von Fairness und Gerechtigkeit derweil zu.
Das findet sogar seine eigene Slum-Lady (Sachiko Hara) voll daneben: Falsch verstandene Solidarität mache die Armen nur schlapper, abhängiger – ärmer. Auch dies ist ein Echo von Rands Ideologie. Altruismus sei «inkompatibel mit der Freiheit, dem Kapitalismus und individuellen Rechten» und das «Grundübel» der Zeit, formuliert Rand und ruft nach der «Tugend des Eigennutzes».
Gelaufen kommt ihr Held John Galt, Erfinder eines phänomenalen Motors und einer Welt, aus der die Armen und der Staat ausgeschlossen sind. Dorthin hat er all die streikenden Hochleister mitgenommen. Dollarzeichen hängen gülden um ihre Hälse, die sie nicht voll genug kriegen können; in ihren gierigen Händen klimpern beruhigend Goldmünzen, und drumherum wachsen eigens gezüchtete monströse Pflanzen und Viecher. Felix und Florian Loycke vom Puppentheater Das Helmi sind in Stemanns knackiger Rand-Überschreibung unter grotesken Masken unterwegs: mal als hässliche Arme, mal dumpfbackige Gewerkschafter, mal als andere seltsame Vögel.

Die Story endet mit einer blutigen Schlacht unter der Führung von Galt, dem Befreier des tätigen Menschen und des fruchtbringenden Kapitalismus. Zwischen der monumentalen, fahrbaren Kapitänsbrücke und den projizierten Wolkenkratzern (Bühne: Jelena Nagorni) gehts hoch her, und zum Schluss sitzen wir als die gut unterhaltenen Profiteure dieses Siegs bequem in unseren subventionierten Sesseln und klatschen, was das Zeug hält.
Nicolas Stemann dreht und wendet die Kapitalismusfrage an diesem Abend im Takt von Musik, Jux und Dollerei hin und her, bis uns zeitweise Hören und Sehen vergeht. Auf einmal ist nichts mehr einfach, schon gar nicht die Verteilung von Sympathie. Und über weite Strecken macht das auch noch riesig Spass. Verflucht verruchte Sache!
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch