Während Pandemie vom Staat profitiertTausende Firmen haben bei Corona-Geldern betrogen
Fast 2500 Firmen haben Geld bezogen, obwohl sie in einem Konkursverfahren steckten. In der Kritik stehen auch die Behörden – sie sollen nicht genau genug hingeschaut haben.

Tausende Unternehmen nutzten die Corona-Pandemie, um missbräuchlich Kurzarbeitsentschädigungen vom Staat zu beziehen. Ein Bericht der Eidgenössischen Finanzkontrolle, der in der Nacht auf Dienstag veröffentlicht wurde, sorgt für Furore: Nicht nur haben 219 Unternehmen Kurzarbeitsgelder bezogen und sich Kreditbedingungen entzogen, indem sie Dividenden an ihre Aktionäre auszahlten. Sondern es haben auch zahlreiche Unternehmen Kurzarbeitsgelder bezogen, auf die sie gar kein Anrecht hatten.
So befanden sich laut dem Quartalsbericht der Finanzkontrolle 2483 Firmen in Konkurs- oder Liquidationsverfahren und bekamen dennoch Kurzarbeitsentschädigungen von den kantonalen Arbeitslosenkassen ausbezahlt. Dazu hatten sie kein Anrecht. Zudem befanden sich laut dem Bericht fast 2700 Unternehmen in einer Fusionsphase, was das Risiko doppelter Abgeltungen erhöht habe.
Das Staatssekretariat war frühzeitig gewarnt
Die Finanzkontrolle warnte das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) bereits im Frühling, dass Konkurs- und Liquiditätsverfahren oder ein Fusionsprozess ein Risiko für Doppelzahlungen darstellen könnten. Doch das Seco widerspricht vehement. Es habe das Risiko im Frühling untersucht, mit dem Resultat: Eine derartige Gefahr bestehe nicht. Die kantonalen Arbeitslosenkassen seien jeweils schnell im Bild – und daher komme es nicht zu solchen doppelten Zahlungen.
An einer Telefonkonferenz am Dienstag sagte Boris Zürcher, Direktor für Arbeit im Seco, es sei schade, dass die Stellungnahme im Bericht der Finanzkontrolle keine Erwähnung gefunden habe.
Offenbar hat die Argumentation des Seco die Finanzkontrolle überzeugt. Denn diese verzichtet in ihren künftigen Berichten darauf, Konkurs- und Liquiditätsverfahren als Risikofaktor für Doppelzahlungen zu nennen. «Der Entscheid, wie mit den Ergebnissen der Abklärungen umgegangen werden muss, liegt und bleibt beim Fachamt», sagt ein Sprecher der Finanzkontrolle.
Missbrauch in 10 Prozent der Fälle
Abgesehen vom Streit um die richtige Bewertung kommt auch das Seco zum Schluss, dass es viele Fälle von missbräuchlich bezogenen Kurzarbeitsgeldern gibt. Allein im August gingen bei ihm fast 1000 Verdachtsmeldungen von Whistleblowern und Arbeitslosenkassen ein.
Bei der Prüfung durch Revisoren ergab sich, dass in 130 Fällen die Kurzarbeit fehlerhaft erhoben wurde. Ein effektiver Missbrauch – also wenn Unternehmen absichtlich falsche Angaben gegenüber der Arbeitslosenkasse machten – wurde in 20 Fällen festgestellt.
Insgesamt wies das Seco bei den bislang durchgeführten Kontrollen in rund 10 Prozent der Fälle einen Missbrauch nach und reichte Strafanzeige gegen die Unternehmen ein.
Bereits Anfang Juni schlug die Finanzkontrolle Alarm, die Auszahlung von Kurzarbeitsentschädigungen müsse stärker überprüft werden. «Ich bin schockiert von der Anzahl an Beanstandungen, Fehlern und Missbräuchen», sagte Direktor Michel Huissoud gegenüber Radio SRF. Kurzerhand reagierte der Bund: Das Seco verdreifachte seine Prüfkapazitäten. Es kamen 40 externe Revisoren dazu.
17,4 Millionen Franken zurückgefordert
Seitdem das Seco seine Prüfungen verstärkt und weitere Revisoren ins Boot geholt hat, ist die Anzahl geprüfter Fälle in die Höhe geschnellt. Auch die im Fall eines Missbrauchs oder einer fehlerhaften Erfassung der Kurzarbeit zurückgeforderten Gelder von Arbeitgebern haben stark zugenommen. Im Juni wurden Gelder in der Höhe von 11,6 Millionen Franken zurückgefordert. Im Juli waren es 15,9 Millionen Franken. So hoch wie im August war der Betrag bislang noch nie: 17,4 Millionen Franken.
Die Bemühungen des Seco, verstärkte Kontrollen durchzuführen, stossen auf Anklang. So begrüsst die Finanzkontrolle, dass Missbrauchsfälle konsequent verfolgt werden. Zur Höhe der Rückforderungsgelder sagt sie: «Die Zahlen belegen, dass die Kontrollen nötig sind.» Ein Grossteil der Korrekturen basiere auf Fehlern, ein geringer Teil auf Missbrauch. Dieser sei kein Massenphänomen, komme aber vor.
Bis heute haben mehr als 160’000 Unternehmen Kurzarbeitsentschädigung erhalten. Laut Peter Hegglin, Zuger Mitte-Ständerat und Präsident der Finanzkommission, sind bei einer so hohen Anzahl Missbräuche nicht auszuschliessen. «Dies ist ärgerlich und gilt es zu verhindern», sagt er.
Die Kommunikation zwischen Finanzkontrolle und Seco erachtet Hegglin als konstruktiv. In der Verwaltung sei man auf Missbrauchsfälle sensibilisiert und habe die Prüfungen und Kontrollen verbessert und verstärkt. Müssen nun Prüfstellen genauer hinsehen, oder ist es an den Unternehmen? «Fehlbare Unternehmen sind zu sanktionieren und die Gelder wenn möglich zu sichern», sagt Hegglin. Aktuell sollten Missbräuche weniger möglich sein, eine schnelle Überprüfung von Verdachtsmeldungen sei jedoch weiterhin wichtig.
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