«Urs, fahr herunter!»
Nach seinem unfreiwilligen Ende als FCB-Trainer nahm Urs Fischer eine Auszeit – auch dank Signalen aus dem Umfeld. Jetzt ist der 51-Jährige wieder kribbelig.

Der Ort ist nicht zufällig gewählt, es ist der Ort, den Urs Fischer «mis Plätzli» nennt, wenn es um Zürich geht. Von der Waid hat er den perfekten Überblick auf die Stadt und den See, auf die Berge, die sich an diesem Morgen mit scharfen Konturen im Hintergrund abzeichnen. Die Gegend kennt er seit seiner Kindheit, und es zieht ihn immer wieder hierhin zurück. Manchmal setzt er sich auf ein Bänkli, lässt das Panorama auf sich wirken und denkt dann, wie schön es hier ist. Hier, in seinem Zürich.
Fischer trägt eine Brille, die Haare an der Stirnpartie sind aufgerichtet, die Frisur ist wie ein Markenzeichen. Er sieht erholt aus, zufrieden, er sagt: «Mir geht es super!» Um den Satz nachzuschieben: «Aber ich bin kribbelig, es ist wieder Zeit.» Zeit, um wieder einzusteigen. Um wieder dem Druck ausgesetzt zu sein, der ihm fehlt, ihm, dem Fussballtrainer.
Bis im vergangenen Sommer war Fischer Trainer des FC Basel. Er gewann mit seiner Mannschaft zwei Meistertitel und einmal den Cup, er erlebte Europa League und Champions League, beruflich erlebte er nie eine intensivere Phase. Vor einem Jahr erfuhr er, dass Präsident Bernhard Heusler und seine Crew per Ende Saison zurücktreten. Und Fischer ahnte, was das für ihn bedeuten würde: sein Ende als Coach beim Serienmeister. Als er die Bestätigung erhielt, empfand er zunächst Enttäuschung, aber gelangte zur Erkenntnis: «In diesem Job muss dir bewusst sein, dass so etwas passieren kann.» Und: «Ich denke nicht schlecht über jene Leute, die das entschieden haben. Es ist einfach so.»
Abschied ohne Brimborium
Er verliess Basel ohne jegliches Brimborium, und er ging, ohne den Eindruck zu haben, ausgelaugt zu sein. Nichts vereinnahmt ihn mehr als sein Sport, nichts fasziniert ihn mehr als die Arbeit mit einem Team, «der Fussball», sagt er, «lässt mich nicht mehr los». Aber er stürzte sich nicht gleich in die nächste Aufgabe, obwohl genügend Anfragen vorlagen, und er glaubte, der Energiehaushalt sei im Gleichgewicht. Vertraute sagten ihm indes offen: «Urs, du siehst müde aus.» Er fasste das als Warnung auf, um sich selber eine Pause aufzuerlegen: «Ich sagte mir: Urs, fahr herunter!»
Bilder: Urs Fischers Karriere in Bildern
Der 51-Jährige zog es vor, mit seiner Frau nach Malaga zu reisen oder ins Salzkammergut, um zu wandern. Er traf sich mit Freunden zum Kaffee, kochte für die Familie («und es leben alle noch»), schaute entspannt reihenweise Spiele am TV oder zog sich zurück auf den Sihlsee. Mit der Fischerrute auf dem Boot taucht er jeweils in eine Welt ab, in der nicht einmal Platz für Fussball ist. Im Herbst fuhr er für eine Woche nach Mönchengladbach, um einen Einblick in die Arbeitsweise von Borussias Coach Dieter Hecking zu erhalten.
Aber die Basler Zeit hat aus Fischer nicht jemanden gemacht, der für sich in Anspruch nimmt, nur noch für Höheres berufen zu sein. Also besuchte er auch Urs Meier in Rapperswil, ihn interessierte es, wie sein Kollege es schafft, mit bescheidenen Mitteln Bemerkenswertes zu erreichen. «Ich bin der Gleiche wie vor Basel», sagt er und betont das auch, «mein Charakter hat sich so wenig verändert wie mein Verhalten.»
«Für die einen bin ich vielleicht zu einfach gestrickt. Anderen wiederum passt meine Art.»
Gleich sein heisst in seinem Fall: Er hat das Image des Bodenständigen gar nicht erst abzustreifen versucht, weil er schon immer mehr der Arbeiter als der Blender war. Dem Sohn einer Italienerin und eines Schweizers sind Werte wichtig, Ehrlichkeit etwa und Geradlinigkeit, obwohl er sich schon manche Konfrontation hätte ersparen können, wenn er auf die Zunge gebissen hätte. Und Loyalität ist für ihn eine Grundvoraussetzung für eine funktionierende Zusammenarbeit, «Äxgüsi», sagt er in breitem Zürcher Dialekt und legt Kraft in die Stimme, «das muss einfach sein! Wie soll man sonst Erfolg haben?»
