Stadtlauf wegen Flüchtlingen abgesagt
Paris sagt einen lange geplanten Lauf ab – weil entlang der Route Tausende obdachlose Flüchtlinge campieren. Kritiker sprechen vom «Trottoir der Schande».

Es gibt viele gute Gründe, ein Freiluftsportereignis abzusagen. Zum Beispiel wenn Sturm oder Hagel die Teilnehmer gefährden oder ein nationaler Trauerfall das Ereignis unangemessen wirken lässt. In Paris wurde nun der für den 13. Mai angekündigte Stadtlauf La Grande Course abgesagt. Der Grund? Auf der 10 Kilometer langen Strecke leben 3000 obdachlose Flüchtlinge. In einer Presseerklärung schreiben die Veranstalter, es sei «menschlich schwierig», eine Joggingstrecke «mitten durch ein Flüchtlingslager» verlaufen zu lassen.
Menschlich schwierig ist eine sehr vorsichtige Beschreibung für die Lage am Pariser Canal Saint-Martin. Ende März schätzten Flüchtlingsorganisationen noch, dass auf den Quais im Norden der Stadt 2000 Menschen campieren. Innerhalb eines Monats, seit eine der wichtigsten Erstaufnahmeeinrichtungen der Stadt geschlossen wurde, sind 1000 hinzugekommen. Die meisten kommen aus dem Sudan, aus Eritrea, Libyen, Äthiopien und Afghanistan. Unter Brücken und unter der Stadtautobahn haben sie Zelte aufgeschlagen.
Auch Kinder in der Zeltstadt
Einmal pro Woche kommt ein Team freiwilliger Ärzte und hofft zu verhindern, dass Epidemien ausbrechen. Wenn die Menschen nicht vor ihren Zelten hocken, stehen sie an. Kritische Anwohner haben das Trottoir vor dem Aufnahmezentrum der Hilfsorganisation Terre d'Asile in «Trottoir der Schande» umbenannt. Jeden Tag, jede Nacht harren dort Hunderte aus, um einen Termin zu bekommen, um Asyl zu beantragen.
Die Nichtregierungsorganisation Terre d'Asile gibt an, dass drei Viertel der Obdachlosen versucht hätten, einen Platz in einer staatlichen Einrichtung zu bekommen. Die Behörden sagen hingegen, dass in den Aufnahmezentren rund um Paris insgesamt 750 Plätze für Flüchtlinge zur Verfügung stünden und dort noch Betten frei seien. Über eine Evakuierung der Zeltstadt, in der auch Kinder hausen, spricht aktuell jedoch niemand. Paris ist somit nach dem «Dschungel in Calais» zu einem weiteren Schauplatz des französischen Asylchaos geworden.
Hilfsorganisationen wie Terre d'Asile oder Amnesty International behaupten, dass die Behörden schlicht kein Interesse an der Verbesserung der Erstaufnahme hätten. Frankreichs Innenminister Gérard Collomb spricht hingegen von einer «Überflutung ganzer Regionen durch Flüchtlinge».
Paris ist zu einem weiteren Schauplatz des Asylchaos geworden. Der Innenminister spricht von einer «Überflutung».
Im Vergleich mit Deutschland sind die Flüchtlingszahlen in Frankreich in den vergangenen Jahren stetig, aber nicht sprunghaft gestiegen. 2017 beantragten in Frankreich 100'412 Menschen Asyl, ein Anstieg von 17 Prozent gegenüber 2016. In Deutschland stellten im selben Zeitraum 222'000 Menschen einen Asylantrag. Frankreich hat eine Bevölkerung von 66,9 Millionen Menschen, in Deutschland sind es 82,7 Millionen. Mit dieser «Überflutung» begründete Collomb das neue Asylgesetz, das am 22. April von der Nationalversammlung verabschiedet wurde.
Die Debatten über das Gesetz zeigen Zweierlei. Erstens, dass das von Präsident Emmanuel Macron verkündete Ende rechter und linker Politik für den Bereich Migration nicht gilt. Und dass sich die Regierung kaum für die Camps in den Strassen von Paris und den Dünen von Calais interessiert.
Die Mehrheit der Nationalversammlung, La République en Marche (LRM), folgte bisher der Überzeugung ihres Gründers Macron: Die besten Lösungen sind pragmatisch, nicht ideologisch. Doch die Frage, wie man mit Flüchtlingen und Migranten umgehen will, ist zum Gradmesser der politischen Identität geworden. Und in dieser Frage stehen sich die linke Überzeugung, dass Demokratien zum Schutz Schwächerer verpflichtet sind, und die rechte Überzeugung, dass eine entschiedene Begrenzung von Migration den gesellschaftlichen Frieden wahrt, unversöhnlich gegenüber.
LRM gelang es nicht, einen Konsens zu finden. Sie lieferte ein Gesetz, das den Linken zu restriktiv ist und den Rechten zu lasch. Auch in der neuen selbst erklärten Mitte um Macron wurde das Gesetz nur zögerlich angenommen. 14 der 312 LRM-Abgeordneten blieben der Abstimmung fern, da sie sich weder zu einem Ja noch zu einem Nein durchringen konnten. Der Menschenrechtsanwalt Jean-Michel Clement verliess wegen des Gesetzes die Fraktion.
Das neue Gesetz hilft nicht
Für Pierre Henry, den Leiter von Terre d'Asile und Berater der französischen Regierung in Flüchtlingsfragen, ist das Gesetz «unnütz». Es soll die Dauer der Asylverfahren verkürzen, Abschiebungen erleichtern und gleichzeitig den Familiennachzug für anerkannte Flüchtlinge vereinfachen. Doch die Ankunft der Flüchtlinge in Frankreich dürfte, so glaubt Henry, weiter anarchisch und chaotisch verlaufen.
Für die Migrationsexpertin der Zeitung «Le Monde», Maryline Baumard, steht hinter dem neuen Gesetz das «uneingestandene Ziel, Menschen davon abzubringen, nach Frankreich zu kommen». Für die, die bereits im Land sind und in der französischen Hauptstadt in Vergessenheit geraten, sind keine Lösungen in Sicht.
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