Teilzeit boomt sogar bei Kaderangestellten
Die Generation Y drängt auf den Arbeitsmarkt, mit neuen Bedürfnissen und Vorstellungen – die Arbeitgeber sind gefordert.

Frohe Botschaft für die gut 3000 Mitarbeiter der BLS, der grössten Privatbahn der Schweiz. Seit 1. Januar können sie ihren Beschäftigungsgrad schrittweise um 20 Prozent reduzieren, bis zu individuell vereinbarten Pensen von nur noch 60 Prozent. Diese neue Regelung gilt vorbehaltlos für alle Funktionsstufen. Direkte Vorgesetzte dürfen sich nicht dagegen wehren.
Die garantierte Teilzeitarbeit ist eine von mehreren Massnahmen, mit denen das Berner Unternehmen, das unter anderem die Lötschberg-Bergstrecke und das Berner S-Bahn-Netz betreibt, die Anstellungsbedingungen gezielter auf die aktuellen Bedürfnisse des Arbeitsmarktes ausrichten will. Ab nächstem Jahr können die Mitarbeiter auch bis zwei Wochen zusätzliche Ferien «kaufen», Überzeiten für ein Sabbatical ansparen und vermehrt zu Hause im Homeoffice arbeiten.
Anteil Teilzeitmitarbeiter bei Schweizer Firmen steigt

Mit der Einführung des neuen Arbeitszeitmodells reagiert die BLS auf die Ergebnisse einer Mitarbeiterbefragung. Personalleiterin Franziska Jermann sagt: «Die Leute wollen die Arbeits- und Freizeit individuell gestalten. Sie wünschen flexible Arbeitszeiten, mehr Freizeit am Stück sowie familienfreundliche Rahmenbedingungen.» Deshalb gewährt die BLS seit Jahresbeginn erstmals einen zweiwöchigen Vaterschafts- und einen von 16 auf 18 Wochen verlängerten Mutterschaftsurlaub, der überdies nochmals um bis zu sechs unbezahlte Monate verlängert werden kann.
Zwar dürften längst nicht alle Angestellten von den neuen Möglichkeiten Gebrauch machen. «Doch die Resonanz ist gross», sagt Jermann, zumal die Mitarbeiter heute schon gute Erfahrungen mit Teilzeitarbeit machen. Christof Jordi zum Beispiel, der in der Werkstätte Spiez als Leiter Triebdrehgestelle für ein Team von 16 Leuten verantwortlich ist, hat seine Kaderfunktion auf ein Pensum von 90 Prozent reduziert. Die gewonnene Zeit nutzt er zur Weiterbildung.
Der Reisebegleiterin Janine Fuhrer ermöglicht der Teilzeitjob, neben dem Beruf ihre Aufgaben als alleinerziehende Mutter zu erfüllen. Sven Stähli, Teamleiter Projekte Fahrbahn, hat seine Kaderfunktion seit der Geburt des ersten Kindes im September 2015 auf 80 Prozent reduziert. Einen Tag pro Woche verbringt er statt im Betrieb bei der Familie zu Hause. «Es ist eine gute Lösung, die ich nur weiterempfehlen kann», sagt er.
Chefs: Teilzeitarbeit nimmt überdurchschnittlich zu
Jordi und Stähli sind zwei Beispiele für einen schweizweiten Trend: Zunehmend wollen Kaderangestellte Teilzeit arbeiten. Während früher vor allem Arbeitnehmer ohne Kaderfunktion an einem Teilzeitpensum interessiert waren, nimmt Teilzeitarbeit nun bei den Chefs überdurchschnittlich zu. Laut dem Bundesamt für Statistik ist die Zahl der Teilzeitarbeitenden seit 2011 um 12 Prozent gestiegen, bei den Arbeitnehmern mit Vorgesetztenfunktion jedoch um 24 Prozent. Noch stärker war die Zunahme bei den Arbeitnehmern in Unternehmensleitungen: plus 42 Prozent.

