Sitzen bleiben im Cafe Fesch
Geschichten aus der abgehängten Arbeiterschicht: Der österreichische Sänger und Liedermacher Voodoo Jürgens geht dahin, wo es wehtut. Wir trafen ihn in Luzern.

Das Cafe Fesch ist eine Kneipe im 15. Bezirk von Wien, eine von der Sorte, in die man höchstens mal auf ein dringendes letztes Bier einbiegt, und dann sitzen da zehn Leute wie schon ewig und drehen sich nach der Tür. Die Geschichten, die David Öllerer hier eines Nachts gehört hat, die hätten ihn lange verfolgt. Das erzählt der 34-Jährige, als er im winzigen Backstage eines steinernen Pavillons am Vierwaldstättersee sitzt und auf seinen Auftritt am Blue Balls Festival in Luzern wartet. Er ist schon umgezogen, trägt sein weit geöffnetes Hemd und seine schwarze, na ja, Stadtstreicherkluft. Er ist schon Voodoo Jürgens.
Er wird das Lied «Drei Gschichtn ausn Cafe Fesch» auch an diesem Abend vortragen. Und also übern Hatschatan singen und wie der zu seinem Holzbein kam, über Willy von der Tiger-Gang und über den Russen, der so rund geworden war, dass er keinen Platz mehr hatte in seiner Wohnung, wo er zusammen mit der Mutter hauste: «Jo, do sitzns zaum, do wiad ena ned fad», wird er über die drei Hallodri singen, «und wauns olle do san, wiad das Tiarl zuadraht.» Und wir sitzen mit drin am Tisch und glauben den Alkoholdampf zu riechen, und die Wahrheit ist benebelt, denn so eine Geschichte erzählt ja vielleicht gar nicht so ein Leben, sondern ist einfach nur eine Geschichte hinter einer abgeschlossenen Tür.
Und doch hat Voodoo Jürgens einen Nerv getroffen mit seinen Bänkelgesängen aus dem alten, zurückgebliebenen Wien der Arbeiterklasse. «Ansa Woar» («Beste Ware») heisst sein Debütalbum, das es letzten Herbst an die Spitze der österreichischen Hitparade geschafft hat. Seit Monaten tourt Jürgens durch das deutschsprachige Europa; als Exotikum, das aus einem Milieu berichtet, das abgehängt wird und das, so Jürgens, «langsam verschwindet». Es ist ein Restproletariat, das sich schnell ansteckt mit dem Frust und der grassierenden politischen Dumpfheit.
Die Selfies der Hooligans
Voodoo Jürgens kann über dieses Milieu singen, weil es ihn hervorgebracht hat. Seine Eltern gehörten dazu und auch die Leute, die daheim in Tulln, ausserhalb von Wien, zu Besuch waren. Das gleichnamige Lied erzählt davon, wie David Öllerer aufgewachsen ist: Die Eltern früh getrennt, die Mitschüler bösartig, der Vater bald im Gefängnis und also prominent in der Zeitung. Der Sohn brach die Konditorlehre ab, arbeitete auf dem Friedhof und wurde Musiker. Heute leben seine Lieder davon, dass Voodoo Jürgens in der Türangel steht zu diesem Milieu. Er hat sie zum Ausprobieren auch in den Beisln vorgespielt, die er besingt, und danach wollten Hooligans mit ihm Selfies machen.
Aber diese Orte, sie waren und sind nicht sein angestammtes Habitat. Jahrelang hat Öllerer in einer Indierock- Band auf Englisch gesungen und sich daneben am klassischen amerikanischen Rock 'n' Roll von Velvet Underground, Bob Dylan oder Tom Waits geschult. Also klingen seine Lieder heute mindestens so sehr nach amerikanischem Anti-Folk wie nach dem rustikalen Schmäh der Wiener Arbeiterklasse und ihrer Schrammelmusiken. «Ich geh gern in diese Beisln. Und fühl mich dort auch wohl, aber manchmal auch nicht», sagt Jürgens: «Es ist da nicht immer schön. Es gibt viel Trauriges, und es kann immer was Blödes passieren.» Doch worin besteht die Schönheit dieser Orte? «Na ja, die Schönheit. Meiner Meinung nach geht es nur drum zu zeigen, dass es das gibt; dass da Dinge sind, die so sind.»