Fischer kann laut und aufmüpfig sein, es gab beim FC Basel auch Momente, in denen er sich den Vorwurf, ein mutloser Trainer zu sein, nicht kommentarlos gefallen liess. Und las danach, er sei dünnhäutig. Heute tönt es, als habe ihn das gelehrt, auf Kritik gelassener zu reagieren: «Jeder darf seine Meinung äussern, das ist okay.»
Das Gespräch mit den FCB-Fans
Und doch will Fischer nicht von seinen Prinzipien abrücken, er will direkt sein, wenn er es für angebracht hält: «Ich muss nicht allen gefallen. Für die einen bin ich vielleicht zu einfach gestrickt. Anderen wiederum passt meine Art.»
Gern redet Fischer von einem gut gefüllten Rucksack und reduziert den Inhalt nicht auf die drei gewonnenen Pokale. Als er 2015 von Thun zum FCB kam, war er nicht ein Trainer aus dem Berner Oberland, nein, er war der Zürcher, einer mit langer Vergangenheit beim FCZ. Nach dem ersten Testspiel suchten ein paar Fans das Gespräch mit ihm, um mitzuteilen, dass sie mit seiner Wahl nicht einverstanden seien. Fischer erschrak deswegen nicht, er versprach, er werde alles tun, um sie vom Gegenteil zu überzeugen. Und er lernte, was es bedeutet, hohe Erwartungen erfüllen zu müssen. Wenn er hört, es sei keine Kunst, mit dem FCB Meister zu werden, quittiert er das mit einem fast schon mitleidigen Lächeln: «Auch das darf jeder behaupten. Aber wer es selber erlebt hat, was es heisst, dieses Ziel erreichen zu müssen, der redet nicht so.»
Zürich-Affoltern statt L. A.
2003 wurde Fischer, der 20 Jahre als Spieler hinter sich hatte, Trainer. Nun ist er zum zweiten Mal ohne Anstellung. Mehrere Male war er mit seiner Familie über die Weihnachtstage in die USA gereist, vorzugsweise in den Westen, weil es Los Angeles den Fischers besonders angetan hat. Dieses Jahr war alles anders. Die Fischers blieben daheim in Zürich-Affoltern und stellten in ihrem Wohnzimmer einen Christbaum auf. Aber die Arbeitslosigkeit fühle sich nicht mehr im Ansatz so schrecklich an wie damals, als er beim FCZ gehen musste, «von einer Sekunde auf die andere», wie er es beschreibt. 2012 war das, als ihn Präsident Ancillo Canepa fortschickte. Fischer setzte die Entlassung schwer zu. Es befiel ihn das Gefühl, versagt zu haben, er sorgte sich um seine Zukunft und zog es vor, die Öffentlichkeit zu meiden, weil er befürchtete, die Leute würden ihn schräg anschauen.
Fischers Sympathien gehören immer noch den Baslern: «Ich würde ihnen den Meistertitel gönnen.»
Es ist eine Erfahrung, die zu seiner Geschichte gehört wie der Beweis, sich auch ausserhalb von Zürich zurechtgefunden zu haben. Und die Geschichte soll noch lange nicht zu Ende sein. Fischer, der jahrelang seine Verträge selber ausgehandelt hat und auch für seinen Transfer zum FCB keinen Agenten brauchte, vertraut seit einem halben Jahr einem Berater. Er ging auf ihn zu, weil ihn auch das Ausland reizt, «aber das klappt nur mit einem Manager, der entsprechende Beziehungen hat».
Fischer mag konservative Seiten haben, und doch möchte er Neuem aufgeschlossen begegnen, zum Beispiel: sozialen Medien. «Ich kann mich nicht allem verschliessen», sagt er und unterhält mittlerweile eine eigene Facebook-Seite. Was nicht heisst, dass er jeden Schritt, den er macht, für die Welt dokumentiert: «Wen interessiert das schon?» Bald aber möchte er die Mitteilung platzieren, dass er zurück sei im Geschäft.
Am Samstag geht es in der Super League weiter. Vorerst ohne Fischer als Trainer, aber mit ihm als Beobachter. Wer wird Meister? «YB oder der FCB, wobei: Ich stehe den Baslern immer noch nahe.» Das heisst? Fischer schaut hinunter auf Zürich, am Himmel duellieren sich die Sonnenstrahlen mit den Wolken: «Ich würde ihnen den Titel gönnen.»
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