So stark haben die Nachtflüge ab Kloten zugenommen
Trotz Sperre ab 23 Uhr gibt es am Flughafen Zürich nachts mehr Flugbewegungen als je zuvor. Woran das liegt.

Am Flughafen Zürich gilt seit 2010 eine verlängerte Nachtsperre, von 23 bis 6 Uhr, mit einem Verspätungsabbau bis 23.30 Uhr. In der Zeit von 22 bis 23.30 Uhr wird aber mehr geflogen als je zuvor. Dies ist mit ein Grund, weshalb der Zürcher Fluglärmindex (ZFI) immer mehr Personen ausweist, die aufgrund einer komplexen Formel als lärmbelästigt gelten.
64'000 statt dem Richtwert von 47'000 waren es 2016. Einerseits liegt das am Bevölkerungswachstum rund um den Flughafen. Dies ist im Richtplan des Kantons nicht nur vorgesehen, sondern explizit gewünscht – Stichwort Verdichtung. Gebaut und gewohnt wird vermehrt, wo der Wirtschaftsmotor Flughafen brummt. Aufgrund des Bevölkerungswachstum ist die Zahl der lärmgestörten Personen im ZFI um 17 Prozent gewachsen.
Die grössere Ursache ist aber der Flugbetrieb, der den ZFI um 21 Prozent angetrieben hat. Das leuchtet nicht sofort ein, denn gegenüber dem Richtwert aus dem Jahr 2000, als es eine Rekordzahl von 325'000 Flügen gab, herrscht heute weniger Betrieb rund um Kloten. Seit 15 Jahren schwankt die Zahl der Flugbewegungen zwischen 260'000 und 280'000 Flugbewegungen pro Jahr, zuletzt waren es knapp 270'000. Der Gesamtanzahl der Flüge ist der überbordende ZFI demnach nicht anzulasten.
In den Nachtstunden hat sich in den letzten 15 Jahren allerdings einiges getan. Während die Nachtflugsperre restriktiver wurde, gab es paradoxerweise mehr Flüge in den Stunden nach 22 Uhr.
Haupttreiber für die vermehrten Flüge ist die erste Nachtstunde, von 22 bis23 Uhr. Vor 15 Jahren gab es zu dieser Zeit noch rund 5000 Flüge pro Jahr. Mittlerweile sind es knapp 10'000. Oder anders ausgedrückt: Im Jahr 2002 fanden in dieser Stunde 14 Flüge statt, dieses Jahr waren es durchschnittlich 28. Und dies obwohl es aktuell weniger Flüge gibt als 2002.
Damit sind die Pisten aber noch nicht voll. Der Flughafen hat noch Luft nach oben, wie auch der Schutzverband der Bevölkerung um den Flughafen Zürich letzte Woche festgestellt hat. Möglich wären 36 Flüge pro Stunde, die 28 sind also erst eine Annäherung an den Maximalwert.
In diesem Sommer gab es in der ersten Nachtstunde erstmals eine leichte Abnahme der Flüge, von 5,5 auf 5,4 Flüge. Ob diese Tendenz anhält, ist noch nicht absehbar.
Weniger Flüge nach 23.30 Uhr
Am Flughafen Zürich dürfen Abflüge bis 22.45 Uhr und Landungen bis 22.55 Uhr geplant werden. Ab 23 Uhr folgt eine halbe Stunde für den Verspätungsabbau, danach dürfen Maschinen nur noch mit Ausnahmebewilligungen abheben oder landen. Dieses Regime gilt seit Mitte 2010 und hat seither in der Zeit nach 23.30 Uhr tatsächlich eine Besserung gebracht.
Gab es vor der verlängerten Sperre noch jährlich 230 bis 330 Flugbewegungen in der halben Stunde vor Mitternacht, ist diese Zahl ab 2011 auf 90 bis 150 gesunken. Flüge nach Mitternacht sind von einst knapp 100 auf 20 bis 40 pro Jahr geschrumpft, wobei in den meisten Fällen nur Ambulanzjets der Rega dringend unterwegs sind oder andere Notfälle.
