Stockers Steuerpoker
Weil der Kanton Zürich das Jahr viel besser abschliesst als erwartet, kündigt der Finanzdirektor eine Steuersenkung an. Dabei drohen die Einnahmen ohnehin zu schwinden.

Zürichs Finanzdirektor Ernst Stocker (SVP) operiert derzeit in einem merkwürdig schillernden Modus zwischen Besorgnis und Zuversicht – je nach Thema und Publikum. Auf der einen Seite verbreitet er Angst, dass der Kanton im Wettbewerb um Steuerzahler durchgereicht wird. Auf der anderen Genugtuung über einen Finanzhaushalt, der so gesund ist, dass die Regierung in Geberlaune gerät. An der gestrigen Präsentation der Jahresrechnung (siehe Infobox rechts) dominierte die optimistische Seite.
Die Geberlaune manifestierte sich am eindrücklichsten in Stockers Ankündigung, dass die Regierung den Staatssteuerfuss für die Jahre 2020 und 2021 von heute 100 auf 98 Prozent senken will. Für einen Durchschnittsverdiener mit 60'000 Franken steuerbarem Einkommen würde das eine Ermässigung von 58 Franken bedeuten; wer doppelt so viel verdient, zahlt 166 Franken weniger. Vorausgesetzt, das Vorhaben schafft es durchs Parlament – die Linke hat Widerstand angekündigt, da die Steuerreduktion primär den Reichen nütze.
Ein Gegengeschäft fürs Personal
Für Stocker hat diese hingegen auch die Funktion eines Schmiermittels, um ein zweites Vorhaben durchs bürgerlich dominierte Parlament zu bringen: Das Personal des Kantons soll wieder mehr Lohn erhalten. Genauer gesagt, soll die aus Spargründen gekürzte Summe für Lohnerhöhungen und Prämien ab 2019 wieder aufs alte Niveau gehoben werden. Damit bricht Stocker de facto also einen besonders umstrittenen Teil des Sparprogramms Lü16 vorzeitig ab. Das Personal arbeite effizient und bringe Leistung, sagte Stocker. «Ich bin überzeugt, dass man das honorieren sollte.»
Die Steuersenkung kostet den Kanton etwa 100 Millionen Franken im Jahr, die Lohnerhöhungen 75 Millionen. Setzt man das in Relation zum gesamten 15-Milliarden-Franken-Haushalt, geht es um ein gutes Prozent. Möglich wurden beide Massnahmen laut Finanzdirektion nur durchs Sparprogramm, dank dem der Kanton die Ausgaben im Schnitt um 570 Millionen pro Jahr reduziert hat.
Dass der Kanton wieder Geld ausgeben mag, zeigt sich auch andernorts: Er hat 2017 mehr als eine Milliarde investiert, vor allem in Bauvorhaben wie das Polizei- und Justizzentrum. Dies im Gegensatz zum Vorjahr, als das Budget nicht ausgeschöpft wurde, weil laut Stocker diverse Vorhaben nicht vom Fleck kamen. «Man kann uns diesmal sicher nicht mehr vorwerfen, dass wir zu wenig ausgegeben haben.» Während Stocker mit den Investitionen die Linke zufriedenstellt, nahm er auch für ein Anliegen der Rechten Geld in die Hand: Der Kanton hat seine Schuldenlast um weitere 86 Millionen Franken reduziert, sie beträgt nun noch 4,75 Milliarden.
Die Steuerzahler kommen abhanden
Die sorgenvolle Seite des Zürcher Finanzministers bekommen derweil die Parlamentarier in Bern zu sehen, wo Stocker weiterhin für eine Anpassung der neuen Unternehmenssteuerreform weibelt: Es geht um das umstrittene Instrument einer zinsbereinigten Gewinnsteuer, ohne das Zürich nach seiner Darstellung im Steuerwettbewerb mit anderen Kantonen ganz nach hinten durchgereicht würde. Die Folge wäre ein Loch im Staatshaushalt, das noch akzentuiert würde durch eine andere Parallelentwicklung: Auch die natürlichen Personen zahlen pro Kopf weniger Steuern, wie aus der heute Freitag präsentierten Rechnung hervorgeht. Obwohl die Bevölkerung im letzten Jahr um mehr als ein Prozent gewachsen ist, sind die Steuereinnahmen stagniert.
Warum das so ist, ist Gegenstand von Spekulationen. Eine der in der Zürcher Politik kursierenden Thesen lautet, dass Topsteuerzahler weniger Bonuszahlungen erhalten. Eine andere, dass gewichtige Steuerzahler abgewandert sind. Eine dritte, dass unter den Zuzügern Leute mit geringem Einkommen gegenüber gut verdienenenden Fachkräften überwiegen. Endgültig entscheiden lässt sich diese Frage laut der Finanzdirektion aufgrund der Steuerdaten nicht.
«Erstaunlich» zum jetzigen Zeitpunkt
Klar ist nur, dass es gute Gründe gibt, wenn Stocker einige «Herausforderungen» auf sich zukommen sieht. Gestern beteuerte er zwar, der Kanton sei dafür dank mehr Eigenkapital und weniger Schulden «besser gerüstet als auch schon». Er gestand aber ein, dass auch Prognosen derzeit schwieriger seien als auch schon. Falls sich die Aussichten trüben, müsse man auf die geplante Steuersenkung wieder zurückkommen.
Die Zürcher Grünen bezeichnen es angesichts der Unwägbarkeiten als «erstaunlich», zum jetzigen Zeitpunkt die Steuern senken zu wollen. Die AL vermutet dahinter angesichts des finanzpolitischen Umfelds einen Plan, das nächste Sparprogramm gezielt zu provozieren. Der Tenor: Man müsse abwarten, wie viel der Kanton bei den Unternehmenssteuern verliert. Ganz anders die Bürgerlichen. Laut SVP sind Steuersenkungen jetzt ein Muss, damit der Kanton auch in Zukunft attraktive Rahmenbedingungen biete – und die Einnahmen in Zukunft wieder steigen. Auch die FDP verlangt zusätzliche Massnahmen, um das Steuersubstrat zu steigern: Sie will etwa die Vermögenssteuer reduzieren, um Wohlhabende anzuziehen.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch