Statt Rock 'n' Roll ein Strauss von Jazzballaden
Ein Rock 'n' Roller singt Jazz: Auf «Kisses on the Bottom» versucht sich Ex-Beatle Paul McCartney als sentimentaler Entertainer – mit Erfolg.

John Lennon wusste, womit er seinen Freund und Konkurrenten Paul McCartney am besten provozieren konnte – mit dessen Hang zu romantischen Klängen und Big-Band-Jazz: «Altmodische Folksongs für Omas», lautete einer seiner sarkastischen Sprüche, wenn ihm McCartney wieder einmal ein sentimentales Lied vorsummte. Dabei wusste Lennon genau, was er dem Melodiker an seiner Seite zu verdanken hatte: «When I'm Sixty-Four», «Yesterday», oder «Your Mother Should Know» waren Songs, die sich auf die Musik vor Elvis Presley beriefen. Mit ihrem nostalgischen Anstrich und der heilen Welt, die sie evozierten, gaben sie Gegensteuer zur popkulturellen Revolution und relativierten sie. Jahrzehnte nach der Auflösung der Beatles und John Lennons Tod wagt Paul McCartney jetzt in doppelter Hinsicht einen grossen Schritt: Er legt ein neues Album vor, das sich fast ausschliesslich auf jazzige Arrangements und das «Great American Songbook» verlässt. Und er tritt – erstmals überhaupt – «nur» als Sänger auf und überlässt das Spielen den anderen.