Sozialdemokrat, gut getarnt
Mario Fehr steht oft in der Kritik der Linken, weil er für deren Geschmack zu sehr auf bürgerliche Wünsche eingeht. Mittlerweile politisiert er deutlicher im Sinn der SP.

Nein, Mario Fehr hat keinen Termin mehr frei. Nichts mehr. Agenda voll. Wenn sich die Journalistin im vereinbarten Datum geirrt hat: ihr Problem. Das Porträt – dieses Porträt – muss halt ohne Interview erscheinen.
Natürlich findet sich am Ende, nach einigem Hin und Her, doch eine Lücke im Zeitplan des Mario Fehr für das Interview. Und das Episödchen wäre nicht der Rede wert, zeigte es nicht exemplarisch, wie schwierig sich der Umgang mit dem Mann gestalten kann, der seit acht Jahren dem Sicherheitsdepartement des Kantons Zürich vorsteht. Ein Interview mit ihm zu verschieben, grenzt an Majestätsbeleidigung. Dafür lässt er die Schuldige erst mal zappeln.
Er sei, sagte der 60-Jährige einmal über sich selbst, «rachsüchtig und nachtragend». Das war nur halb kokett gemeint, davon können Journalisten und Parteifreunde ein Lied singen. Fehrs Telefonanrufe sind so legendär wie gefürchtet. Mit Kritik hat der SP-Mann seine liebe Mühe, vor allem wenn er sie als ungerechtfertigt empfindet. Und das ist oft der Fall. Kaum ein Politiker kann derart hartnäckig und hingebungsvoll schmollen.
Die Wähler mögen ihn
Dabei hätte Fehr solche Attitüden gar nicht nötig. Er sitzt unangefochten im Sattel, bei den Stimmbürgern ist er beliebt. Als er 2011 als Nachfolger von Markus Notter (SP) gewählt wurde, erzielte er mehr Stimmen als alle Bisherigen. Seither schneidet der Mann aus Adliswil in Umfragen regelmässig mit Bestresultaten ab; bei der Wiederwahl 2015 überflügelte ihn einzig Thomas Heiniger (FDP).
Und das, obwohl Fehr mit der Sicherheitsdirektion (die Polizei!, die Asylbewerber!, die Sozialhilfe!) einer Direktion vorsteht, die definitiv mehr Potenzial für Kritik als für Lob birgt. Jedenfalls für einen Sozialdemokraten. Fehr jedoch, der ein gewiefter Taktiker ist, holt immer potenzielle Widersacher ins Boot. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise gelang es ihm – anders als Amtskollegen in anderen Kantonen –, die Ankömmlinge ohne grossen Widerstand auf die Gemeinden zu verteilen. Es gab ein leises Murren, das wars. In der Sozialhilfe konnte Fehr zwar einzelne Verschärfungen nicht vermeiden. Aber die Skos-Richtlinien stehen nicht ernsthaft zur Diskussion.
Fehrs Taktieren geht so weit, dass Claudio Schmid (SVP), Präsident der kantonsrätlichen Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit, behauptet: «Mario Fehr ist in manchen Fragen schon fast einer von uns.»
«Natürlich muss Mario mit einem bürgerlich dominierten Kantonsrat kutschieren.»
Eine Einschätzung, der Markus Schaaf (EVP) dezidiert widerspricht. Auch Schaaf sitzt in besagter Kommission, und er sagt: «Fehr gibt manchmal einzelnen Anliegen der SVP nach, um Schlimmeres zu verhindern. Aber er leidet zuweilen sehr unter dem Druck der Bürgerlichen auf die Sozialhilfe.»
Bloss: Das kommuniziert Fehr nicht nach aussen, und das ist eines seiner Probleme. «Natürlich muss Mario mit einem bürgerlich dominierten Kantonsrat kutschieren», sagt Raphael Golta, Parteikollege und Stadtzürcher Sozialvorsteher. «Aber er hat eine derart gefestigte Position, dass er diese auch mal für mutigere Entscheide in die Waagschale werfen könnte.»
Doch dem überzeugten Sozialdemokraten Fehr kommt immer wieder der Machtmensch Fehr in die Quere, der gern ein paar Stimmen im bürgerlichen Lager holt. Und das tat er zu lange im Glauben, unangefochtenes Zugpferd seiner Partei zu sein.
Die Partei und er
2018 wurde ihm das beinahe zum Verhängnis. Fehr hatte sich in seiner zweiten Amtszeit immer wieder insbesondere mit dem linken Flügel der SP angelegt. Die Juso warfen ihm eine zu harte Haltung gegenüber Flüchtlingen vor, weil Fehr in den Nothilfeunterkünften ein striktes Regime aus Eingrenzungen und Anwesenheitskontrolle erlassen hatte. Fehr tat nichts, um die Vorwürfe zu entkräften. Und wenig, um seine Entscheide zu erklären.

Schon zuvor war das Verhältnis zwischen Fehr und SP angespannt. Auslöser waren die Querelen um ein Trojaner-Computerprogramm, das Fehr für die Kantonspolizei hatte anschaffen lassen. Die Juso zeigten ihn deswegen an – worauf dieser seine Parteimitgliedschaft sistierte.
Was folgte, ging in die Annalen der Partei ein: In einer Krisenversammlung entschieden die Delegierten am 29. Mai 2018 in einem völlig überfüllten Saal des Volkshauses, ob die SP auch 2019 mit Mario Fehr in den Regierungswahlkampf ziehen würde. Vor allem von Delegierten aus der Stadt Zürich kam harsche Kritik, während sich jene vom Land hinter Fehr und seinen pragmatischen Kurs stellten.
Am Ende sprachen sich 102 Delegierte für Fehr aus – und 73 gegen ihn.
Es war für beide Seiten eine Art Katharsis. Zwar unterstützen die Juso Fehr nach wie vor nicht, aber die Mutterpartei steht hinter ihm. So jedenfalls schildert es Marco Denoth, Präsident der Stadtpartei. Er hatte sich damals gegen Fehr ausgesprochen. Heute sagt Denoth: «Die Diskussion hat die Partei gekittet. Im Moment habe ich den Eindruck, dass beide Seiten gut zusammenarbeiten und dass Fehr sozialdemokratischer politisiert. Das hat er so versprochen, und das erwarten wir auch.»
Tatsächlich hat sich Fehr in den letzten Monaten, so scheint es, auf die Werte der Partei besonnen, der er seit über 30 Jahren angehört. So überprüft der Kanton Zürich seit einigen Monaten alle abgewiesenen Asylbewerber von Amtes wegen auf eine mögliche Härtefallbewilligung – sehr zur Irritation von SVP-Haudegen Claudio Schmid, der sagt: «Da ist Fehr eingeknickt.»
Sein wohl letztes grosses politisches Geschäft, das revidierte Sozialhilfegesetz, ist zwar nicht gerade der grosse linke Wurf. Aber es ist immerhin eine Absicherung, dass die Skos-Richtlinien im Kanton auch weiter gelten. Den Kürzungsgelüsten aus der SVP erteilte Fehr damit eine klare Abfuhr. Linker geht es im Kanton Zürich wohl nicht.
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