So soll eine neue Etikette Food-Waste verhindern
Eine britische Erfindung zeigt, ob ein Lebensmittel noch geniessbar ist – und reduziert so die Verschwendung.
Jeder von uns wirft pro Tag rund 320 Gramm Lebensmittel in den Abfall. Das entspricht fast einer ganzen Mahlzeit, wie der Verein Foodwaste.ch festhält. Einen beträchtlichen Teil davon – nach Schätzungen sind es 12 Prozent – machen Produkte aus, deren Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten ist. Denn wer sich nicht sicher ist, ob er ein Joghurt noch essen kann, entsorgt es in der Regel – auch wenn es vielleicht noch geniessbar wäre.
Diese Unschärfe bei der Haltbarkeit kostet Geld und schadet der Umwelt. Die britische Industriedesignerin Solveiga Pakstaite scheint nun eine Lösung für das Problem gefunden zu haben. Sie hat die sogenannte Bump Mark entwickelt, was auf Deutsch ungefähr «bucklige Markierung» bedeutet. Inzwischen arbeitet sie mit dem Londoner Start-up Mimica zusammen, das der Erfindung den neuen Namen Mimica Touch verliehen hat.
Wie es funktioniert
Bei Mimica Touch handelt es sich um eine spezielle Etikette, die auf die Produktverpackung geklebt wird. Solange sich die Oberfläche des Labels flach anfühlt, ist das Lebensmittel frisch. Wird sie bucklig, sollte man das Produkt entsorgen. Die 25-jährige Solveiga Pakstaite hatte die Markierung ursprünglich für Blinde konzipiert, die keine Angaben zur Haltbarkeit lesen können.
Ihre Etikette besteht aus drei Lagen: Bei der untersten Schicht handelt es sich um eine kleine Plastikschale mit Buckeln. In dieser befindet sich die zweite Lage, Gelatine. Darauf kommt die dritte Schicht, der Deckel. Die Gelatine ist in ihrem Anfangszustand fest, deshalb spürt man die Unebenheiten nicht, wenn man mit dem Finger über die Etikette fährt. Wenn die Gelatine zerfällt, wird sie aber flüssig – und man fühlt die unterste, bucklige Schicht.
Detailhandel ohne Interesse
«Gelatine besteht aus Protein, deshalb zerfällt sie gleich schnell wie proteinbasierte Produkte wie Fleisch, Milch und Käse», hält Solveiga Pakstaite fest. Mimica will den Proteingehalt der Gelatine exakt an das jeweilige Lebensmittel anpassen, damit sie genau gleich auf Temperaturschwankungen und langes Lagern reagiert wie der Inhalt der Verpackung. Damit präsentiert das Start-up quasi das Wundermittel, das man bei den unterschiedlichsten Esswaren anwenden kann. Das Prinzip ist für mehrere Patente angemeldet. Auch Preise hat die Erfindung schon eingeheimst, darunter einen renommierten Dyson-Ingenieurspreis. Nächstes Jahr sollen die ersten bioaktiven Etiketten auf den Markt kommen, heisst es auf Anfrage bei Mimica.
Das Label könnte unseren Umgang mit Lebensmitteln revolutionieren und Food-Waste deutlich reduzieren. Doch die beiden grossen Schweizer Detailhändler, Coop und Migros, winken ab. Coop sagt: «Wir haben diverse sogenannte Zeit-Temperatur-Indikatoren getestet. Bisher hat keiner davon wesentliche Vorteile gegenüber den aktuellen Systemen aufgewiesen.» Und der orange Riese meint: «Es gibt in dieser Richtung immer wieder neue Ideen, die wir selbstverständlich verfolgen.» Die neue Methode von Mimica sei für die Migros aber kein Thema.
Bisher zu wenig zuverlässig
Man reibt sich die Augen. Doch der Technologie- und Verpackungsexperte Selçuk Yildirim von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Wädenswil erklärt die Vorbehalte: «Ein Problem ist die Haptik. Ältere Menschen spüren die kleinen Buckel vielleicht gar nicht mehr so gut.»
An der Idee, Produkte mit intelligenten Verpackungen zu versehen, werde schon länger getüftelt, sagt der Experte. «Bisher scheiterten die Messmethoden jedoch daran, dass sie nicht zu 100 Prozent zuverlässig sind.» So könne ein Zeit-Temperatur-Indikator wie Mimica Touch nur anzeigen, wenn ein Produkt wegen Temperaturschwankungen oder langer Lagerung verdorben ist. Andere Reaktionen – zum Beispiel aufgrund hoher Feuchtigkeit – registriere die Etikette nicht.
Hinzu kommen die Kosten. Jemand müsste den Aufpreis für die bioaktiven Etiketten zahlen. «Die Konsumenten wären wohl kaum bereit dazu. Schliesslich erachten sie es als selbstverständlich, dass die Produkte in der Auslage frisch sind und der Hersteller dafür gesorgt hat, dass die Kühlkette eingehalten wurde», erklärt Selçuk Yildirim.
Noch fünf bis zehn Jahre
Die Frage ist auch, wer schuld an einer falschen Lagerung wäre, die das Verderben der Ware beschleunigt. «Stellen Sie sich vor, jemand kauft ein Poulet. Die Etikette zeigt an, dass alles okay ist. Dann fährt er mit dem Auto zu einem Freund und lässt das Fleisch im Wagen an der Sonne liegen. Daheim signalisiert das Etikett, dass das Poulet nicht mehr geniessbar ist.» In diesem Fall müsste der Laden das Fleisch wahrscheinlich zurücknehmen, wenn der Kunde behauptet, er habe es schon verdorben gekauft.
Dennoch glaubt Selçuk Yildirim an die Zukunft solcher Methoden. «Sie müssen nur noch etwas reifen», meint er. Es sei auch möglich, dass wir künftig dank Mikrochips an den Verpackungen übers Handy kontrollieren können, ob ein Nahrungsmittel weiterhin bekömmlich ist. «Aber das dauert sicher noch fünf bis zehn Jahre.»In der Serie «Revolutionäre Ideen»stellen wir in loser Folge technologische Visionen vor.
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