Super schnell und super zerstörerisch
Im September 2018 löste ein Erdbeben auf der indonesischen Insel Sulawesi einen Tsunami aus. Forscher befürchten, dass der türkischen Metropole Istanbul eine ähnliche Katastrophe droht.

Das Unglück kam rasend schnell. Am 28. September 2018 erschütterte ein Erdbeben der Stärke 7,5 die indonesische Insel Sulawesi. Nur Minuten später schwappte ein Tsunami über die Stadt Palu. Bei der doppelten Naturkatastrophe starben nach offiziellen Angaben über 4000 Menschen.
Nun zeigen zwei unabhängige geowissenschaftliche Analysen, dass es sich bei dem Beben um ein besonders schnelles gehandelt hat, eines, das in einer dicht besiedelten Region auch besonders schlimme Schäden anrichten kann. Dies berichten die Teams um Anne Socquet von der Universität Grenoble und Jean-Paul Ampuero von der Université Côte d'Azur in der Fachzeitschrift «Nature Geoscience».
Während Socquets Team aus Satellitendaten berechnete, wie sich der Untergrund verschoben hatte, wertete das Team um Jean-Paul Ampuero Erdbebenwellen aus, die unter anderem ein weit entferntes Netz von Messstationen im Südosten Australiens aufgezeichnet hat. «Beide Gruppen kommen mit ihren sehr unterschiedlichen Methoden zu den gleichen Ergebnissen, die auf ein superschnelles Erdbeben hindeuten», sagt Marco Bohnhoff vom Deutschen Geo-Forschungs-Zentrum (GFZ) in Potsdam.
Solche Spannungen im Untergrund entstehen in Sulawesi, aber auch in anderen Gebieten wie im Marmarameer nahe Istanbul, an der San-Andreas-Verwerfung zwischen San Francisco und Los Angeles oder im Golf von Akaba zwischen der Halbinsel Sinai in Ägypten und Saudiarabien. Dort schieben sich jeweils Erdplatten mit Geschwindigkeiten von wenigen Zentimetern im Jahr aneinander vorbei. Das klappt nicht immer reibungslos, und das Gestein an den Rändern beider Platten verhakt sich ineinander. Während die Platten sich weiter bewegen, stoppt die Bewegung an dieser Stelle, und es baut sich im Laufe vieler Jahre und Jahrzehnte Spannung auf. Wird diese zu gross, reisst das verhakte Gestein wieder auseinander, und die beiden Platten holen die in Jahrzehnten versäumten Bewegungen in einigen Sekunden nach.
Schnelle Ausbreitung des Bruchs
Genau das geschah 2018 rund 80 Kilometer nördlich der Stadt Palu (380'000 Einwohner) auf Sulawesi. «Von der Erdoberfläche bis in eine Tiefe von etwa 18 Kilometern bildete sich ein Bruch, der sich 180 Kilometer weit in Nord-Süd-Richtung ausbreitete», sagt Bohnhoff. Auf beiden Seiten dieses Bruchs bewegen sich die Erdplatten in entgegengesetzte Richtungen, in der Stadt Palu massen Forscher, dass zwei vor dem Beben nebeneinanderliegende Punkte nachher sieben Meter auseinanderlagen.
Solche Verschiebungen sind bei starken Erdbeben durchaus normal. Sehr ungewöhnlich ist dagegen die Geschwindigkeit, mit der sich der Bruch ausbreitete. «Normalerweise geschieht das mit 70 bis 90 Prozent der Geschwindigkeit, mit der sich Scherwellen in diesem Gestein ausbreiten», sagt der Geophysiker Martin Mai von der King Abdullah University of Science and Technology (Kaust) in Thuwal (Saudiarabien). Im Gestein in der Nähe von Palu beträgt diese Geschwindigkeit normalerweise etwa 3,4 bis 3,8 Kilometer pro Sekunde (km/s). Tatsächlich lag sie aber bei 4,1 km/s, berichtete Ampueros Team.