Die Kurve der Flüge zwischen 23.30 Uhr und Mitternacht zeigt zwar gerade im aktuellen Jahr steil nach oben. Im bisher vom Flughafen veröffentlichten statistischen Zeitraum von Januar bis September gab es bereits 153 Flüge in dieser halben Stunde. Das ist bereits so viel wie im ganzen Jahr 2012 und einer steten Steigerung seit 2013, liegt aber noch unter den Werten der Jahre 2005 bis 2010, als die Nachtflugsperre erst ab Mitternacht galt. Die Totalzahl entspricht allerdings gerade mal einem Abflug oder einer Landung pro zwei Tage.
Rekord an Verspätungen
Die halbe Stunde zuvor, von 23.00 bis 23.30 Uhr, ist demgegenüber wesentlich stärker belastet. Und in dieser Zeit ist der Effekt der verlängerten Nachtflugsperre auch kaum zu beobachten. Im Gegenteil: Von Januar bis September gab es dieses Jahr bereits 2035 Flüge in diesen für den Verspätungsabbau vorgesehenen 30 Minuten. Das entspricht knapp sieben pro Tag und ist zum jetzigen Zeitpunkt ein neuer Rekordwert.
In den betriebsärmeren Monaten November und Dezember dürfte dieser Durchschnittswert zwar noch leicht sinken, aber selbst mit den konservativsten Prognosen dürften im letzten Quartal nochmals 460 Flüge zu den bereits fixen 2035 dazukommen. Das Jahr 2017 würde das bisherige Rekordjahr 2007 (2478 Flüge) demzufolge toppen. Das ist bemerkenswert, weil 2007 noch bis Mitternacht regulär geflogen werden konnte. Heute gibt es nach 23 Uhr also mehr Verspätungen, als früher überhaupt geplante Flüge stattfanden.
Noch erstaunlicher wird der heutige Nachtflugbetrieb, wenn man in die Statistik vor 2000 zurückschaut. Mit ihrer Hunter-Strategie hatte die Swissair den Flughafen Zürich Ende der 90er-Jahre zu einem grossen Drehkreuz aufgebaut. 1999 fanden beispielsweise 306'000 Flüge statt, deutlich mehr als heute. Die Nachtflugsperre dauerte damals von Mitternacht bis 5 Uhr morgens. Danach folgten bereits die ersten Landungen. Zwischen 22 und 6 Uhr durften also in drei Stunden Maschinen starten und landen. Es gab 1999 trotzdem gerade mal 9500 Flüge in dieser Zeit. Diese Zahl wird seit 2010 konstant übertroffen, letztes Jahr waren es über 12'000 Flüge zwischen 22 und6 Uhr. Und die Kurve zeigt konstant nach oben.
Sicherheit schränkt Kapazität ein
Die Zürcher Regierung weiss um dieses Problem. Gross etwas dagegen tun kann sie nicht. Schon vor drei Jahren setzte der Kanton dem Flughafen ein klares Ziel vor die Nase: maximal 1000 Flüge nach 23 Uhr. Damals waren es 2000. Dieses Jahr liegt die Prognose nach den ersten neun Monaten bei 2500. Die Appelle des Kantons verhallten ungehört.
Der Flughafen rechtfertigt sich mit dem täglichen Betrieb: Aufgrund knapper Kapazitäten gibt es tagsüber immer wieder Engpässe. Weht der Wind nicht wie gewohnt, muss auf anderen Pisten gelandet werden, die Flugzeuge stauen sich, fliegen zu spät ab und kommen demzufolge auch verspätet zurück nach Zürich. Hier warten die Langstreckenmaschinen dann auf Anschlusspassagiere aus diesen verspäteten Europaflügen und heben statt um 22.45 Uhr erst nach 23 Uhr ab.
