Geldberater: Der Marktschrei(b)erSwiss Re forciert Digitalisierung
BKW steht auf der politischen Agenda +++ Westwing verdient an Couch-Potatoes +++ Tecan kauft zu +++ Gamestop ist keine Wette mehr wert.

Swiss Re: Verkaufen
Schwierige Jahre sind überstanden: Swiss Re musste Sonderaufwendungen wegstecken, schlecht laufende Betriebsteile sanieren. Jetzt aber hat der Versicherer gemäss Konzernchef Christian Mumenthaler erprobte Onlineinstrumente, um die mehr als tausend Grosskunden in ihrer Digitalisierung des Versicherungsgeschäfts zu unterstützen. Zudem entstehe ein neues Geschäftsfeld mit der intern aufgebauten Fintech-Firma IptiQ, die eine Plattform betreibt für digitale Versicherungsabschlüsse. Bereits seien 42 Partner an Bord, etwa Ikea und die UBS sowie neu die Plattform Immoscout Deutschland und der Versicherungskonzern Zurich Insurance. Eine Beschleunigung ist bitter nötig. Seit 2017 übersteigt die Dividendenzahlung das ausgewiesene Jahresergebnis. Im ersten Quartal hat Swiss Re die Einnahmen und den Gewinn verbessert. Doch Gefahren bleiben. Die Klimaveränderung provoziert womöglich schwere Naturereignisse. Die Pandemie kann weitere finanzielle Belastungen verursachen, und wenig wägbar sind auch Verpflichtungen wegen cyberkriminellen Vorfällen. Vorsicht ist folglich angebracht. Verkaufen
BKW: Kaufen
Die BKW beschäftigt sich auf allen Ebenen mit der Politik. Im Kanton ist die Aufspaltung des Energiekonzerns in einen staatlichen Stromversorger und einen privaten Infrastrukturdienstleister nach der Parlamentsdebatte von vergangener Woche vom Tisch. Auf nationaler Ebene publizierte der Bundesrat den Entwurf des neuen Stromgesetzes. Auch hier lief es im Sinne der BKW, die verlauten liess, der Bundesrat adressiere die zentralen Elemente. Auf kontinentaler Ebene aber harzt es: Nach dem Verhandlungsabbruch zum Rahmenabkommen ist ein Stromvertrag mit der EU in weite Ferne gerückt. Immerhin haben am Mittwoch die Abgeordneten des Europaparlaments über die Beziehungen der EU zur Schweiz debattiert – und einen neuen Namen vorgeschlagen: «Abkommen zur besseren Zusammenarbeit». Das käme in der Öffentlichkeit womöglich besser an. Die BKW könnte fürs Erste vor allem vom neuen Schweizer Stromgesetz profitieren. Kaufen
Westwing: Dosiert kaufen
Vom Sofa aus ein Sofa kaufen, ohne Probesitzen. Was ich mir vor kurzem noch nicht vorstellen konnte, funktioniert tatsächlich. Die Pandemie hat dem Online-Möbelhandel einen veritablen Wachstumsschub verliehen. Zum Beispiel profitierte die deutsche Westwing gleich doppelt: Einerseits mussten viele zu Hause ein Büro einrichten und werden vermutlich noch länger in den eigenen vier Wänden arbeiten. Andererseits blieben die deutschen Möbelläden im Lockdown geschlossen. Neben diesen Spezialeffekten dürfte der Onlinemarkt für Wohnprodukte zudem strukturell stark wachsen, weil der Digitalanteil noch viel tiefer liegt als in anderen Bereichen, etwa bei Konsumelektronik. Westwing will den Umsatz in den nächsten zwei bis drei Jahren auf 1 Milliarde Euro verdoppeln. Besonders wichtig sind dabei die Marketingaktivitäten in sozialen Medien, wo man die zweitmeisten Benutzer-Interaktionen aller deutscher Marken vorweisen kann. Die Westwing-Aktien nehmen bereits viel Positives vorweg; unter den verschiedenen digitalen Einrichtungshäusern haben sie aber die besten Perspektiven. Dosiert kaufen
Tecan: Kaufen
Seit Jahren sitzt Tecan schuldenfrei auf einem Haufen Geld, zuletzt auf fast einer halben Milliarde Franken. Geld, das in Zeiten der Niedrigzinsen kaum etwas einbringt. Nun aber kauft der Labordienstleister für 920 Millionen Franken die US-Firma Paramit. Damit wird Tecan etwa ein Drittel grösser, der Betriebsgewinn steigt ein Viertel und der Gewinn je Aktie bis zu einem Fünftel. Viele Investoren reagierten begeistert, Tecans Valoren sprangen in die Höhe. Das ist berechtigt, legt das Unternehmen doch brachliegende Mittel in industrielle Aktivitäten an, die eine wesentlich höhere Rendite versprechen. Manche sind skeptisch, weil Tecan das Angebot verbreitert. Ich denke, beide Unternehmen teilen viele Gemeinsamkeiten, etwa das Geschäftsgebaren, die Kundenorientierung oder die Unternehmenskultur. Wenn ich zudem auf Tecans Entwicklung seit 2012 blicke, als ein neues Management antrat, bin ich zuversichtlich. Mit dem Kauf wird sich der Umsatz im Vergleich zu damals fast verdreifachen. Auch die Profitmargen sind nun wesentlich höher. Kaufen
Gamestop: Verkaufen
Die Aktien der kriselnden US-Ladenkette für Videospiele Gamestop haben seit Anfang Jahr mehr als tausend Prozent gewonnen, getrieben durch eine Meute von Kleinanlegern, die sich über das Internetforum Reddit formiert hat. Die Bewertung der Titel hat nichts mehr mit dem Geschäftsverlauf zu tun. Hier erwarten seriöse Anleger vom Management rund um den neuen starken Mann und Investor Ryan Cohen, Gründer des Online-Tierbedarfhändlers Chewy, eine neue Strategie. Das Problem der Ladenkette: Videospiele werden heute über das Internet geladen, nicht mehr im Geschäft gekauft. Cohen hat schon verlauten lassen, er wolle Gamestop zum Amazon der Videospielbranche machen. Dafür hat er von ebenjenem Handelsriesen einen neuen Vorstandschef geholt. Gamestop hat in den vergangenen Wochen mehrere Millionen eigene Aktien am Markt verkauft und mehr als 1,1 Milliarden Dollar eingenommen – letztlich dank der Kursexplosion durch die Reddit-Meute. Das Geld soll «Wachstumsinitiativen» dienen. Doch erst, wenn die neue Strategie klar und gangbar scheint und sich der Kurs auf ein gesünderes Niveau zurückgebildet hat, kann die Aktie wieder eine Wette wert sein. Verkaufen
Diese Kolumne wird von den Redaktorinnen und Redaktoren der «Finanz und Wirtschaft» verfasst. Sie haben sich verpflichtet, nicht in den entsprechenden Titeln aktiv zu sein. Wer die Tipps dieser Kolumne umsetzt, tut das auf eigenes Risiko. Die SonntagsZeitung übernimmt keine Verantwortung. Weitere Artikel der «Finanz und Wirtschaft» finden Sie unter www.fuw.ch
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