So sah das Pfahlbaudorf auf dem Sechseläutenplatz aus
Die archäologischen Ausgrabungen beim Parkhaus Opéra haben Erstaunliches zutage gefördert. Und Rätselhaftes.
Die Stadt Zürich hatte schon vor 5000 Jahren eine Agglo, es gab Abgrenzungsstreitigkeiten unter den Quartieren, die in einem Mauerbau gipfelten, und es kam zur Übernutzung des Bodens, was zur Zersiedlung führte.
Die Auswertung der Funde im Bereich der Pfahlbaudörfer auf dem Sechseläutenplatz – der Ausgrabung Parkhaus Opéra – ist abgeschlossen und wurde gestern von Baudirektor Markus Kägi (SVP) und André Odermatt (SP), dem Vorsteher des städtischen Hochbaudepartements, den Medien vorgestellt. Sie geben erstaunlich detaillierte Einblicke ins Leben der jungsteinzeitlichen Zürcher.
Leben in Reihenhäuschen
Rund 20'000 Hölzer wurden zutage gefördert, und die auf den Jahrringen beruhende denrochronologische Auswertung, mit der man aufzeigen kann, wann ein Baum gefällt wurde, ergibt: Zwischen 3234 und 2727 v. Chr. wurden auf dem Raum nacheinander acht Siedlungen errichtet.
«In Zürich gab es offenbar schon vor 5000 Jahren so etwas wie eine Raumordnung», stellt André Odermatt fest. Tatsächlich waren die Häuser in strenger Ordnung ausgerichtete Reihenhäuschen mit zentralen Gassen. Das Dorf heisst bei den Archäologen Opéra 3. Schätzungsweise 130 bis 300 Menschen lebten dort gleichzeitig.
Der Dorfstreit
Und offenbar gab es auch schon Dorfstreit. Das Dorf war nämlich in drei Quartiere unterteilt, die mit einem Palisadenzaun aus Pappelholz voneinander abgegrenzt waren. Die Funde zeigen, dass sich auch die Gepflogenheiten dieser Quartierbewohner unterschieden.
Überreste einer 5000 Jahre alten Siedlung sind beim Parkhaus Opéra entdeckt worden. Video: TA/SDA
Während die Bewohner von Opéra 3 Süd und Nord mit noblen Lochäxten hantierten, benutzte man in Opéra 3 Mitte praktischeres, aber weniger prestigeträchtiges Werkzeug. Auch zeigen Keramikreste, dass Süd und Nord kulturell eher konservativ eingestellt waren, die Mitte mit der Zeit ging.
Tür und Kinderkappe
Bereits während der Grabungen konnten die Archäologen Sensationelles verkünden. Der Fund der zweitältesten Tür der Welt machte in der Weltpresse Schlagzeilen – selbst im Himalajagebiet. Die älteste Tür wurde übrigens auch im Kanton Zürich gefunden, im Robenhauser Ried in Wetzikon.
Neben den für Pfahlbausiedlungen üblichen Funden von Pfählen und Knochen wurde auch Überraschendes ausgegraben: Zwei gut erhaltene Kinderkappen wurden zutage gefördert, die gegen Sonne und Regen schützten. Dann gibt es einen repräsentativen Pfeilbogen, der zu Schmuckzwecken mit einer schimmernden Rinde eines anderen Holzes beklebt war. Die Sensation liegt hierbei im Wort «beklebt»! Es handelt sich dabei um den ältesten Nachweis für die Verwendung von Hautleim in Europa. Hergestellt wurde er aus Rinder- oder Schafshaut.
Waren es Kannibalen?
Auch der Speisezettel der Jungstein-Zürcher lässt sich aufgrund von Pollen, Samen, Blättern, Knochen und Schuppen rekonstruieren. Sie ernährten sich von Getreide, vor allem Weizen, Haselnüssen und Erbsen, von Wildäpfeln, Brombeeren und Schlehe, waren aber alles andere als Vegetarier.