Die Engpässe tagsüber entstehen wiederum nicht, weil zu viele Flüge geplant werden. Zu Swissair-Zeiten waren es mehr, ohne dass es Engpässe gab. Seither wurden aber die Sicherheitsbestimmungen nach mehreren gefährlichen Vorfällen entscheidend verschärft. Und dies hat dazu geführt, dass der Flughafen weniger Flüge pro Stunde abwickeln kann als früher.
Deutschland stellt sich quer
Lösungen, um gerade in der überlasteten Mittagsspitze mehr Maschinen abwickeln zu können, gäbe es zwar – Stichwort Südstart geradeaus oder das neue Betriebsreglement BR 2014. Dieses sieht eine Entflechtung der An- und Abflugrouten im Osten des Flughafens vor. Es kann bis auf weiteres aber nicht vollständig realisiert werden, weil Deutschland nicht mitspielt.
Es sei ausserordentlich unglücklich und fast schon grenzwertig, dass Deutschland seit Jahren die Unterschrift verweigere, sagte die Zürcher Regierungsrätin Carmen Walker Späh letzten Freitag. «Das trübt unser Verhältnis.» Gibt das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) seine Zustimmung, könnten aber immerhin jene Teile in Kraft gesetzt werden, welche Deutschland nicht betreffen. Dazu gehört zum Beispiel, dass Flugzeuge nachts auf der nächsten verfügbaren Piste starten dürfen und nicht einen weiten Weg zur Standardpiste fahren müssen. «Das würde der Zürcher Bevölkerung schon einiges helfen.» Diese Zustimmung steht ebenfalls noch aus.
Swiss wehrt sich gegen Einschränkungen
Der Schutzverband bezweifelt, dass diese Massnahmen allein helfen werden. Er fordert seit längerem deutlich höhere Lärmgebühren ab 22 Uhr. Diese sollen lenkungswirkend sein, die Fluggesellschaften also so viel kosten, dass sie ihre Flüge lieber vor 22 Uhr planen. Zudem will der Schutzverband, dass Abflugzeiten nur bis 22.30 Uhr vergeben werden. Dagegen wehrt sich die Swiss, welche darauf angewiesen ist, dass die letzten Langstreckenflüge eben erst kurz vor 23 Uhr rausgehen, um genügend Anschlusspassagiere aus Europa nach Zürich zu schaffen. Müsste man früher starten, würde man künftig auf diese Verbindungen verzichten, drohte Swiss-CEO Thomas Klühr erst gestern im Interview mit der «NZZ am Sonntag».
Die Wege zu einer Änderung sind in der Schweiz politisch steinig und vor allem sehr lang – ein Umstand den der aus Deutschland stammende Klühr im Interview kaum fassen konnte. Er prophezeite, dass Wachstum immer stattfinden werde; wenn es in Zürich aufgrund der Beschränkungen nicht mehr gehe, werde die Wirtschaft an andere Orte ausweichen.
Fluglärmindex soll angepasst werden
Regierungsrätin Carmen Walker Späh erwartet trotzdem, dass nun Massnahmen getroffen würden, um die Zahl der verspäteten Flüge zu senken. Für das Jahr 2017 ist dieser Zug aber bereits abgefahren, weshalb der Kanton auch in einem Jahr keine bessere Bilanz für den Fluglärmindex wird vorweisen können, das steht bereits fest. Deshalb will Walker Späh den ZFI nun anpassen. Wie, ist noch nicht bekannt.
Den Grenzwert zu erhöhen wäre der einfachste Weg, den will Walker Späh aber nicht gehen. Auch weil die Bevölkerung 2007 diesen Richtwert in einer Abstimmung befürwortet hat. Die Volkswirtschaftsdirektorin will für die Berechnung der lärmgeplagten Personen vielmehr neue Grundlagen schaffen, insbesondere auch, was die teilweise erneuerte und leisere Flotte der Swiss betrifft. Der ZFI habe Geburtsfehler, die nun korrigiert werden müssten, sagte sie am Freitag.
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Video – Ausbau am Flughafen Kloten
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