Stute Lukka beim Zahnarzt
Frank Schellenberger ist Spezialist für minimal-invasive Zahnoperationen bei Pferden. Hier wird der Zahn nicht gezogen, sondern mit Spezialwerkzeug herausgeschlagen.
Lukka ist parat, betäubt und sediert. Das Maul mit einem Spreizgatter geöffnet, steht das Islandpferd im Operationssaal, der mit seinen Stahlträgern und dem grossen Einfahrtstor an eine Garage erinnert. Anzumerken war Lukka nichts. Die weisse Stute schien gesund – bis der Pferdezahnarzt beim jährlichen Check-up ihren vierten oberen Backenzahn sah: abgestorben und gespalten.
Das Risiko einer Operation im Stall war zu gross. Deshalb ist Lukka nun im Pferdezahnzentrum im aargauischen Niederlenz. Zusammen mit zwei Kollegen operiert Frank Schellenberger hier an der Pferdeklinik Neugraben besonders knifflige Fälle.
«Mit der Zange kriegen wir diesen Zahn nicht mehr», sagt er, greift zum grossen Spreizer und beginnt, die Nachbarzähne des kranken Backenzahns wegzudrücken und diesen sachte zu lockern. Das ist eine Gratwanderung, die Geduld braucht. «Werden die Schmerzen zu gross, kann man an einem Punkt enden, wo es gefährlich wird.» Das dicht behaarte Tier schwitzt.
Die quaderförmigen Backenzähne stehen beim Pferd so dicht aneinander, dass der Pferdezahnarzt nicht einfach einen aus der Reihe herausziehen kann. Noch dazu, wenn der Zahn zu zerfallen droht wie bei Lukka.
«Werden die Schmerzen zu gross, kann es gefährlich werden.»
Die 13-jährige Stute lebt vermutlich schon länger mit dem abgestorbenen Zahn im Oberkiefer. Pferde sind Meister darin, ihre Schmerzen zu verbergen, auch Lukkas Besitzerin ahnte nichts. Mit der Zeit schoben sich Futterreste in die Bruchspalten, die in der Tiefe modern. «Wenn wir den Zahn nicht rausnehmen, bleibt das ein ewiger Eiterherd», erklärt der Tierarzt der Pferdehalterin, die ihm bei der Arbeit zusieht. «Früher wurde so etwas in Vollnarkose gemacht. Danach hatte das Pferd ein riesiges Loch im Schädel.»
Dass es auch anders geht, hörte Schellenberger erstmals 1997 von einem britischen Kollegen. «In der Fachwelt wurde das als Schmarrn abgetan.» Ihn aber liess die Idee nicht los. Mit Trennschleifer und Schweissgerät baute er sich Werkzeug. Das Ergebnis der jahrelangen Tüftelei: Frank Schellenberger wurde Spezialist für minimal-invasive Zahnoperationen am stehenden Pferd. Einmal pro Woche kommt der gebürtige Deutsche in den Aargau zum Operieren. Mittlerweile ist das Instrumentarium auch für Kollegen erhältlich.
Einen besseren Draht zum Tier
«Wenn das Tier nicht voll narkotisiert ist und steht, hat man einen besseren Draht zu ihm und muss auch mehr Rücksicht nehmen», sagt Schellenberger. Ausserdem belaste eine Sedierung das Tier weniger, und man umgehe das Risiko, das für das Pferd mit der Vollnarkose verbunden sei.
Die Assistentin rasiert Lukka an der Backe, desinfiziert die Stelle, Schellenberger setzt eine Betäubungsspritze und schneidet mit dem Skalpell ein kleines Loch in die Haut. Dann greift er zur Bohrmaschine. Durch das Loch in der Wange schraubt er behutsam von unten her einen etwa 30 Zentimeter langen Metallstift in den Backenzahn. Zwischendurch lobt er die Patientin, die erstaunlich brav stillsteht: «Du bist ein gutmütiges Pferd.»

Der lange Metallstift ist nun im Zahn verankert. Aber wie will der Tierarzt den nun ziehen? Schellenberger zieht nicht, er schlägt. Der Metallstift, der bizarr aus Lukkas Wange ragt, dient als Führungstange. Schellenberger schiebt einen Metallhammer mit einem Loch in der Mitte darauf und schlägt den Hammer am Stab, der unten einen Stopper hat, gefühlvoll hinab. So kann er nicht abrutschen.
Ein-, zwei-, zehnmal saust der schwere Metallkopf hinab – und der Zahn löst sich aus dem Kiefer. «Vor fünf Jahren hätten wir so etwas noch nicht im Stehen machen können», sagt Frank Schellenberger zufrieden – und präsentiert den stinkenden Zahn mitsamt der Wurzel.
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