Für Beifallsbekundungen ist es viel zu früh, schliesslich haben die zurückliegenden zwei Jahre die Welt gelehrt, dass auf jedwede Meldung über Fortschritte im amerikanisch-chinesischen Handelsstreit verlässlich der nächste Nackenschlag folgt. Und doch: Die Ankündigung aus Peking, beide Seiten seien im Zuge eines ersten Teilabkommens dazu bereit, einen Teil ihrer bilateral verhängten Strafzölle zurückzunehmen, ist der erste echte Lichtblick seit langem.
Die Deeskalation ist dringend nötig, denn die Präsidenten Donald Trump und Xi Jinping haben mit ihrem Hin und Her aus Zöllen und Gegenzöllen nicht nur die Lieferketten zerstört, sondern vor allem jenes Kapital, das Firmen unbedingt brauchen, um zu investieren: Vertrauen. Mit jedem Tag, an dem der Handelsstreit weiter schwelt, wächst die Gefahr, dass der globale Konjunkturabschwung in eine von Menschen sehenden Auges verschuldete Rezession mündet – die wohl dümmste Form aller denkbarer Weltwirtschaftskrisen.
Es stellt sich jedoch die Frage, was hinter der Annäherung steckt. Ist es tatsächlich Einsicht oder vielleicht doch eher die Sorge Trumps, sich mit einem Konjunktureinbruch in den USA 2020 aller Wiederwahlchancen zu berauben? Leider spricht viel dafür, dass jenes zweite, eher taktische Kalkül ausschlaggebend war.
«Zölle waren für den Präsidenten bisher auf allen politischen Feldern das mitunter einzige Handwerkszeug.»
Dabei ist der Grat, auf dem der US-Präsident wandelt, schmal, denn es wird diesmal nicht reichen, einige kosmetische Änderungen als sensationellen «Deal» zu verkaufen. Dafür hat Trump im Streit mit Peking zu hoch gepokert – und dafür sind auch die Probleme zu gravierend. Schliesslich geht es in dem Konflikt ja nur vordergründig um Soja-Exporte. Der eigentliche Kern ist die weiterhin ungelöste Frage, wer der Welt im 21. Jahrhundert wirtschaftlich und politisch seinen Stempel aufdrücken wird. Noch sind in beiden Kategorien die USA die Nummer eins, doch China macht ihnen den Platz mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln streitig, wogegen sich die Amerikaner mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln wehren. Ein solcher Grundsatzkonflikt lässt sich nicht mit zeremoniellem Pomp zukleistern, wie Trump ihn so sehr liebt.
Hinzu kommt: Zölle waren für den Präsidenten bisher auf allen politischen Feldern – vom China-Streit über die illegale Zuwanderung bis zum Syrien-Konflikt – das mitunter einzige Handwerkszeug. Dass ihm sein Druckmittel der Wahl nun ausgerechnet gegenüber Peking ein wenig aus der Hand gleitet, ist für ihn kein gutes Signal. Es zeigt nämlich, dass sein «Freund» Xi in dem Streit am längeren Hebel sitzt. Zwar kann auch Xi einen Abschwung nicht einfach ignorieren, denn die Macht seiner kommunistischen Partei fusst ausser auf Repression auch auf ihrer Fähigkeit, immer mehr Menschen zu bescheidenem Wohlstand zu verhelfen. Anders als Trump muss Xi aber nicht fürchten, abgewählt zu werden. Er kann das Problem vielmehr aussitzen, indem er einige symbolische Zugeständnisse macht und ansonsten das Ergebnis der US-Wahl in einem Jahr abwartet.
Hier liegt die eigentliche Gefahr: Sollte Trump eines Morgens aufwachen und erkennen, dass doch Xi der schlauere Dealmaker ist, könnte jeder Fortschritt mit ein, zwei Twitter-Breitseiten gegen China umgehend dahin sein. Ein Wesenszug des Präsidenten nämlich ist womöglich noch mächtiger als seine Sehnsucht, wiedergewählt zu werden: seine Eitelkeit.
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Taktik statt Einsicht
Nehmen die USA und China ihre Strafzölle wirklich teilweise zurück? Trump taktiert.