Staatsanwaltschaft heizt Fangewaltdebatte an
Erstmals wird die Brutalität der Gewalt für die breite Bevölkerung sichtbar. Damit löst die Staatsanwaltschaft grosse Empörung aus – ganz bewusst.
Die Fangewalt in Zürich hat eine neue Dimension erreicht. Gestern hat die Stadtpolizei ein Video veröffentlicht, das die heftige Auseinandersetzung zwischen Zürcher Fans zeigt. Ein Mob vermummter FCZ-Fans greift auf dem Maagplatz vor dem Prime Tower GC-Fans an. Sie stossen sie zu Boden und traktieren sie mit Fusstritten gegen den Kopf – selbst wenn diese bewegungslos am Boden liegen. Aus GC-Kreisen heisst es, es habe sechs Verletzte gegeben – vier leicht, zwei mittelschwer. Offiziell bestätigt ist das nicht. Der Vorfall hat sich am 28. Februar ereignet.
Neu ist nicht die schockierende Gewalt als solche, sondern die Veröffentlichung des Videos. So wird für eine breite Bevölkerung plötzlich sichtbar, was die Polizei sonst in Mitteilungen jeweils mit «Auseinandersetzung zwischen rivalisierenden Fans» umschreibt. Die Zürcher Strafverfolgungsbehörden betreten mit der Publikation des Videos Neuland – und das ganz bewusst. «Wir hoffen, dass die Diskussion um Fangewalt entfacht wird», sagt Edwin Lüscher gegenüber «20 Minuten». Der Staatsanwalt leitet die sogenannte Krawallgruppe, welche sich hauptsächlich mit Hooligans und Linksextremen auseinandersetzt. «Wenn es so weitergeht, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis es Schwerverletzte oder Tote gibt», schiebt Lüscher nach.
Die für die Staatsanwaltschaft zuständige Regierungsrätin Jacqueline Fehr sieht kein Problem darin, dass sich die Strafverfolgungsbehörden so aktiv einbringen. Das Video zeige, wie brutal Fangewalt sei, und habe deshalb präventiven Charakter. «Die Polizeikräfte haben auch einen Präventionsauftrag. Die Staatsanwaltschaft kann in Zusammenarbeit mit der Polizei dazu durchaus einen Beitrag leisten», sagt Fehr. Gewisse Kreise könnten durch solche Videos zu Gewalt animiert werden, sagt hingegen Daniel Süss, Professor für angewandte Psychologie, im Interview.
Neu ist auch, dass die Polizei mit einem solchen Video nach Zeugen sucht. Zwar hat sie schon früher Aufnahmen von Ausschreitungen online gestellt, aber immer im Zusammenhang mit der Fahndung nach Einzelpersonen. Um eine solche Öffentlichkeitsfahndung handle es sich explizit nicht, sagt Stadtpolizeisprecher Marco Cortesi: «Wir haben die Verantwortung, jede Straftat aufzuklären.» Als alle anderen Mittel in der Untersuchung erschöpft waren, habe man sich zur Veröffentlichung entschieden, um eventuell doch noch einen Schritt vorwärtszukommen. Bis heute sind keine Anzeigen von verletzten Personen eingegangen. Eine Erklärung: Zwischen den Fans besteht ein Ehrenkodex, dass man nicht mit der Polizei kooperiert und keine Anzeige erstattet.
Wolff setzt auf Gewaltenteilung
Die gestrige Mitteilung der Stadtpolizei überrascht aber auch inhaltlich. Am Tag nach dem Vorfall schrieb die Polizei, nach einem kurzen Gummischroteinsatz habe die Polizei die Situation rasch unter Kontrolle bringen können. Nun berichtet die Polizei aber von Angriffen der Fans auf Beamte, wodurch die Polizei daran gehindert wurde, auf den Maagplatz zu gelangen. Das Ausmass der Gewalt sei erst mit den Videoaufnahmen deutlich geworden, sagt Cortesi. Vom Angriff wurden die Polizei wie auch die GC-Fans überrascht. Cortesi fragt sich, wie es möglich sei, dass ein solcher Mob anreist und die Polizei von niemandem einen Hinweis bekommt. GC-Fans wiederum fragen sich, warum die Polizei erst spät darauf aufmerksam wurde, da sie vor Ort war. Denn vor Spielen zwischen den beiden Clubs versammeln sich GC-Fans seit einigen Jahren jeweils beim Prime Tower und begeben sich danach auf den Fanmarsch über die Duttweilerbrücke zum Stadion Letzigrund.
Um der Fangewalt Herr zu werden, hat Sicherheitsvorsteher Richard Wolff (AL) vor wenigen Wochen das Projekt Orbit lanciert. Die interdepartementale Arbeitsgruppe verfolgt das Ziel, Massnahmen gegen die Gewalt zu entwickeln, die ausserhalb der Fussballstadien ausgeübt wird. Zum Vorpreschen der Staatsanwaltschaft in die öffentliche Diskussion und zum Video will sich Wolff nicht äussern. Sein Sprecher Mathias Ninck verweist auf die Gewaltenteilung. Der Entscheid zur Publikation dieses Filmmaterials obliege der Staatsanwaltschaft, darauf habe die Politik keinen Einfluss. Ebenso wortkarg geben sich die Fussballvereine, denen die Fans angehören. Der FC Zürich äussert sich gar nicht. Und die GC-Geschäftsstelle schreibt: «Gewalt und Krawalle haben an und rund um Fussballspiele nichts zu suchen.» GC begrüsse die Veröffentlichung der Szenen und sichert seine «volle Bereitschaft zur Kooperation» zu.
Umso lauter beteiligt sich die Bevölkerung an der öffentlichen Diskussion. Viele der zahlreichen Beiträge in den sozialen Medien und in den Kommentarspalten von Onlinezeitungen überschreiten dabei allerdings die Grenzen des Anstands.
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