Thomas Heiniger gewinnt gegen die Spitäler
Im Kanton Zürich dürfen Chirurgen gewisse Operationen nur noch durchführen, wenn sie eine Mindestfallzahl erreichen. Das Gericht lehnt Beschwerden der Spitäler ab.

Es geht um Brustkrebs, gynäkologische Tumore, Prostatakrebs, um Hüftgelenk- und Knieprothesen. Chirurgen, die diese Operationen durchführen, müssen neu eine jährliche Mindestfallzahl erreichen, damit sie ihre Patientinnen und Patienten in einem öffentlichen Zürcher Spital behandeln dürfen. Der Regierungsrat verlangt dies mit der aktualisierten Spitalliste. Ein Novum in der Schweiz.
Der freisinnige Gesundheitsdirektor Thomas Heiniger ist ein Vorreiter in Sachen Mindestfallzahlen. Bereits 2012 hatte Zürich als erster Kanton für einzelne Eingriffe der hoch spezialisierten Medizin Mindestfallzahlen pro Spital festgelegt. Die Grundüberlegung dahinter: Wer etwas öfter tut, tut dies besser. Inzwischen gibt es Vorschriften für knapp 30 Eingriffe. Das habe sich laut einer Analyse der Gesundheitsdirektion (GD) positiv auf die Qualität und die Wirtschaftlichkeit ausgewirkt: Die Mortalität sei bei diesen Behandlungen stärker gesunken, und die Kosten pro Fall seien weniger stark gestiegen als in den übrigen Bereichen, teilte die GD mit.
Nun geht Heiniger noch einen Schritt weiter. Ab nächstem Jahr reguliert er auch Eingriffe, die nicht als hoch spezialisiert gelten, und macht zusätzlich zu den Vorgaben pro Spital auch Vorgaben pro Operateur. Bei der Prostataentfernung verlangt die GD von einem Arzt mindestens 10 Eingriffe pro Jahr, bei Hüft- und Kniegelenkprothesen 15, bei Unterleibskrebs 20, bei Brustkrebs 30 und beim Ersatz einer Gelenkprothese sogar 50 Fälle.
Einwände nicht stichhaltig
Die neuen Vorschriften sind höchst umstritten. Mehrere Chirurgen wie auch Spitäler reichten dagegen Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht ein. Im Mai liess das Gericht bereits die Ärzte abblitzen, indem es ihnen die Beschwerdeberechtigung absprach. Jetzt hat es auch inhaltlich entschieden: Es bestätigt den Beschluss des Regierungsrats, die neuen Mindestfallzahlen treten also am 1. Januar 2019 in Kraft.
Wie das Bundesverwaltungsgericht mitteilt, hat es zur Beschwerde des Spitals Bülach ein Grundsatzurteil gefällt. Die anderen acht rekurrierenden Spitäler können davon ausgehen, dass ihre Beschwerden ebenfalls abgelehnt werden. Das Gericht beurteilte alle Einwände des Spitals Bülach als nicht stichhaltig.
Das Spital hatte bezweifelt, dass die Zürcher Gesundheitsdirektion überhaupt Vorschriften für einzelne Ärzte erlassen darf. Das Gericht kommt zum Schluss, das Bundesrecht biete dafür eine hinreichende Grundlage. Weiter warf das Spital der GD vor, sie ändere die Regeln während des Spiels, denn die Spitalliste gilt eigentlich zehn Jahre, das heisst bis 2022. Das Gericht hält es aber für zulässig, dass der Kanton Zürich das neue Instrument «kurz vor Erreichen des Planungshorizonts einführt». Die Mindestfallzahlen pro Operateur würden im öffentlichen Interesse liegen, und die Auflage sei «verhältnismässig». Sie verstosse auch nicht gegen das Gebot der Wirtschaftsfreiheit.
Laut dem Gericht knüpfen die Mindestfallzahlen zwar an die Tätigkeit beziehungsweise an die Qualifikation einzelner Operateurinnen und Operateure an. «Sie richten sich aber an die Spitäler, denen der Kanton einen Leistungsauftrag im Rahmen der Obligatorischen Krankenpflegeversicherung erteilt hat.»
Lebensweisheit aus dem «Struwwelpeter»
Ob die neuen Vorgaben die Qualität der Behandlungen tatsächlich verbessern, lässt das Gericht offen. Ein «streng wissenschaftlicher Nachweis mittels Studien aus der Schweiz», wie die Beschwerdeführerin verlange, sei aber gar nicht nötig, befindet es. Grundsätzlich sei es unumstritten, dass «hoch qualifizierte Tätigkeiten ein hohes Mass an kontinuierlicher Übung» verlangten. Der allgemein bekannte Grundsatz «Übung macht den Meister» gelte hier ganz besonders, «da sich operative Fehler auf die betroffenen Patientinnen und Patienten tödlich auswirken können», urteilt das Gericht.
Der Bülacher Spitaldirektor Rolf Gilgen, selbst Jurist, staunt über diesen Satz in einem Gerichtsentscheid: «Das kommt mir vor wie aus dem ‹Struwwelpeter›, es ist eine Lebensweisheit.» Er findet auch die anderen Ausführungen wenig überzeugend. Das Gericht habe sein Ermessen durchwegs zugunsten der Behörde genutzt. Auch wenn Gilgen den Entscheid bedauert: «Wenigstens haben wir nun Klarheit und können auf unsere anderen Angebote fokussieren.»
Halber Fall fehlt
Bülach verliert den Leistungsauftrag für die gynäkologischen Tumore. In den Jahren 2016 und 2017, welche die Gesundheitsdirektion als Entscheidungsgrundlage nahm, hat es zusammen nur 39 statt 40 solcher Eingriffe durchgeführt, wobei es vom einen Jahr aufs andere eine Steigerung von 12 auf 27 Fälle gab und im laufenden Jahr die Mindestfallzahl von 20 bereits erfüllt ist.
Rolf Gilgen hat bei der GD ein Wiedererwägungsgesuch gestellt – umsonst. «Uns fehlte ein halber Fall pro Jahr, und der Kanton hat nicht aufgerundet, sondern abgerundet», ärgert sich Gilgen. «Da hätte ich mehr Augenmass und weniger Sturheit erhofft.» Mit dem Gerichtsurteil werde eine Befürchtung aller Regionalspitäler Tatsache, so der Bülacher Direktor: «Diverse Behandlungen werden zentralisiert, die Patientinnen und Patienten müssen künftig öfter nach Zürich.»
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