«... und wenn sie nicht so gut sind, gehen sie in die Schweiz»
Schonungslos ehrlich: In einem Interview mit dem Fussballmagazin «11 Freunde» spricht Sepp Blatter über den Videobeweis, Verrat und seine Nähe zu Putin.
Es tönt schon fast bedrohlich, wenn Sepp Blatter während eines ausführlichen Interviews mit dem Fussballmagazin «11 Freunde» andeutet, dass er Ende Mai ein Buch veröffentlichen wird: «Es geht um meine Zeit in der Fifa – und darum, was danach passiert ist.» Dieses «Danach» macht ihm noch immer zu schaffen, dem früheren Präsidenten des Weltfussballverbandes.
Im Mai 2015 trat Blatter kurz nach seiner Wiederwahl zurück, kurz darauf wurde er wegen Verdacht auf Korruption für sechs Jahre von der Fifa-Ethikkommission gesperrt. «In diesem Verfahren ist bisher nichts weitergegangen, bis auf die Tatsache, dass sich Platini in der Sache an die Europäische Menschenrechtskommission gewandt hat», sagt er. Diese Suspendierung hat Blatter damals nicht sonderlich ernst genommen. «Das Bundesverdienstkreuz und all diese Dinge habe ich noch in meinem Büro, da oben in der Fifa», sagt er, und schiebt nach: «Als ich suspendiert wurde, dachte ich: Da kann etwas nicht stimmen, in zwei Tagen bin ich wieder hier.»
«Infantino ist kein exekutiver Präsident»
Nun, es kam anders, seinen Platz hat Gianni Infantino eingenommen. «Zu seiner Arbeit möchte ich mich nicht äussern. Er tut oft seine eigene Meinung kund und macht seinen Job mit viel Selbstbewusstsein. Aber nach den Statuten ist er ein repräsentativer und nicht ein exekutiver Präsident», erinnert Blatter trotzig.
Kaum gute Worte hat der ehemals mächtigste Mann im Weltfussball auch für frühere Weggefährten. Auf die Frage, in wem er sich am meisten getäuscht habe, antwortete er: «In Personen, die in Schlüsselpositionen im Fifa-Sekretariat sassen.» Der «Spiegel» habe ihm einen Vertrag gezeigt, der beweise, dass er von Leuten aus seinem engsten Zirkel verraten wurde: «Das war ein Komplott. Und als ich angeschlagen war, hat es einige aus dem Exekutivkomitee froh gemacht.» Offenbar hätten insbesondere in Europa einige Leute darauf gewartet: «Und schauen Sie, was passiert ist: Die Uefa hat die Fifa übernommen und sich ins gemachte Nest mit 1,4 Milliarden Franken Reserve gesetzt.»
Gekränkt haben den Walliser im Verlaufe seiner Karriere auch die Pfiffe gegen seine Person. Denn er verstand dies nicht nur als persönlichen Affront, sondern als Affront gegen das Amt und die Institution: «Ich war ein gewählter Präsident, kein Funktionär.» Allerdings seien diese primär in Deutschland vorgekommen, ganz im Gegensatz zu Asien oder Afrika: «Ich glaube, dass es neben der Presse auch an einigen Entscheidungsträgern im deutschen Fussball lag. Die waren unzufrieden, dass ich bis zum letzten Wahlgang der Ansicht war, dass die WM 2006 nicht nach Deutschland, sondern nach Afrika gehen solle.»
70 Millionen Franken in Afrika investiert
Vier Jahre nach der WM 2006 brachte Blatter dann den «Wörldkupp», wie er die WM nennt, doch noch nach (Süd-)Afrika. Dieses Turnier bezeichnet der mittlerweile 82-Jährige auch als das schönste seiner Amtszeit. Allerdings ist die erhoffte Entwicklung ausgeblieben: «Wir haben 70 Millionen Franken in die Afrikanische Union gepumpt, damit dort professionelle Ligen entstehen. Doch dafür braucht es Investoren – die Geldgeber aus China oder dem Nahen Osten kaufen keine Clubs in der Elfenbeinküste oder Angola.»
Dazu komme, dass die Afrikaner keine Geduld hätten: «Die guten Spieler wechseln noch immer alle nach Europa. Sie wollen nach England, nach Frankreich oder Belgien – und wenn sie nicht ganz so gut sind, gehen sie in die Schweiz.» Unter dem Strich seien die armen Länder zwar nicht noch ärmer geworden, aber auch nur ein winziges bisschen reicher: «Die reichen Länder aber um ein Vielfaches.»
Gegner des Videobeweises
Den Wörldkupp 2018 wird Blatter gemäss seiner Aussage auf der Grossleinwand in Zürich verfolgen. Aber nicht alle Spiele: «Ich habe eine Einladung von Monsieur Putin erhalten.» Er warte nun auf ein Zeichen von Putin, mit dem er per Du sei, wann es für dessen Organisation am besten passe, dass Blatter nach Russland reise: «Der Staatschef entscheidet, wie das Programm aussieht.»
So oder so wird sich Blatter während der WM aber mehrfach ärgern. Spätestens dann, wenn der Videobeweis zum Einsatz kommen wird: «Da stehen mir meine letzten Haare zu Berge.» Der Grundgedanke des Videobeweises sei gewesen, dass ein Coach pro Halbzeit ein, zwei Szenen hinterfragen könne. Deshalb könne er es nicht nachvollziehen, dass eine Technologie eingesetzt werde, die nicht ausgereift sei: «Es wird die skurrile Situation geben, dass ein Spieler ein wunderbares Tor erzielt und sich genau überlegt, ob er jubeln oder erst abwarten soll, was das Fernsehen entscheidet.»
Die Anekdote mit Merkel
Bei allem Frust und aller Kritik hat Blatter aber auch noch witzige Anekdoten parat: «Beim Eröffnungsspiel der Frauen-WM 2011 gegen Kanada sprang Angela Merkel neben mir plötzlich auf und rief laut: ‹Schiedsrichter, Schiedsrichter!›» Als sie gemerkt habe, was passiert sei, habe sie sich wieder hingesetzt und geflüstert: «Das war jetzt nicht klug.» Blatter fährt fort: «Nach ein paar Minuten fügte sie hinzu: ‹Aber, Herr Blatter, Sie stimmen mir doch zu, dass es eine Fehlentscheidung war?›»
Apropos Fehlentscheidung: Auf die Frage von «11 Freunde», was sein grösster Fehler gewesen sei, antwortete Blatter: «Je ne regrette rien – ich bereue nichts.» Ausser eine Sache: «Nach dem Wörldkupp 2014 sagte meine Tochter und meine Partnerin Linda, ich solle aufhören. Ich hätte auf sie hören sollen.»
Ganz loslassen kann er aber auch jetzt nicht. Er freue sich jetzt schon auf die WM in Katar: «Auf einen Wörldkupp kann man sich immer freuen.» Zu diesem Zeitpunkt wäre er 86 Jahre alt: «Also noch ein junger Mann. Ich glaube, der da oben hat derzeit anderes zu tun, als mich zu holen.»
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