Agenturen verlangen Geld zurückSommaruga stoppt geplante Öko-Kampagne
Das Bundesamt für Umwelt wollte die Bevölkerung für den Artenschutz sensibilisieren – mit einer millionenschweren Kampagne. Nun hat Bundesrätin Sommaruga das Vorhaben abgeblasen. Der Fall hat ein Nachspiel.

Die Hälfte der Lebensräume: bedroht. Ein Drittel der Tier- und Pflanzenarten: bedroht. Der Zustand der Biodiversität: unbefriedigend. Diese Befunde des Bundes fliessen in eine Sensibilisierungskampagne und erreichen so eine breite Öffentlichkeit. Dauer: mindestens vier Jahre. Kostenpunkt: 8,7 Millionen Franken.
So hatte es das Bundesamt für Umwelt (Bafu) geplant. Nun aber wurde die Kampagne, laut Branchenkennern eine der aufwendigsten des Bundes in den letzten Jahren, abrupt gestoppt. Der Entscheid wurde am letzten Mittwoch auf der öffentlich zugänglichen Beschaffungsplattform des Bundes (Simap) publiziert. Die Vorbereitungen waren schon weit fortgeschritten, die Öffentlichkeitsarbeit hätte gemäss Informationen dieser Zeitung im Dezember 2020 starten sollen.
«Im Raum wäre der Vorwurf gestanden, der Bund versuche, die politische Diskussion und die Meinungsbildung der Bevölkerung zu beeinflussen.»
Was ist der Grund für den Abbruch? Die Frage geht ans Bafu im Departement von Simonetta Sommaruga (SP). Die Antwort kommt dann aber vom Bundesamt für Bauten und Logistik (BBL), dem die Federführung bei WTO-Ausschreibungen «inklusive Kommunikation» obliegt. Gemäss Darstellung des BBL hat die Bafu-Führung um Direktorin Katrin Schneeberger den Beschluss «in Absprache» mit Umweltministerin Sommaruga im Dezember gefasst.
Als Auslöser nennt das BBL die Biodiversitätsinitiative, die unter anderem mehr Geld und Fläche für die Biodiversität in der Schweiz fordert. Natur- und Umweltschutzverbände haben das Volksbegehren im September 2020 eingereicht, sie sehen die Biodiversität «am Sterben». «Im Raum wäre der Vorwurf gestanden, der Bund versuche, die politische Diskussion und die Meinungsbildung der Bevölkerung zu beeinflussen», sagt BBL-Sprecher Jonas Spirig.
«Kalte Füsse bekommen»
So weit die offizielle Begründung. Doch es bleiben Fragen. Warum hat das Bafu so lange an der Kampagne festgehalten? Zwar hat der Bundesrat erst im letzten Dezember bekannt gegeben, dass er die Initiative ablehnt (und einen indirekten Gegenvorschlag ausarbeiten will). Die politisch heikle Gemengelage war jedoch schon länger absehbar. Die Initianten hatten ihr Begehren im Frühling 2019 lanciert. Kaum jemand dürfte daran gezweifelt haben, dass die potente Umweltlobby die nötigen 100’000 gültigen Unterschriften zusammenkriegen würde. Gleichwohl trieb das Bafu die Pläne für die Kampagne voran – auf höchster Amtsstufe. Die Direktion selber beschloss, die Aufträge für je eine Kommunikationsagentur und Mediaagentur auszuschreiben. Die Suche startete offiziell im Februar 2020.
Dass das Amt so lange auf der Kampagne beharrt hat, erklärt ein Insider mit dem «dünnen Leistungsausweis», welchen das Amt im Bereich des Artenschutzes habe, das Bafu stehe unter grossem Druck. In der Tat schneidet die Schweiz beim Schutz der Biodiversität im internationalen Vergleich dürftig ab. Am Ende aber, so sagt eine Quelle, habe das Bafu «kalte Füsse bekommen», denn: Eine mehrjährige Kampagne zum Zustand der Biodiversität hätte der Initiative durchaus Auftrieb geben können. Im Bafu, so die Quelle weiter, habe man befürchtet, dass ein verärgertes Parlament dem Umweltamt das Budget kürzen könnte.
Der Abbruch wirft politisch Wellen. «Wir bedauern den Entscheid sehr», sagt Urs Leugger-Eggimann, Zentralsekretär von Pro Natura, einem jener Umweltverbände, die die Biodiversitätsinitiative lanciert haben. Es sei ein Gebot der Stunde, die Öffentlichkeit für die zentrale Bedeutung der Biodiversität für eine zukunftsfähige Gesellschaft zu sensibilisieren. Leugger-Eggimann argumentiert, die Schweiz habe sich international zur Bewahrung der Biodiversität verpflichtet. «Dieser Auftrag besteht unabhängig von aktuellen politischen Vorhaben in diesem Bereich.» Er verweist zudem auf die Strategie Biodiversität aus dem Jahr 2012. Damals hatte sich der Bund zum Ziel gesetzt, dass in der Öffentlichkeit bis 2020 ausreichend Wissen über Biodiversität vorhanden sei.
Bund will 30’000 Franken zahlen
Der Fall hat nicht nur eine politische Dimension. Er könnte auch ein juristisches Nachspiel haben. Im letzten Sommer hatten es drei Kommunikationsagenturen in die finale Ausmarchung geschafft. Zu diesem Zeitpunkt hatten sie zusammengerechnet bereits circa 800’000 Franken in den Wettbewerb investiert, wie eine mit der Materie vertraute Person sagt. Geld, das nun verloren ist – zum Ärger der Agenturen. Einer ihrer Vertreter sagt: «Der Bund muss uns unsere Aufwendungen zurückerstatten.» Natürlich gehe jede Agentur bei Ausschreibungen ein finanzielles Risiko ein, weil sie den Zuschlag nicht auf sicher habe. «Doch ein Projektabbruch durch den Auftraggeber ist eine völlig andere Sache.»
Der Bund indes hat andere Vorstellungen. Vorgesehen sind laut BBL Entschädigungen von je 10’000 Franken für die drei Kommunikationsagenturen. Doch damit geben sich diese gemäss Informationen dieser Zeitung nicht zufrieden. Klärung bringen soll nun ein Gespräch: Vielleicht, sagt ein Mitarbeiter einer betroffenen Agentur, gelange das Bafu zur Einsicht, dass die Ausschreibung «komplett schiefgelaufen ist und vergütet werden muss».
Fehler gefunden?Jetzt melden.