Cassis provoziert UNO-Intervention in Bern
Empörte Diplomaten, ein irritierter Hilfswerks-Chef: Aussenminister Ignazio Cassis löst eine Nahost-Affäre aus.

Mit dieser Kritik von Aussenminister Ignazio Cassis am Hilfswerk für Palästinenserflüchtlinge (UNRWA) hatte Pierre Krähenbühl, Chef der Organisation, nicht gerechnet. «Mich überraschte die Stellungnahme, weil zuerst nicht klar war, ob es allgemeine Überlegungen von Herrn Cassis waren oder eine Änderung der Schweizer Politik», sagt Krähenbühl. Das UNO-Hilfswerk intervenierte deshalb in Bern, im informellen Rahmen wurden Fragen gestellt, wie der aus Genf stammende Krähenbühl bestätigt. Er wollte wissen, wie Cassis’ Äusserungen gemeint waren – vor allem deshalb, weil er Cassis noch am Montag auf dessen Jordanien-Reise getroffen hatte. Das Gespräch sei «sehr positiv» verlaufen, sagt Krähenbühl. Cassis habe zwar kritische Fragen gestellt. Das sei aber normal, wenn er, Krähenbühl, mit Partnern und Geldgebern spreche.
Die Folgen von Cassis’ Äusserungen sind mittlerweile bekannt: Er musste bei Bundespräsident Alain Berset antraben. Zudem war im In- und Ausland eine Klarstellung nötig, dass die Schweizer Regierung in der Nahost-Politik keinen Kurswechsel vorgenommen habe. Cassis’ Aussagen konnten dahingehend interpretiert werden, dass die Schweiz im Konflikt zwischen Israel und Palästinensern nicht mehr an einer Zweistaatenlösung festhalten wolle.
Bundesrat Cassis wird als Israel-Freund gehandelt
Krähenbühl ist froh über die Klarstellung. Indirekt wirft er Cassis aber vor, die Situation im Nahen Osten nicht richtig zu kennen. Cassis bezeichnete das Rückkehrrecht der 5 Millionen palästinensischen Flüchtlinge als «Traum». Krähenbühl sagt dazu: «Das Recht auf Rückkehr wird durch eine Resolution der UNO-Generalversammlung bestätigt. Das ist nicht ein Traum, das ist ein Recht.»
Krähenbühl will auch nichts davon wissen, dass sein Hilfswerk ein Hindernis für den Frieden im Nahen Osten darstelle, wie Cassis behauptete. «Wir spielen nicht die Hauptrolle», sagt Krähenbühl. Ein Hindernis sei vielmehr, dass weder die Parteien noch die internationale Gemeinschaft es geschafft hätten, eine Lösung des Konflikts zu finden. Krähenbühl betont, dass seine Organisation ständig dazu gedrängt werde, sich in die Politik einzumischen. Dafür seien jedoch die UNO und ihre Mitgliederstaaten verantwortlich. «Die UNRWA ist ein humanitärer Akteur und setzt sich für die Bildung und Gesundheitsversorgung ein.»
EDA sah sich zu Korrektur genötigt
Seit Ende der 1940er-Jahre unterstütze man die Flüchtlinge. «Weil es sie immer noch gibt, arbeiten wir weiter.»In Bern zeigen sich Diplomaten empört über Cassis’ Sololauf, wie es aus dem Bundeshaus heisst. Er soll sich im Vorfeld des Interviews nicht mit dem Aussendepartement (EDA) abgesprochen haben. Zudem gab es diese Woche einen zweiten Zwischenfall. Nach der Eröffnung der US-Botschaft in Jerusalem und den Protesten in Gaza mit Dutzenden Toten sagte Cassis in einer Videobotschaft auf Twitter auf Englisch: Er sei über die Gewalt «concerned» – also besorgt. Im diplomatischen Sprachgebrauch tönt das aber verharmlosend. Das EDA sah sich schon am Dienstag zu einer Korrektur genötigt, in einer neuen Mitteilung wurde explizit auch die Gewalt Israels verurteilt.
Im Bundesrat und im EDA befürchtete man von Anfang an, Cassis könnte als neuer Aussenminister eine proisraelische Haltung vertreten und versuchen, bei der Nahost-Politik einen anderen Kurs einzuschlagen. Cassis war als Nationalrat Vizepräsident der Parlamentariergruppe Schweiz - Israel. 2016 besuchte er das Land mit einer Delegation. Für Wirbel sorgte danach der Besuch einer umstrittenen Siedlung im Westjordanland. Cassis hatte allerdings im letzten Moment entschieden, auf den Ausflug zu verzichten; er blieb im Hotel.
«Er handelt immer noch wie ein Praktikant»
Wie beim Reset-Knopf im Europadossier müsse Cassis erneut zurückbuchstabieren, sagt SP-Nationalrat Carlo Sommaruga. «Cassis handelt immer noch wie ein Praktikant.» Es mangele ihm an Dossierkenntnis, und er, Cassis, merke nicht, dass ein Bundesrat nicht wie ein Parlamentarier sprechen könne. «Das, was ein Bundesrat sagt, wird immer auch als offizielle Haltung der Schweiz wahrgenommen.» Sommaruga bringt die Nahost-Affäre nun ins Parlament. In der Sommersession möchte er während der Fragestunde mehr zu den Hintergründen der ganzen Affäre erfahren.
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