SVP-Gegner bereit für den nächsten Kampf
Nach der Abfuhr für die Selbstbestimmungsinitiative planen Verbände die Rettung von Schengen und der Personenfreizügigkeit.

«Mit einem Nein habe ich gerechnet, aber in dieser Deutlichkeit war es eine Überraschung.» So hält es die Berner SP-Nationalrätin Nadine Masshardt fest, und sie bringt damit ein weitverbreitetes Empfinden auf den Punkt. 66,2 Prozent Ablehnung für die Selbstbestimmungsinitiative, kein einziger Kanton mit einer Ja-Mehrheit: Das hatte man nicht erwartet.
Nicht bei der SVP, die beträchtliche Summen in die Abstimmungskampagne investierte. Aber auch nicht bei den Gegnern, die von ihrem eigenen Erfolg überrascht scheinen – und die sich jetzt aber umso mehr in ihrer Taktik bestätigt sehen. Denn die Planungen für die nächsten Kämpfe sind bereits angelaufen.

Anders als noch 2014, als das Ja zur Masseneinwanderungsinitiative das Schweizer Establishment überrumpelte, sind die SVP-Gegner heute glänzend organisiert. Rund 70 Verbände aus allen politischen Lagern umfasst die Allianz, die sich dem Schutz stabiler internationaler Beziehungen und der Menschenrechte verschrieben hat – und deren Vertreter zuletzt Anfang November in Bern zusammentrafen. «Vor der Abstimmung ist nach der Abstimmung: Darin war man sich bei dem Treffen einig», sagt Economiesuisse-Direktorin Monika Rühl.
Die bei der Selbstbestimmungsinitiative erprobte Kooperation soll demnach 2019 weitergeführt werden: Dann wird voraussichtlich über das von der SVP bekämpfte Schengen-Waffenrecht abgestimmt. Und später will man vereint gegen die SVP-Initiative zur Kündigung der Personenfreizügigkeit antreten.
Eine Schlüsselrolle spielt dabei die von Economiesuisse und anderen Wirtschaftsverbänden geführte Gruppe «stark + vernetzt». Sie vor allem ist es, die die Koordination mit Organisationen wie Operation Libero und Schutzfaktor M sicherstellt. Diese Verbände gehören zum operativen Kern der Anti-SVP-Allianz.

Im Kampf um die Selbstbestimmungsinitiative hat das Grüppchen etwa darauf geachtet, dass die jeweilige Klientel mit Argumenten bedient wurde, auf die sie besonders gut ansprach. Die Wirtschaftsverbände warnten vor ökonomischem Schaden und internationaler Isolation, die Organisationen um Schutzfaktor M vor der Bedrohung der Menschenrechte.
«Mindestens so wichtig war aber die zeitliche Absprache», sagt Economiesuisse-Chefin Rühl. «Wir haben nicht alle Botschaften zeitgleich platziert, sondern gestaffelt: Mal ging es eine Woche lang um ökonomische Argumente, dann wieder um die Menschenrechte.» Nadine Masshardt, die für die SP am Abstimmungskampf mitwirkte, formuliert es so: «Die Kampagne wurde früh geplant, es gab einen gemeinsamen Auftakt. Danach hat man sich abgesprochen, die Zielgruppen aber separat mobilisiert. Das hat sich bewährt.»

Diese «bewährte» Zusammenarbeit soll nun also wieder spielen, wenn es um die Mitgliedschaft bei Schengen und der Personenfreizügigkeit geht. Für die SVP ist das kein gutes Omen. Schon das schlechte Ergebnis der Durchsetzungsinitiative 2016 dokumentierte die Nöte der Rechtspartei, gegen eine gut vernetzte Allianz aus Wirtschaft und Menschenrechtsorganisationen anzukommen.
Der gestrige Sonntag hat es nun erneut bestätigt. Selbst Justizministerin Simonetta Sommaruga (SP) liess es sich nicht nehmen, vor den Medien darauf hinzuweisen, dass das Nein zur Selbstbestimmungsinitiative Teil einer längeren Niederlagenserie der SVP sei – wobei sie den Bogen zurück bis 2012 schlug, als die Initiative «Staatsverträge vors Volk» scheiterte. «Die Bevölkerung weiss den Ausgleich zu schätzen», bilanzierte Sommaruga. «Niemand soll alleine alles entscheiden können.»
Innerhalb der SVP scheint die schlechte Performance auf die Kampfmoral zu drücken – namentlich was die Initiative gegen die Personenfreizügigkeit betrifft. Ein hochrangiges SVP-Mitglied deutet im Gespräch sogar die Möglichkeit eines Rückzugs an, was einer Premiere gleichkäme: «Geht die Zuwanderung weiter zurück, wird die Initiative vielleicht sogar obsolet.» SVP-Präsident Albert Rösti erklärt im Interview immerhin, das Ziel der Initiative, weniger Einwanderung, könnte schon vor der Abstimmung erreicht werden.
Video: Die Gegner der Selbstbestimmungsinitiative triumphieren
Die Gegner der Selbstbestimmungsinitiative jubeln im Restaurant Grosse Schanze in Bern.
Bei einer solchen Entwicklung werden sich womöglich die Stimmen mehren, die auf einen Rückzug drängen. Der Schaffhauser SVP-Ständerat Hannes Germann sagt es heute schon offen: Je tiefer die Zuwanderung sei, desto schwerer werde es die Initiative in der Bevölkerung haben. «Der Schuh drückt dann nicht so fest wie 2014 bei der Abstimmung über die Masseneinwanderungsinitiative.» In einem solchen Fall, so Germann, würde es aus seiner Sicht kaum Sinn machen, an der Initiative festzuhalten.
«Voll durchziehen»
Andere dagegen postulieren Durchhaltewillen. SVP-Nationalrat Roland Büchel etwa findet, die SVP müsse die Kündigungsinitiative «voll durchziehen», unabhängig davon, wie gross die Zuwanderung gerade sei. Büchel verhehlt zwar nicht, dass es bei geringer Zuwanderung schwieriger werde, die Abstimmung zu gewinnen. Er betont aber: «Wir machen eine Initiative nicht für die nächsten zwei Jahre. Die Schweiz muss die Zuwanderung wieder selbstständig steuern.»
Innerhalb der Anti-SVP-Allianz verbleibt man denn auch in Alarmbereitschaft. «Wir konnten jetzt zwar wieder feststellen, dass das Volk den Wert internationaler Verträge kennt und sie nicht aufs Spiel setzen will», sagt der Solothurner FDP-Nationalrat Kurt Fluri.
«Aber wir müssen uns nichts vormachen: Wenn die Konjunktur schlecht läuft, dann steigen die Chancen der Kündigungsinitiative.» Ein höherer Nein-Stimmen-Anteil als jetzt bei der Selbstbestimmungsinitiative liege so oder so kaum drin: «Mit dieser Deutlichkeit hat wirklich niemand gerechnet.»
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