Teil 11: Eine wilde Nacht und der Morgen danach
Der Sommerroman im Tages-Anzeiger. Folge 11: Wie Franco plötzlich zwischen zwei Frauen steht.

Was zuletzt geschah: Gewarnt von Fabias Vater Robert «Röbeli» Soland, sind Franco und seine Cousine zu deren Freundin Sarah geflüchtet.
«Ich glaub, ich geh jetzt ins Bett», sagte Fabia.
Über zwei Stunden waren sie, Franco und Sarah am Tisch gesessen. In der Küche von Sarahs unterkühlt, aber teuer eingerichteten Wohnung. Sie hatten etwas Kleines gegessen, Wein getrunken und getratscht. Das heisst getratscht hatten vor allem die beiden Frauen. Über Napoli, Serien, Zürichs neue Hochhäuser, die Szene, ob man noch ins Rimini gehen könne. Oder in die Bäcki, ins Kafi für Dich.
«Überall immer dieselben Leute», klönte Sarah.
«Dieselben Leute, die so tun und aussehen wie du.» So weit dachte Fabia, aber nicht weiter. Weil sich etwas in ihr sträubte weiterzudenken, was die Spannung auf den Tisch gebracht hätte, die schon länger zwischen ihr und der Freundin schwelte. Manchmal nervte sie Sarahs Getue gottsjämmerlich. Dieses sich abgrenzen und drüberstehen Wollen um jeden Preis. Auch ihr gegenüber. Dieses dezente, aber immer präsente sich Wichtigmachen ohne Inhalt, den Sarah verpackte wie alle anderen auch, von denen sie sich doch so bemüht abheben wollte. Zum Beispiel mit der grossrahmigen Hornbrille, die sie trug wie hundert andere auch. Kein Grund also, sich als etwas Besseres zu fühlen. So gingen die Gedanken, die Fabia nicht denken wollte. «Guet Nacht, ich geh ins Bett.» Fabia stand auf, verzog sich in Sarahs Schlafzimmer und räumte so das Feld.
Jetzt war es still in der Küche. Unangenehm still, fand Franco und sinnierte, wie das wohl Sarah empfand. Er fingerte an einem Korken herum und kam zu keinem Schluss. Irgendwie konnte er sie nicht deuten. Irgendwie fand er sie eine Zicke, und irgendwie ...
«Franco, jetzt sag mal, was machst du wirklich in Zürich?»
Franco spürte, wie ihn Sarah fixierte. Er musste sich konzentrieren, um eine Antwort zu finden. Der Wein hatte das lückenhafte Zürichdeutsch, das ihm seine Mutter vererbt hatte, perfektioniert. Nur nicht das Wort «spitz». Das existierte nicht in seinem Wortschatz, weil es im Wortschatz seiner Mutter nicht existiert hatte. Zumindest nicht in diesem Zusammenhang, wenn man mit einer Frau spät an einem Küchentisch sass und die Nacht noch lang war. Die Gefühle, die das Wort aber transportiert, die begannen in ihm anzuklingen. «Ferien, sicuro», versicherte er. Dass er endlich einmal Zürich habe sehen wollen. Das schöne Zürich. Die Stadt, von der seine liebe Mutter so viel erzählt habe. Die Stadt, in der sie gross geworden sei. Die Stadt, die sie weggeschickt habe. Die Stadt der Liebe seiner Eltern, deren ganz eigenes Paris. Oder um es so zu sagen: seine Mutterstadt, die ihm fremd und doch vertraut vorkomme. Ihm, der in Napoli ...
Mit einem «Hör doch uf» kappte Sarah sec Francos Wortschwall. Das glaube sie nicht. Er habe doch kein Geld, kenne Fabia kaum, und im Kunsthaus sei er auch nicht gewesen. Nein, ein Tourist sei er bestimmt nicht.
«Aber im See war ich», wehrte sich Franco.
«Komm, was suchst du in Zurigo, Franco?»
