Spirou wird 80 – hier enstanden Lucky Luke, Gaston und Marsupilami
Vor genau 80 Jahren erschien das erste Spirou-Comic – und brachte die frankobelgische Welle ins Rollen.

Wer einen «Asterix»-Band oder ein «Tim und Struppi»-Album aufschlägt, hat nicht nur Comic-Bestseller vor sich, sondern blättert in zwei der drei wichtigsten Serien des frankobelgischen Comicschaffens. Seltsam bloss, dass «Spirou», die Nummer drei, international weit weniger bekannt ist. Zu Unrecht, denn es war in erster Linie diese Serie samt gleichnamigem Heft, die den Comicboom im französischsprachigen Raum ermöglichte und die zugehörige Industrie begründete.
Die Geschichte von «Spirou» beginnt mit dem belgischen Verleger Jean Dupuis. Dieser wollte in den Dreissigerjahren ein wöchentliches Comicmagazin herausgeben, das nicht mehr nur US-amerikanische Zeitungsstrips nachdruckte, sondern mit eigenen Geschichten aufwartete. Dupuis bestimmte den Namen des Hefts: «Spirou» – das bedeutet im Wallonischen sowohl Lausbub als auch Eichhörnchen. Was dem Verleger fehlte, war eine Titelfigur, die zu diesem Namen passte.

Nach mehrmonatiger Suche fand Dupuis den französischen Zeichner Rob-Vel (Robert Velter). Der hatte in Hotels und auf Ozeandampfern als Aushilfskraft gearbeitet und einen Comic-Schiffsjungen namens Toto erschaffen. Das war ganz nach Dupuis' Geschmack. Rob-Vel steckte einen leicht abgewandelten Toto in eine rote Livrée, und am 21. April 1938 erlebte dieser als Spirou das erste Abenteuer: Das Brüsseler Hotel Moustic findet keinen geeigneten Pagen und beauftragt daher einen Künstler, den Wunsch-Angestellten zu zeichnen und mittels eines Elixiers lebendig werden zu lassen. Fertig war der Comic-Held.
Und ja, Spirou, das war die Hilfsbereitschaft in Person, aber auch ein Schelm, der sich mit dem Portier in die Haare geriet und mit dem Eichhörnchen Pips bald den ersten von zahlreichen Begleitern erhielt. Der Page frönte zudem einem gängigen Exotik-Trend. Jedenfalls hielt er sich immer seltener in seinem Hotel auf, sondern ging lieber auf Reisen, so wie es Tintin in Hergés «Tim und Struppi»-Alben vorgemacht hatte.
Dann brach der Zweite Weltkrieg aus, Velter wurde als Soldat eingezogen, der Nachschub an US-Comics versiegte. Eine schwierige Aufgabe für Joseph Gillain ( Jijé), der die Serie übernahm. Er stellte Spirou den launenhaften Reporter Fantasio an die Seite. Vor allem aber holte er junge Zeichner an Bord, mit denen er die «bande des quatre» bildete: Will, Morris und André Franquin verhalfen dem Heft zu neuem Schub. Und sie begründeten die «Ecole Marcinelle», eine Schule, die einen dynamischen Zeichenstil pflegte; zu erzählerischen Ausgefallenheiten neigte. Das im Gegensatz zum «Tim und Struppi»-Kosmos, welcher der präzisen, realistischen «Ligne claire»-Technik verpflichtet war und 1946 in Brüssel ein eigenes Magazin bekam.

Diese innerbelgische Konkurrenz führte zu einer Hochblüte des Comics – auch und gerade wegen der unterschiedlichen Erzählarten, die in Brüssel und Marcinelle gepflegt wurden. Wobei sich die «Spirou»-Truppe als vielseitiger erwies: Morris (Maurice de Bevere) erfand den Wildwesthelden Lucky Luke. Peyo (Pierre Culliford) feierte mit den Schlümpfen Erfolge. Und Franquin, der «Spirou» ab 1946 übernahm, prägte die Serie so sehr, dass er heute als ihr eigentlicher Vater gilt.
Das ist nicht zu viel der Ehre. Franquin entwarf komplexere Abenteuer als seine Vorgänger, und er verstand, dass seine Titelfigur ein Problem hatte. «Spirou war immer diese kleine Marionettenfigur, mehr oder weniger aktiv, aber ohne Persönlichkeit», sagte der Zeichner. Umso turbulenter, bösartiger und verrückter gestaltete Franquin dessen Umgebung. Und er erfand neue Figuren wie den verschrobenen Graf Rummelsdorf oder das wunderliche Urwaldwesen Marsupilami, das sich so grosser Beliebtheit erfreute, dass es in eigenen Comicalben erschien. Die grösste Schmach für den tüchtigen Titelhelden war allerdings der notorisch arbeitsscheue Bürobote Gaston, der zunächst nur als Seitenfüller auftauchte (womit er die anderen Comicfiguren verwirrte) und sich dann als katastrophal untalentierter Bastler entpuppte. Und ja, ausgerechnet der hyperproduktive Franquin sah in diesem Phlegmatiker sein Ebenbild.
Franquin gestaltete «Spirou» noch bis 1968, dann zwangen ihn chronische Arbeitsüberlastung und Depressionen zur Aufgabe. Er behielt jedoch die Rechte an seinen populären Figuren Gaston und Marsupilami, weshalb sie im «Spirou»-Magazin nicht mehr auftauchen durften. Die Folge: Das Heft verlor an Bedeutung, Orientierung und Auflage, obwohl oder gerade weil der Titelheld diversen Frischzellenkuren unterzogen wurde. Spirou verlor nicht nur seine Knopfaugen, sondern auch seine Uniform, was viele Fans verärgerte. Heute trägt Spirou seinen Pagendress wieder – er wurde als Running Gag (und zum Ärger des Helden) zurückgeholt.
Damit wird einem Stück Comicgeschichte auf unterhaltsame Art Rechnung getragen. Und was das eigene Erbe angeht: Da schlägt die «Spirou»-Serie einen ähnlichen Kurs ein wie die exzellente Disney-Hommagen-Reihe: Man lässt die Vergangenheit nicht ruhen, sondern erfindet sie neu. Im Sommer wird etwa Gaston im Band «Galerie der Katastrophen» von 60 verschiedenen Zeichnern gewürdigt. Und in einem «Spirou & Fantasio»-Spezialband wird die fiktive Lebensgeschichte des Schiffsjungen erzählt, der Rob-Vel zu seiner legendären Figur inspiriert haben soll. Der Titel: «Sein Name war Ptirou».
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