Wawrinka – ein Star ist geboren!
Der Romand hat auf dem Weg in sein erstes Major-Endspiel eine interessante Parallele zu Roger Federer offenbart.
So mitreissend der Australian-Open-Halbfinal Stanislas Wawrinkas gegen Tomas Berdych aus Schweizer Sicht war, ein Tennisleckerbissen war er nicht. Dazu war das Duell zu sehr von den Aufschlägen geprägt und bot zu wenige sehenswerte Ballwechsel. Das Spektakuläre spielte sich im Innern der beiden Athleten ab. Tennis ist ein Sport, in dem sehr viel Geduld und Demut gefragt sind. Wenn einem wie gegen Berdych die Aufschläge regelmässig mit über 200 Stundenkilometern um den Kopf pfeifen, muss man das einfach akzeptieren. Und auf seine nächste Chance warten. Irgendwann kommt sie meistens. Man muss nur darauf achten, dass man dann bereit ist.
Wie ein Raubtier, das auf die Beute lauert
Wawrinka war bereit. Dem Romand schien die Partie nach dem gewonnenen Startsatz zu entgleiten, er musste in den Sätzen 2 und 3 untendurch, Berdych war klar der Chef auf dem Court. Doch Wawrinka steckte die Schläge ein wie ein tapferer Boxer – und machte unbeirrt weiter. Und als der Tscheche im Tiebreak des dritten Satzes plötzlich wieder schwächelte, schlug er eiskalt zu. Es ist genau das, was die Besten ausmacht. Tennis spielen können auf diesem Niveau alle. Aber jene, die die grossen Titel gewinnen, heben sich dadurch vom Rest ab, wie gut sie im Verlauf eines Spiels, in dem einem tausend Dinge durch den Kopf schiessen können, ihre Gedanken managen. Wie sehr sie fokussiert bleiben und in den entscheidenden Momenten zuschlagen können wie ein Raubtier, das auf seine Beute gelauert hat.
Wer heute auf die 17 Grand-Slam-Titel Federers zurückblickt und auf all seine Siegesserien, könnte meinen, das sei ihm leichtgefallen. Tat es nicht. Es gab unzählige Spiele, die er gewann, obschon er nicht der bessere Mann auf dem Platz war. Aber er blieb immer dran, wartete geduldig auf seine Chancen. Wawrinka hat bei seinem Siegeszug in Melbourne eine Anleihe bei Federer gemacht. Er gewann gegen Berdych nur einen Punkt mehr, und im Marathon gegen Novak Djokovic hatte er gesiegt, obschon er acht Punkte weniger geholt hatte. Dass er diese mentale Reife nun auf der grössten Bühne bewies, zeigt, dass er in seinem Kopf ein Champion geworden ist. Champions finden Wege zum Sieg in diesem komplizierten Sport, in dem einem der Gegner mit jedem Schlag eine neue Aufgabe aufgibt.
Die wertvolle Erfahrung von Coach Norman
Man muss zuerst daran glauben, bevor man etwas Grosses schaffen kann. Dieser Glaube ist bei Wawrinka in den vergangenen Monaten stetig gewachsen. Sein neuer Coach Magnus Norman, ein besonnener Kenner der Szene, hat dem Romand technisch (bei der Vorhand) und taktisch schon einiges mitgegeben. Aber sein grösstes Verdienst ist, dass er bei ihm diesen Glauben an grosse Siege gestärkt hat. Als Spieler verlor der Schwede einst, im Jahr 2000 am French Open gegen Gustavo Kuerten, seinen einzigen Grand-Slam-Final. Er sei damals im Kopf nicht richtig bereit gewesen für diesen grossen Moment. Als er auf den Court gekommen und sich der Bedeutung des Spiels bewusst geworden sei, habe ihn die Nervosität übermannt.
Auch deshalb sei er so motiviert, mit Wawrinka Verpasstes nachzuholen und einen Grand-Slam-Titel zu gewinnen, sagte er im vergangenen Sommer zu Beginn ihrer Zusammenarbeit. Mit einem weiteren Sieg würde sich der Romand in eine ganz andere Sphäre katapultieren. Dann würde er definitiv nicht mehr als «der andere» Schweizer neben Federer wahrgenommen, sondern als einer, der mit einer interessanten Biografie Erstaunliches geschafft hat. Aber er darf nur nicht zu fest daran denken, was wäre, wenn. Er muss einfach weiter träumen, arbeiten und an sich glauben.
Erstellt: 23.01.2014, 16:12 Uhr
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Tennis-Experte Simon Graf.
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