Franco wurde langsam nervös. Wusste diese Ragazza etwas? Hatte Fabia von der Urne erzählt? Doch wann, wann hatte sie die Gelegenheit dazu gehabt? «Niente, ich suche nichts.» «Ich weiss schon, was du suchst», flüsterte Sarah, und als Franco ihre Hand auf seiner spürte, wusste er zumindest, was sie suchte. Ob er das Gleiche suchte, war er sich nicht sicher, doch im Moment war ihm das völlig egal. Und während Franco sich treiben liess, stellt sich der Leser am besten ein grosses Feuerwerk, Bohrtürme, einbrechende Staumauern und bei Bedarf flackernde Kerzen vor. «Ist etwas?» Lange brauchte Fabia nicht, um zu spüren, dass etwas in der Luft lag. Zu dritt sassen sie wieder in der Küche. Nur dass nicht mehr Nacht, sondern Tag war und auf dem Tisch statt Weingläsern Kaffeetassen standen. «Sagt mal, ist da was gelaufen? Sarah schwieg, Franco schwieg, und für Fabia war die Sache damit klar.
«Ich glaubs ja nicht, Sarah, konntest du es wirklich nicht lassen?» «Was geht dich das an?» «Er ist immerhin mein Gast, und ich finde es überhaupt nicht ok ...»
«... ach kuck, das Fräulein Soland ist eifersüchtig!»
«Hör sofort auf. Ich bin nicht eifersüchtig, aber du eine furchtbare ...»
Fabia fiel es schwer, das Wort auszusprechen, das ihr auf der Zunge lag. Immerhin war Sarah ihre Freundin, vielleicht sogar ihre beste. «Du meinst Schlampe», sagte die. «Ja, du Schlampe! Du kannst machen, was du willst, aber in diesem Fall, wir kommen zu dir, weil wir Hilfe brauchen, und du, du ...»
Fabia war den Tränen nahe. Nein, eifersüchtig war sie nicht. Ja, schon, ihr Cousin gefiel ihr, mit seiner geschwungenen Nase, den dunklen Haaren, den buschigen Augenbrauen und hellblauen Augen, aber eifersüchtig? Schliesslich war er ihr Cousin.
Und endlich gab auch der Mann ein Lebenszeichen von sich, um den es beim Streit ging. Franco, der noch nicht richtig begriffen hatte, was sich vor seinen Augen abspielte. Genauso wenig, wie er begriffen hatte, was sich in der Nacht abgespielt hatte. «Minchia», dachte er nur und wurde von den Gefühlen erneut überwältigt. Aber jetzt musste er sich konzentrieren:
«Fabia, prego, es war nicht Sarahs, es war meine Schuld.»
Fabia schaute ihn mit grossen Augen an und wollte gerade etwas sagen, doch genau in diesem Moment klingelte Francos Handy, das er wieder angestellt hatte, um ja keine wichtigen Anrufe zu verpassen.
Auch an einem anderen Ort in Zürich klingelte zur selben Zeit ein Handy: in einer Mietwohnung am Zürichberg, und vom Zürichberg kam auch der Anruf, aus einer Villa. «Winter.» «Sali Roli, da ist Röbi.» «Ah, ciao Röbi, was verschafft mir das Vergnügen?»
Es war im Grund eine überflüssige Frage, weil Roland Winter nur zu gut wusste, was ihm die Ehre von Robert Solands Anruf eintrug. Die beiden Freunde zu nennen, wäre übertrieben gewesen. Sie hatten gemeinsame Interessen, ja, der Gemeinderat Roland Winter und der frühere Bäcker und heutige Immobilienbesitzer Robert Soland. Und um Immobilien ging es bei diesem Anruf. Im weiteren Sinne, aber weil der Gemeinderat erst am nächsten Tag tagen sollte, hatte das im Moment keine Eile. Zurück also zu jenem anderen Telefongespräch in Sarahs Küche.
«Pronto. Ah, papà ..., sì, va bene. E tù? Sì. Com'è andata con la mamma...?»
Franco legte sein Telefonino zur Seite. Er hatte seinen Vater wegdrücken müssen. Cazzo, seine Mutter, er hatte das alles völlig vergessen. Klar, er musste die Urne wiederfinden. Doch wie? Im Moment gab es nur eines: Er musste, um wieder einen klaren Kopf zu kriegen, raus aus der Wohnung.
«Scusate, entschuldigt», sagte Franco nur. Dann ging er zur Tür, und weg war er. Zurück blieben zwei Frauen, die sich einigermassen ratlos anschauten.
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