Das neue Arbeitszeitmodell der BLS ist für die Verantwortlichen zwar eine organisatorische Herausforderung. Doch das Unternehmen verspricht sich davon bessere Karten bei der Rekrutierung neuer Kräfte. «Wir wollen und müssen auf dem Arbeitsmarkt noch attraktiver werden», sagt Personalchefin Jermann. Sie bereitet sich auf einen Generationenwechsel vor. Viele ältere Mitarbeiter werden in den nächsten Jahren in Pension gehen. In die frei werdenden Stellen drängen die Digital Natives der Generation Y, mit ihren Bedürfnissen, Erwartungen und Vorstellungen. Ihnen ist, wie verschiedene Studien zeigen, eine ausgewogene Work-Life-Balance mindestens so wichtig wie ein guter Lohn.
Die Arbeitgeber kommen beim Kampf um diese künftigen Kräfte nicht darum herum, zeitliche «Goodies» anzubieten. Die Generation Y will ihr Berufs- und Privatleben individuell gestalten, mithilfe flexibler Arbeitszeiten, Jobsharing, Teilzeitarbeit, Sabbatical, längeren Ferien sowie Homework. Die Y-Jahrgänge wünschen längere Auszeiten, etwa um zu reisen oder sich weiterzubilden.
Allerdings: Mit dem neuen Arbeitszeitmodell spricht die BLS nicht nur die künftigen, sondern auch die aktuellen Mitarbeiter an. «Davon profitieren können auch ältere Beschäftigte, so etwa, wenn sie vor der Pension schrittweise kürzertreten möchten», sagt Jermann. Dieses Bedürfnis ist weit verbreitet: Gemäss dem Bundesamt für Statistik hat Teilzeitarbeit bei den älteren Mitarbeitern in den letzten Jahren sogar stärker zugenommen als bei den jüngeren.
Neue Zeitmodelle sind gefragt
Die Digitalisierung vieler Arbeitsprozesse löst einen weiteren Flexibilisierungsschub aus. Neue Zeitmodelle sind jetzt gefragt, die das standortunabhängige mobile Arbeiten und Homework mit einbeziehen. «Einzelne Elemente dieser neuen Arbeitswelt 4.0 sind zwar vielerorts schon umgesetzt», sagt Wirtschaftsprofessorin Heike Bruch von der Universität St. Gallen, «aber wirklich umfassend hat den Wandel noch kaum ein Unternehmen vollzogen.»
Die Swisscom setzt auf Instrumente wie Skype, damit die Mitarbeiter auch unterwegs oder von zu Hause zusammenarbeiten können. Im letzten Jahr hat der Konzern zudem den «Teilzeitmann» lanciert – ein Pilotprojekt, bei dem Männer probeweise Teilzeit arbeiten. «Die Idee ist, Vorurteile abzubauen und die Akzeptanz von Teilzeitarbeit zu erhöhen», sagt Sprecherin Annina Merk. Bei der Graubündner Kantonalbank, die länger schon Teilzeitbeschäftigung ab 40 Prozent und die Möglichkeit unbezahlten Urlaubs bis zu sechs Wochen bietet, können die Mitarbeiter seit diesem Jahr eine zusätzliche Ferienwoche kaufen. Die Berner Kantonalbank schreibt Kaderstellen stets mit einem Pensum von 80 bis 100 Prozent aus. Mit dem Resultat, dass es inzwischen Vorgesetzte mit einem reduzierten Pensum gibt, die sich einen Tag pro Woche um ihre Kinder kümmern. Und es gibt auch Stellen für zwei Vorgesetzte, die sich eine Führungsposition teilen. Ebenfalls zu den Pionieren der flexiblen Arbeitszeit zählt sich die Zürcher Kantonalbank. Mittlerweile ist knapp ein Drittel ihrer Beschäftigten in Teilzeit tätig. Bei Kaderleuten liegt die Quote bei 10 Prozent.
Arbeitsrecht beruht immer noch auf uraltem Modell
Im Trend sind ausserdem flache Hierarchien und eine flexible Teamzusammensetzung – je nach Projekt und momentaner Funktion eines Arbeitnehmers. Bei der Axa Winterthur etwa, die für die Förderung flexibler Arbeitsmodelle in den letzten Jahren mehrfach ausgezeichnet worden ist, sollen diese künftig noch stärker thematisiert werden. Bereits heute arbeiten 10 Prozent der Belegschaft in selbstgesteuerten Teams ohne Führung. 13 Prozent der Beschäftigten machen von der Möglichkeit der Telearbeit von daheim aus Gebrauch, Tendenz stark steigend. Beim Pharmakonzern Novartis können die Mitarbeiter bis zu 40 Prozent ihrer Arbeitszeit von zu Hause aus erledigen. Und gegen eine Lohnkürzung von 5 beziehungsweise 10 Prozent können sie 13 oder 26 Ferientage zusätzlich beziehen. Firmensprecher Satoshi Sugimoto betont, dass Novartis die Arbeit eigentlich noch stärker flexibilisieren und individualisieren möchte: «Doch dafür müsste das geltende Arbeitsrecht, das immer noch auf einem uralten industriellen Geschäftsmodell beruht, erst einmal an die neuen Formen und Bedürfnisse angepasst werden.»
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