1:0-Sieg gegen St. GallenGlaube, Liebe, Hoffnung – der FCZ spürt, dass er sich retten kann
Der FC Zürich ist derzeit das Team der späten Erfolgserlebnisse. Gegen St. Gallen gewinnen die Zürcher trotz Unterzahl – und glauben plötzlich wieder an das Gute im Fussball.

Es erinnert sofort an eine legendäre Szene. Der Kniefall, der Kopf, der auf den Boden sinkt. Vielleicht macht Fidan Aliti etwas weniger Punkte in der Stilnote. Aber der Akt der Verzweiflung bleibt derselbe wie bei seinem berühmten Vorbild Samuel Kuffour, der 1999 in sich zusammenbricht, weil seine Bayern den Final der Champions League in letzter Sekunde verlieren.
Es läuft die 94. Minute im Letzigrund, als Aliti den Kuffour gibt. Sekunden zuvor ist Noha Ndombasi im Strafraum des FC Zürich zu Boden gegangen, Schiedsrichter Luca Piccolo gibt Elfmeter. 77 Minuten lang haben sich die Zürcher zuvor in Unterzahl gegen den FC St. Gallen verteidigt. Sie haben solidarisch gekämpft, sie haben sich beste Chancen herausgespielt. Und sie sind mit gnädiger Unterstützung des Gegners in der 88. Minute 1:0 in Führung gegangen.
All das soll nun durch einen Elfmeter in letzter Sekunde zunichtegemacht werden? Aliti ist nicht der einzige Zürcher, der es nicht fassen kann. Manch einer mag sich an den Herbst erinnern, in dem sich alles mit Garantie gegen den FCZ gewendet hat.
Der Anruf des Video-Assistenten
Doch da bekommt Piccolo zum zweiten Mal an diesem Nachmittag die Aufforderung, sich eine Szene auf dem Bildschirm am Spielfeldrand anzuschauen. In der 17. Minute schickt er nach dem Blick auf die TV-Bilder den Zürcher Bledian Krasniqi mit Rot unter die Dusche. Auch in der Nachspielzeit korrigiert er seine erste Entscheidung: Kein Elfmeter – wenige Momente später feiert der FC Zürich seinen ersten Sieg im Jahr 2023.
Die Szene mit dem erst gepfiffenen und dann zurückgenommenen Elfmeter bekommt so ein symbolisches Gewicht. Vor einer Woche hat der FCZ in Luzern in der 89. und in der 93. Minute ein 0:2 in ein 2:2 verwandelt. Jetzt trifft er in der 88. und wird in der 94. vom Videoassistenten gerettet. Das Jahr 2023 lässt sich ganz anders an, als 2022 geendet hat.
Etwas Besseres als solch dramatische Wendungen hätte Bo Henriksen gar nicht passieren können. Der FCZ-Trainer ist mit einem fast biblischen Motto angetreten, um die Zürcher vor dem Abstieg zu bewahren. «Nun aber bleiben Glaube, Liebe, Hoffnung», steht in einem Brief des Apostels Paulus an die Korinther. Genau damit will der Däne das Feld der Super League von hinten aufrollen.
Die Energie aus dem 2:2 in Luzern
Seine Spieler können nach Erlebnissen wie an diesem Sonntag fast nicht anders, als ihrem Trainer zu folgen. Bereits das 2:2 in Luzern muss in der Mannschaft gewaltige Energien freigesetzt haben. So erzählt es der bereits wieder genesene Goalie und Captain Yanick Brecher nach dem 1:0 gegen St. Gallen.
So sieht es in den ersten Minuten auch auf dem Feld aus. Die Zürcher versuchen von Beginn an, die St. Galler mit deren eigenen Mitteln zu schlagen: Sie attackieren tief in der gegnerischen Hälfte, sie sind bei Ballverlusten sofort wieder aufsässig. Manchmal jagen sie fast wie ein Rudel junger Hunde dem Ball nach, sodass den Ostschweizern kaum etwas bleibt als unkontrollierte Befreiungsschläge.
Gut sieht das aus, mutig, attraktiv. Aber auch immer wieder am Rande zum übertriebenen Einsatz. Cheick Conde und Aiyegun Tosin kommen mit ihren Attacken mit offener Sohle noch davon. Als Krasniqi in der 17. Minute Jérémy Guillemenot mit den Stollen oberhalb des Knöchels trifft, ist die Grenze überschritten. Ab jetzt muss der FCZ mit einem Spieler weniger auskommen.
Was in der Theorie ein Nachteil sein müsste, entwickelt sich immer mehr zu einem Vorteil. «Zürich hat Energie aus dieser Roten Karte gezogen», stellt St. Gallens Trainer Peter Zeidler nach dem Spiel fest.
Eindrücklich ist vor allem die zweite Halbzeit, in der sich die Zürcher nicht erdrücken lassen, sondern sich sogar durch Tosin und Adrian Guerrero die besten Chancen der Partie erspielen. Am Ende brauchen sie dann zwar die Mithilfe von Guillemenot, der einen eigentlich ungefährlichen Kopfball von Marc Hornschuh ins eigene Netz drischt.
Aber auch das ist am Ende nur ein weiteres Zeichen, dass das neue Jahr gute Dinge bereithält für den FCZ. Die Zürcher Spieler jedenfalls wirken zum ersten Mal in dieser Saison, als ob sie an sich selber glauben würden. Und nur schon damit ist in dieser Liga sehr viel möglich.
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