Die Formel E in zehn Punkten
Die Formel E kennt Prominenz, futuristische Autos und Stress beim Umsteigen. 10 Fakten zur Elektroserie vor der Premiere in Zürich.

Im Motorsport dreht sich viel um den Abtrieb. Der hält die Autos auch bei horrendem Tempo auf dem Boden und macht sie in den Kurven schnell.
In der Formel E dagegen ist derzeit der Auftrieb das grosse Thema. Austragungsorte stehen Schlange, grosse Konzerne steigen ein, das Sponsoreninteresse nimmt zu, Prominente wie Leonardo DiCaprio, Mitbesitzer des Teams Venturi, oder Nico Rosberg, Formel-1-Weltmeister 2016 und Teilhaber der Serie, umgeben die Szene. Und jüngst hat sich mit Felipe Massa einer mit grossem Namen als Pilot für die nächste Saison eingeschrieben. Die Formel E: im Hoch. Während andere Rennsportformate darben. Doch was ist die Formel E und ihr Geheimnis?
Der Event
Sie finden sie «Käse» (Sebastian Vettel); sie halten «nicht so viel» von ihr (Lewis Hamilton); sie sagen: «Die Serie ist mehr eine Strassenparty als ein Sport-Event» (Chase Carey). Die Formel E hat bei den Fahrern und dem Chef der Formel 1, der selbst ernannten Königsklasse des Motorsports, einen schweren Stand. Nun ist es so, dass in der Formel E niemand widersprechen würde, wenn der Begriff «Strassenparty» fällt. Der Sport ist wohl ein wichtiger Bestandteil des Eintages-Events, bei weitem aber nicht der einzige. Als 2011 die elektrisierende Idee entstand, ging es primär darum, «das Potenzial der nachhaltigen Mobilität in den Vordergrund zu rücken», heisst es auf der Website der Serie.
Der spanische Unternehmer Alejandro Agag wurde damit betraut, das Format zu entwickeln – er ist noch heute der Chef der Formel E. Sein Ansatz: «Die Leute müssen nicht zu uns kommen, wir gehen zu ihnen.» Sprich: in die Städte. Es sollten eben nicht (nur) Motorsport-Fans angesprochen, sondern neue Zuschauer gewonnen werden: mit zahlreichen Ständen, an denen sich vieles um Elektromobilität dreht, mit Konzerten, mit Shows, Simulatoren – und dazwischen mit einem Autorennen der leisen Art, welches das Zuschauen trotz quietschender Reifen ohne Ohrpfropfen möglich macht.
Der Ablauf
Zürich ist in mancherlei Hinsicht eine Ausnahme. Erst einmal musste ein Rundstreckenverbot gelockert werden, um den Event durchzuführen. Dann findet dieser am Sonntag statt und nicht wie überall sonst am Samstag – nur zum Saisonstart in Hongkong und zum Abschluss in New York wird auch sonntags gefahren, weil zwei Rennen ausgetragen werden. Und: Zum E-Prix von Zürich wird erst um 18 statt um 16 Uhr gestartet.
Der Aufbau des Startgebäudes in Zürich. Video: Tamedia
Die Veranstalter hoffen, am Sonntag das Verkehrsaufkommen in der Innenstadt besser handhaben zu können. Mit der Zeitverschiebung entgehen sie zudem einer TV-Terminkollision mit dem Männerfinal am Tennisturnier French Open. Der Renntag beginnt aber bereits um 8.30 Uhr mit dem Probelauf des Sicherheitswagens. Es folgen zwei Trainings, vier Qualifyings, eine Autogrammstunde und das Rennen – alles an diesem 10. Juni. Das Konzept der Eintagesveranstaltung soll zum einen die Städte entlasten und zum anderen den Aufwand für die Zuschauer verkleinern.
Die Destinationen
12 Rennen in 10 Städten stehen in dieser Formel-E-Saison auf dem Programm. Zürich ist die vorletzte Station vor dem Finale in New York und die 19. Stadt, die einen E-Prix beherbergt. In vergangenen Jahren wurde schon in Peking, Buenos Aires, Long Beach oder Moskau gefahren. In dieser Saison stehen mit Rom, Paris, Berlin und Zürich erstmals vier europäische Austragungsorte im Kalender. Vor der Reise nach Europa drehten die Elektrowagen in Hongkong, Marrakesch, Santiago de Chile, Mexiko-Stadt und Punta del Este ihre Runden. Insgesamt hätten 200 Städte Interesse an der Durchführung eines E-Prix angemeldet, sagt Gründer Alejandro Agag.