Sie jagten fast alles, was sich bewegte: vom Auerochsen bis zum Taucherli oder Eichhörnchen. Sie assen Rind- und Schweinefleisch. Und Hunde. Und vielleicht Menschen. Denn wie Niels Bleicher, einer der Projektleiter, erzählt, hat man auch Menschenknochen mit Schnitt- und Schlagspuren gefunden, die belegen, dass diese zerlegt wurden. «Wozu?», das können die Wissenschaftler bis jetzt noch nicht beantworten.
Stadtflucht nach Meilen
Umweltarchäologen haben zudem aufzeigen können, dass die Bewohner von Opéra 3 nicht sehr sorgsam mit ihrer Umwelt umgingen. So kam es zur Übernutzung, was zu einer eigentlichen und offenbar hektischen Stadtflucht nach Meilen führte. Die Zersiedelung der Zürcher Landschaft begann also vor 5000 Jahren.
Und auch eine Agglo gab es damals schon: So war die schon länger bekannte Siedlung im Seefeld nicht eine Nachfolgesiedlung von Opéra 3, wie ursprünglich vermutet, sondern die Vorstadt. Die Siedlungen waren zeitgleich bewohnt.
Und sie waren durch einen Seeuferweg verbunden. Solche Erkenntnisse waren es, die André Odermatt zur Aussage veranlassten: «Damals wie heute waren es ähnliche Themen, welche die Menschen beschäftigten.»
Beste Voraussetzungen
Wie kommt es, dass die Ausgrabung Opéra 3 derart viele neue und verblüffende Erkenntnisse erbrachte? Waren die ersten Zürcher innovativer als ihre Zeitgenossen? Oder ist die Grabung gründlicher erfolgt als üblich, obwohl dafür nur etwa neun Monate zur Verfügung standen und sie folglich unter grossem Zeitdruck in Tag- und Nachtarbeit erfolgte?
Niels Bleicher sagt: «Für einmal waren vier für erfolgreiche Grabungen massgebende Bedingungen erfüllt.» Diese sind: eine relativ grosse zusammenhängende Fläche, guter Erhaltungszustand der Funde, positiver Support durch die Politik, interdisziplinäre Zusammenarbeit.
Und die Auswertung erfolgte schneller und kostengünstiger als gedacht, wie Regierungsrat Kägi erfreut ausführt: Die Kosten belaufen sich auf knapp 5 Millionen Franken – budgetiert waren 5,8 Millionen Franken.
Reeller und virtueller Rundgang
Die wichtigsten Resultate werden ab morgen und bis zum 26. März auf dem Sechseläutenplatz präsentiert: Auf achtzehn Plakaten, anhand von ausgewählten Fundobjekten, und im archäologischen Fenster im Untergeschoss des Parkhauses gibt es einen neuen Film zu sehen.
Zudem kann man zu gewissen Zeiten virtuell durch das Pfahlbauerdorf spazieren. An einem Informationsstand kann man dafür spezielle Brillen ausleihen. Mit diesen auf der Nase kann es einem durchaus passieren, dass man sich in aller Öffentlichkeit ziemlich eigentümlich benimmt, weil man über einen Wassergraben zwischen zwei Reihenhäuschen hüpft oder erstaunt eine hölzerne Hauswand hinaufschaut, die vor 5000 Jahren hier stand.
Infostand und Pfahlbauten virtuell auf dem Sechseläutenplatz, 9. bis 26. März, werktags 11 bis 14 und 16 bis 19 Uhr, am Wochenende 12 bis 17 Uhr. Zudem gibt es eine Kunstinstallation des Künstlers Lucas Herzig und Vorträge im Theater Stadelhofen (Mi 15. März um 20 Uhr, So 19. März um 15 Uhr, Sa 25. März um 17 Uhr). www.stadt-zuerich.ch/agenda
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