Diese Supergeschwindigkeit erreichte die sich ausbreitende Bruchzone obendrein schon sehr rasch nach ihrer Entstehung. «Das zeigt, dass sich in den vergangenen Jahrzehnten sehr starke Spannungen im Untergrund aufgebaut hatten», deutet Martin Mai diese Beobachtung.
Weshalb sich so hohe Spannungen aufbauen konnten, wollen die Forscher in den kommenden Jahren untersuchen. Denn es gibt noch mehr Regionen auf der Erde, in denen sich die Erdplatten ähnlich wie unter Sulawesi aneinander vorbeischieben. Und in denen in absehbarer Zukunft mit einem starken Erdbeben zu rechnen ist. Dazu gehört der Golf von Akaba oder die San-Andreas-Verwerfung zwischen San Francisco und Los Angeles.
Dann gibt es noch die Nordanatolische Verwerfung in der Türkei, entlang der es in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder zu katastrophalen Erdbeben gekommen ist. Nur ein Abschnitt in der Nähe der Metropole Istanbul blieb seit 1766 von schweren Erdbeben verschont. Die Wahrscheinlichkeit für ein verheerendes Beben in den kommenden 30 Jahren schätzen Experten wie Marco Bohnhoff mit bis zu 70 Prozent ein.
Tsunami im Marmarameer
Bohnhoff selber untersucht in der Nordtürkei – fernab der Erschütterungen durch Schwerverkehr und Bauarbeiten – kleine Erdbeben. «Wenn wir die Physik dieser Mini-Beben besser verstehen, können wir die Ergebnisse auch auf grössere Beben übertragen», sagt er. Dabei könnten auch superschnelle Bruchzonen wie auf Sulawesi eine Rolle spielen: «Als 1999 ein starkes Beben rund hundert Kilometer östlich von Istanbul ungefähr 18000 Menschen das Leben kostete, breitete sich der Bruch in einem Bereich ebenfalls superschnell aus», sagt Bohnhoff.
Dieses Beben löste im Marmarameer auch einen Tsunami aus, dessen Wellen 2,5 Meter Höhe erreichten. «In Istanbul gab es in historischen Zeiten auch 6 Meter hohe Tsunamiwellen», sagt Bohnhoff. In Palu auf Sulawesi erreichte der vom Erdbeben ausgelöste Tsunami an manchen Stellen sogar 11 Meter Höhe und tötete so mehr Menschen als das starke Erdbeben.
«Auf Sulawesi kamen aber mehrere unglückliche Umstände zusammen», sagt GFZ-Forscher Jörn Lauterjung. So liegt die Stadt Palu am Ende einer lang gestreckten Bucht, die mit ihren steilen Ufern und den 700 Meter hohen Bergen einem Fjord verblüffend ähnelt. Die Erdbeben-Bruchzone verlief genau unter dieser Bucht und löste an den steilen Unterwasserhängen mehrere Schuttlawinen aus. Die dadurch ausgelösten Tsunamiwellen bäumten sich in der schmalen Bucht stark auf und verwüsteten so Palu.
Weil das Beben direkt unter der engen Bucht und Palu die Erde erschütterte, dauerte es nur kurz, bis die Wellen die Stadt erreichten. «In dieser extrem kurzen Zeit kann kein Tsunami-Frühwarnsystem auf der Welt eine zuverlässige Warnung auslösen», sagt Lauterjung.
Trotzdem sieht der GFZ-Forscher auch bei solchen Fällen eine Möglichkeit, die Zahl der Opfer zu verringern. «Die Menschen in diesen Regionen müssen immer wieder auf richtiges Verhalten im Ernstfall trainiert werden», schlägt Lauterjung vor.
Spürt man am Strand ein starkes Erdbeben und halten die Erschütterungen einige Sekunden oder länger an, ist das ein natürliches Warnzeichen für einen möglichen Tsunami. «Wenn das passiert, sollten die Menschen, ohne nachzudenken und ohne auf eine offizielle Warnung zu warten, sofort in höhere Regionen rennen», sagt Lauterjung. Ein naher Hügel, höhere Häuser oder auch Rampen, die zu höheren Etagen eines Parkhauses führen, können dann das Leben vieler Menschen retten.
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch