Therapie mit dem eigenen Blut
Bei schmerzhaften Gelenkschäden lohnt es sich, alle konservativen Behandlungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Eine davon ist die Eigenbluttherapie.

Lynette Häuselmann hatte bereits einen Termin beim Orthopäden. Dort sollten die Details geklärt werden für die geplante Operation: Der 60-jährigen St. Gallerin drohte ein künstliches Hüftgelenk. Seit Monaten machte der sportlichen Frau eine fortgeschrittene Coxarthrose in der rechten Hüfte zu schaffen. Eine Zeit lang halfen ihr Schmerztabletten über die Runden, bis auch die nichts mehr nützten. Zuletzt konnte sie wegen der Beschwerden oft nicht einmal mehr richtig schlafen.
Doch je näher der Arzttermin rückte, desto unsicherer wurde Lynette Häuselmann. «Ich fand mich mit 60 einfach noch zu jung für eine Prothese.» Sie begann, im Internet nach sanfteren Behandlungsmöglichkeiten zu suchen – und stiess auf die sogenannte Eigenbluttherapie.
Selbstheilung wird aktiviert
Eigenbluttherapie? Was nach Alternativmedizin klingt, wird zunehmend auch in der Schulmedizin angewendet. Die Überlegung, die dahintersteckt: Dem Patienten werden zwischen 10 und 60 Milliliter Blut entnommen (zum Vergleich: Beim Blutspenden sind es 500). Aus dem Blut wird danach das blutplättchenreiche Plasma (englisch Platelet-Rich Plasma, kurz: PRP) gewonnen.
Dieses aufbereitete Plasma fördert Wundheilung und Wachstum. Schliesslich wird das Plasmakonzentrat an der degenerierten Stelle wieder eingespritzt – um dort die Selbstheilung zu aktivieren. Ein Behandlungszyklus umfasst in der Regel drei Infiltrationen im Abstand von einer Woche (bei Bedarf kann die Behandlung nach einem halben Jahr wiederholt werden).
«Ich fand mich noch zu jung für eine Prothese.»
Ein Pionier auf dem Gebiet der PRP-Therapie ist in der Schweiz Peter Schnorr. Der 56-jährige Sportmediziner mit Zusatzausbildung in Orthobiologie und Regenerativer Medizin begann 2013 in der Sportclinic Zürich, erste Patienten zu behandeln. Inzwischen hat er sich ganz auf die Regenerative Medizin spezialisiert und betreibt unter dem Namen «First Zurich» einen eigenständigen Ableger der Sportclinic.
Dort liegt jetzt Lynette Häuselmann auf dem Schragen. Unter Ultraschallkontrolle setzt ihr Peter Schnorr eine Spritze mit dem ihr zuvor entnommenen Blut ins lädierte Hüftgelenk. «Die Präzision ist entscheidend für den Behandlungserfolg», erklärt der Mediziner. «Das Blutkonzentrat muss genau an die defekten Stellen im Gelenk eingebracht werden.»

Die Patientin zuckt kurz zusammen. «Es tut schon weh», sagt sie, «aber es ist zum Aushalten.» Erträglich ist die Spritze für sie wohl auch, weil sie überzeugt ist von ihrer Wirkung. Bereits nach der ersten Eigenblutinfiltration habe sie eine positive Reaktion verspürt, erzählt sie. Beweglicher sei sie geworden und habe wieder besser geschlafen.
Martin Gerber (50) aus Erlenbach ZH, ein anderer Patient mit Hüftarthrose und selbst Unfallchirurg, schätzt nach drei Infiltrationen seine Schmerzreduktion auf «40 bis 50 Prozent». Er hofft nun, mit Physiotherapie und Krafttraining bis Ende Jahr eine weitere Verbesserung zu erzielen. Andernfalls würde er sich halt doch eine Prothese einsetzen lassen.
Kein Wundermittel
Eine Erfolgsgarantie gibt es bei der Eigenbluttherapie nicht, ihre Wirksamkeit ist wissenschaftlich umstritten. Spezialist Peter Schnorr, der in den letzten sechs Jahren Hunderte Patienten behandelt hat, weist etwa darauf hin, dass der Gelenkknorpel nicht schon zu stark zerstört sein sollte. Bei beginnender bis mittelschwerer Arthrose seien die Ergebnisse aber meist «sehr gut».

Mittlerweile wird die Eigenbluttherapie auch an etlichen anderen Schweizer Kliniken durchgeführt. So am Universitätsspital Zürich, am Kantonsspital Winterthur oder in der Sportsclinic Number 1 in Bern. «Bei Arthrose, die noch nicht allzu weit fortgeschritten ist, habe ich sehr gute und nachhaltige Effekte beobachtet», sagt auch Lukas Wildi, Chefarzt Rheumatologie am Kantonsspital Winterthur.
Ausser bei Gelenkschäden wird die Therapie auch bei Sehnen- und Muskelverletzungen eingesetzt. Nebenwirkungen sind keine bekannt, jedoch fehlen Langzeitstudien. Als einziges Risiko nennen die Ärzte eine Infektion. Diese Gefahr ist laut Schnorr gering.
Kassen bezahlen nicht
Trotz diesen guten Erfahrungen anerkennen die Krankenkassen die Eigenbluttherapie bislang nicht. Deshalb müssen die Patienten die Behandlung – rund 600 Franken pro Sitzung – selbst bezahlen. Das heisse aber nicht, dass die Therapie unwirksam sei, sagt Claudio Dora, Präsident der Fachgesellschaft Swiss Orthopaedics und selbst Leitender Orthopäde an der Zürcher Schulthess-Klinik.
Es sei jedoch die Aufgabe der Anwender dieser Behandlung, die Fälle so zu dokumentieren, dass der fehlende Wirksamkeitsnachweis erbracht werden könne. Aber auch die Krankenkassen, so Dora, wären dazu mit in der Pflicht.
Für Lynette Häuselmann ist jedoch schon heute klar: «Mir geht es deutlich besser als vor der Therapie – das künstliche Gelenk kann erst einmal warten.»
Vor wenigen Tagen hat sie wieder angefangen zu joggen.
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