Sébastien Buemi präsentiert seinen Wagen in Zürich. Video: Tamedia
Das Umsteigen
Es ist meist ziemlich ruhig in den provisorisch aufgebauten Garagen der Teams. An Monitoren verfolgen die Mitarbeiter das Rennen und überprüfen die Energiemenge des Autos, mit der der Pilot haushälterisch umgehen muss. Zur Halbzeit eines E-Prix aber, da kommt Hektik auf. Zwei Mechaniker machen sich bereit, halten Gurt und Steuerrad des bereitstehenden Rennwagens. Dann braust der Fahrer heran, hüpft aus dem einen und hinein ins andere Auto. Das, weil die Kapazität der Batterie noch nicht ausreicht für ein ganzes Rennen.
Für das Umsteigen gab es eine vorgeschriebene Mindestzeit, damit in der Hektik die Sicherheit nicht zu kurz kommt. Seit dem Rennen in Chile diesen Februar ist diese abgeschafft. Die Fahrer können also auch an der Box Zeit gutmachen oder verlieren. In der nächsten Saison ist dieses Prozedere hinfällig. Die Batterie, bislang von Williams und neu von McLaren hergestellt, leistet künftig 54 Kilowattstunden. Das ist fast doppelt so viel wie beim Startschuss zur Formel E 2014 (28 Kilowattstunden). Die Rennen werden zudem kürzer. Statt 50 bis 60 Minuten dauern sie 2018/19 nur noch rund 40 Minuten.
Das Auto
Um eine Kostenexplosion zu verhindern, sind die Entwicklungsmöglichkeiten der Teams eingeschränkt. Chassis (Spark) und Batterie sind einheitlich, einzig Motor, Getriebe, Inverter, Kühlsystem, Hinterradaufhängung und Software dürfen die Rennställe selber produzieren. Weil die Hersteller einem interessierten Team ihr rennfertiges Auto für 530 000 Franken zur Verfügung stellen müssten, halten sich die Ausgaben in engen Grenzen.
So klingen die Autos der Formel E.
Der futuristische Formel-E-Bolide der kommenden Saison, auch Batmobil genannt, wird zwar für nur noch etwas weniger als eine Million Franken zu kaufen sein. Weil aber kein Fahrzeugwechsel mehr nötig ist und damit pro Team nur noch zwei statt vier Autos zum Einsatz kommen, verringern sich die Ausgaben. Die Maximalleistung wird von 200 (im Rennen 180) auf 250 Kilowatt (200) erhöht, der Motor ist neu also 340 PS stark. Bislang war die Höchstgeschwindigkeit auf 225 km/h reguliert, das neue Gefährt ist bis zu 280 km/h schnell. Ob das Tempo erneut eingeschränkt wird, ist noch offen.
Der Fanboost
Die Formel E gibt sich zuschauernah. Das Publikum kann für wenig Geld vor dem Rennen die Boxengasse besichtigen und dieses dann direkt an den Absperrgittern verfolgen – in Zürich gratis. Kurz vor dem Start gibt es eine Autogrammstunde mit allen Fahrern. Und: Die Fans können Einfluss auf das Geschehen auf der Strecke nehmen. In einer sechstägigen Onlineabstimmung entscheiden sie, welche drei Fahrer während des E-Prix zusätzlichen Schub erhalten, den Fanboost. Die Auserwählten können diesen nach Halbzeit des Rennens einsetzen und damit für einen kurzen Moment zusätzliche 50 PS freischalten, um sich zu verteidigen oder zu überholen.
Die Fahrer
Bislang war die Formel E eine Ansammlung von Piloten, denen in anderen Weltmeisterschaften der grosse Durchbruch verwehrt blieb. Der Waadtländer Sébastien Buemi, der 2011 sein bislang letztes Rennen in der Formel 1 fuhr, gehört als Langstreckenweltmeister 2014 zu den Ausnahmen – wie der dreifache Tourenwagenweltmeister José María López.
Acht Formel-E-Piloten haben mindestens einen Formel-1-Grand-Prix bestritten. Der in Stäfa wohnhafte Deutsche Nick Heidfeld ist mit 183 Starts auf der grössten Bühne des Motorsports der Erfahrenste. Gewonnen hat er aber wie seine Konkurrenten nie in der Formel 1. Im nächsten Jahr stösst mit Felipe Massa der erste Grand-Prix-Sieger dazu.