Allerdings sollte man sich nicht darauf verlassen, dass die Geschichten alle akkurat stimmen, die auf «Ansa Woar» erzählt werden. Sie kämen zwar alle aus der Realität, sagt Jürgens. Aber gleichzeitig ist klar, dass auch dieser Sänger flunkert, wie das ja schon seine Figuren tun. Der Dialekt, den er singt, sorgt dabei zwar für den authentischen Sound – doch der zuverlässigste Dialekt ist das nicht: Das «Rotwelsch», das Jürgens singt, ist der alte, aus dem Böhmischen und Slawischen gespeiste Gaunerslang der Zuhälter, Giftler, Dirnen und Schnorrer, gespickt mit Ausdrücken, die heute selbst Wienern unverständlich sind.
Auch darum besucht Voodoo Jürgens ab und zu die abgestandenen Kneipen seiner Stadt; nämlich, um immer mal wieder diesen Sound aufzufrischen. In seinen Liedern erfindet er ihn weiter, etwa in «Nochborskinda», wo er einen Reigen von Massnahmen aufzählt, geeignet, lästige Nachbarskinder ruhigzustellen: «Beim Voda hätts Watschn gregnt / A gscheide Nussn / A Ohrwaschlreiberl / A Knackflack / A Stereowatschn / A Packl Hausdetschn / Dass amoi urndlich plärn.» Das macht Spass – und zeigt eindrücklich die Virtuosität dieser stets locker sitzenden Gewalt.
Nein, es herrscht hier zwischen morbider Totenfeier («Heite grob ma Tode aus») und geradezu allgemeingültigem Lebensweh («Weh au weh») keine Sozialromantik. Voodoo Jürgens textet hart auf den Schmerz, zoomt auf schmutzige Details und lässt den Geruch von der Zuckerbude, der ihn einst auf dem Schulweg begleitete, aufgehen im süsslichen Duften der toten Tiere in der Schlachterei. Das ist auch der Gestank der Melancholie, daher rührend, dass hier etwas verschwindet, das nie wirklich gut war; einer Melancholie aber, die dann doch prächtig zusammengeht mit der Rummelplatzmusik der Band.
Eine schieche Kirmesorgel eröffnet «Hansi da Boxer», ein Lied, das klingt wie nachts um halb zwei dahergelabert; das aber in genauestens gesetzter Rollenprosa von der Bewunderung erzählt, die ältere Wiener für Hansi Orsolics empfinden, einen Ex-Europameister im Boxen, der sich leicht übers Ohr hauen liess, der soff und prügelte, der sich verschuldete und schliesslich ins Gefängnis ging. 1986 kam Orsolics mit einem Lied zurück, «Mein potschertes Leb'n», in dem er sein Leben als gutmütiger Depp besang, und verdrängte prompt Falco (mit «Jeanny») von der Spitze der Hitparade. Trauriger als das Filmchen, das Orsolics mit seinem Lied in einem Konzert zeigt, wirds auf Youtube nicht: «I hob valuan / Wie nur ana verliern kann, der a Herz statt an Hirn hat», singt der unbeholfene Sänger. In den Kommentaren schreibt ein User: «Des is mei Leb'n.» Und ein anderer: «Jetz samma scho 3.»
«Für die Leute, die im Café Fesch sitzen, ist Hansi eine Identifikationsfigur», bestätigt Voodoo Jürgens: «Sie denken, sie seien selber auch so gutmütige Verlierer.» Er lächelt. Später wird er auf der Bühne mit gezupfter Zartheit über die Kinder von Tulln singen und mit staunender Theatralik über die Männer im Café Fesch. Er wird mit den Armen rudern und so die Band dirigieren, diese Trauerkapelle, diese Swingcombo, diese Wienerlied-Travestie. Und dann wird er im greinenden Tonfall der Besoffenen über diesen Hansi singen und darüber, wie wunderbar das immer war, wenn seine Faust das Gesicht eines Gegners aufkrachen liess wie eine Kaisersemmel.
Voodoo Jürgens: Ansa Woar (Lotterlabel). Konzerte: 16. 8., Kirchplatz Winterthur (im Rahmen der Musikfestwochen, 9.–20. 8., www.musikfestwochen.ch); 25. 10., Bogen F, Zürich.
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