Die Teams
Zehn Rennställe mit je zwei Fahrern waren bislang zugelassen zur Formel E. Autohersteller wie Mahindra, Renault und Jaguar engagierten sich. Audi, zuvor Partner von Abt Schaeffler, ist seit dieser Saison als Werksteam am Start. Und es erhält bald gewaltige Konkurrenz. In den nächsten zwei Jahren werden Mercedes, Porsche, BMW und Nissan (für Renault) einsteigen. Mehr als 24 Autos dürfen aber nicht am Start stehen.
Die Formel E ist für die Hersteller attraktiv, weil sie ihre Entwicklung bei den Elektromotoren vorantreiben können und die Kosten verhältnismässig gering sind. Die Topteams geben rund 15 Millionen Franken pro Saison aus. Zum Vergleich: Für die Langstrecken-WM, aus der sich Porsche im letzten Jahr zurückzog, werden 150 Millionen benötigt. In der Formel 1 geben die grössten Rennställe bis zu einer halben Milliarde Franken aus.
Die Sicherheit
Wie in allen Serien des Internationalen Automobilverbands (FIA) steht auch auf den Tickets und Pässen der Formel E: «Motorsport kann gefährlich sein. Im Falle eines Unfalls oder Schadens können Sie eine Verletzung erleiden.» In der Elektroserie wird meist mitten in Städten gefahren – die Zuschauer können bis auf wenige Meter an die Strecke heran, wo die Boliden mit bis zu 225 km/h an ihnen vorbeirasen. Es gibt keine grossen Auslaufzonen wie in der Formel 1, keine Kiesbetten.
Und doch ist die Sicherheit in der Formel E hoch. Für den E-Prix in Zürich wurden bei der Kibag in Regensdorf 1400 Betonelemente gegossen, die mit Sicherheitszäunen versehen und entlang der ganzen Strecke aufgestellt werden. Die Autos, bei denen die Aerodynamik im Gegensatz zu anderen Serien eine untergeordnete Rolle spielt, neigen zudem weniger dazu abzuheben, wenn sie mit einem anderen Fahrzeug kollidieren. Die verkleideten Räder und das vergleichsweise tiefe Tempo haben diesbezüglich ebenfalls einen positiven Effekt.
Eine Gefahr für die Fahrer kann aber das neue Reglement darstellen, wonach es beim Umstieg vom einen in den anderen Boliden keine Mindestzeit mehr gibt. Spezielle Sensoren sollen allerdings sicherstellen, dass der Gurt richtig sitzt. Ab nächster Saison fällt der Wechsel aber ohnehin weg. Zudem wird das Formel-E-Auto der zweiten Generation auch mit dem Sicherheitsbügel Halo ausgestattet sein, der die Fahrer der Formel 1 bereits jetzt vor herumfliegenden Teilen schützen soll.
Aber ja: Auch die Formel E kann gefährlich sein. Das erlebte Nick Heidfeld beim allerersten Rennen in Peking 2014. Nachdem er von Nicolas Prost seitlich gerammt worden war, schlitterte sein Auto über die Strecke, hängte an Randsteinen ein, flog in die Leitplanken und überschlug sich mehrfach. Der Deutsche kam mit dem Schrecken davon.
Das Fernsehen
Die Formel E kämpft noch um ihren Platz im Fernsehen und die Gunst der Zuschauer. Im deutschsprachigen Raum ist Eurosport derzeit der einzige Sender, der sämtliche Rennen ohne Einschränkung im Free-TV überträgt. Cablecom-Kunden können in der Schweiz zudem alle E-Prix auf dem Basissender von Mysports verfolgen. Die Quoten sind bescheiden. Bei Eurosport schalteten diese Saison durchschnittlich 82 600 Leute ein, um ein Formel-E-Rennen zu sehen.
Das bedeutet auch: Oft hat es an der Strecke mehr Zuschauer als beim Sportsender – in Zürich werden bis zu 150 000 Schaulustige erwartet. Hoffnung dürfte den Chefs der Formel E das machen: Die ARD, die einzig den E-Prix von Berlin vor drei Wochen übertrug, erreichte insgesamt 1,46 Millionen Zuschauer und einen Marktanteil von 20,2 Prozent. Auch in der Schweiz übernehmen die öffentlich-rechtlichen Sender die Übertragung des Heimrennens. Der E-Prix von Zürich wird live auf den Kanälen der SRG gezeigt.
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