«Totale Demütigung für Putin»
Der Russe Alexander Prokoptschuk war Favorit für den Chefposten von Interpol. Nach internationalen Protesten wurde er nicht gewählt.

Die Wahl eines Interpol-Chefs interessiert im Normalfall nur Fachleute. Doch diesmal war es anders, weil mit dem Russen Alexander Prokoptschuk eine umstrittene Person kandidiert hatte. Der bisherige Vizepräsident der internationalen Polizeibehörde galt zwar als Favorit, gleichzeitig schlug ihm aber eine internationale Welle der Ablehnung entgegen. Der zunehmende Widerstand gegen Prokoptschuk entstand aus der Befürchtung, dass der Kreml Interpol für seine Zwecke instrumentalisieren könnte, indem er politische Gegner verstärkt mit internationalem Haftbefehl verfolgen lässt.
Die Äusserungen gegen den Polizeigeneral aus Russland zeigten Wirkung: Interpol hat an seiner heutigen Generalversammlung in Dubai den Südkoreaner Kim Jong-yang zum neuen Präsidenten gewählt. Der bisherige Interimschef erhielt 101 Stimmen, Gegenkandidat Prokoptschuk kam auf 61 Stimmen. Nicht zuletzt US-Aussenminister Mike Pompeo hatte offensiv für den Kandidaten aus Südkorea geworben. Pompeo rief die Mitgliedsstaaten von Interpol auf, für einen «integren Anführer» zu stimmen. «Wir glauben, dass Herr Kim ein solcher sein wird», erklärte Pompeo.
Plagiatsaffäre um Kim Jong-yang
Der neue Interpol-Chef ist bekannt dafür, international bestens vernetzt zu sein. Seine Karriere hatte ihn 2007 nach Los Angeles geführt, wo er im Generalkonsulat Südkoreas arbeitete. 2011 leitete er das Büro für auswärtige Angelegenheiten der nationalen Polizeiagentur. Im Jahr 2013 wiesen südkoreanische Medien ihm nach, Teile seiner zehn Jahre zuvor verfassten Doktorarbeit abgeschrieben zu haben. Danach räumte Kim diesbezüglich Fehler ein. Die Plagiatsaffäre schadete allerdings nicht seiner Karriere. In den letzten drei Jahren amtierte er als asiatischer Vize-Präsident von Interpol.
Der 57 Jahre alte Kim hat Interpol übergangsweise in den vergangenen Wochen geleitet, nachdem sein Vorgänger Meng Hongwei bei einer Reise nach China verschwunden war. Nach der heutigen Wahl zum Interpol-Chef sprach er in Dubai von «riesigen Herausforderungen für den Schutz der Öffentlichkeit und die Sicherheit». Um diese zu überwinden, «brauchen wir eine klare Vision», wurde der Südkoreaner auf Twitter von Interpol zitiert. «Wir müssen eine Brücke in die Zukunft bauen.»
Der Kreml verurteilte am Mittwoch scharf die Äusserungen vor der Abstimmung der Interpol-Delegierten in Dubai als Wahlbeeinflussung. «Natürlich tut es uns leid, dass unser Kandidat nicht gewonnen hat», sagte Regierungssprecher Dmitri Peskow. Die Wahl habe in einer «Atmosphäre von unerhörtem Druck und Einmischung» stattgefunden. Prokoptschuk bleibt nach Angaben des russischen Innenministeriums Vizepräsident von Interpol. Die internationale Polizeibehörde hat insgesamt drei Vizepräsidenten aus Europa, Asien und Amerika. Prokoptschuk vertritt Europa.
Chodorkowski und Browder prangern Russland an
Gegen die Wahl von Prokoptschuk an die Interpol-Spitze hatten sich auch die prominenten Kreml-Kritiker Michail Chodorkowski und Bill Browder engagiert. Am Dienstag traten sie gemeinsam an einer Medienkonferenz in London auf. «Interpol wurde nicht gegründet, um Menschen wegen ihrer politischen Einstellungen zu jagen», sagte Chodorkowski. Er spreche aus eigener Erfahrung. Das russische Interpol-Büro habe unter Leitung von Prokoptschuk permanent versucht, «mich zu verfolgen».
Auch der britisch-amerikanische Investor Browder hat seine Erfahrungen mit Russland gemacht. Er soll von Russland siebenmal auf die Interpol-Fahndungsliste gesetzt worden sein. «Putins Feind Nummer 1», wie sich Browder selber bezeichnet, zeigte sich am Mittwoch sehr zufrieden nach der Wahlniederlage von Prokoptschuk. Das Wahlergebnis sei ein «klarer Sieg der Rechtsstaatlichkeit über Korruption und Missbrauch». Auf Twitter schrieb Browder von einer «totalen Demütigung für Putin».
Kurz vor der Interpol-Generalversammlung hatte eine Gruppe von US-Senatoren in einer Erklärung davor gewarnt, mit Prokoptschuk den «Fuchs zum Chef im Hühnerstall» zu machen. Russland benütze Interpol «regelmässig», um gegen politische Gegner, Dissidenten und Journalisten im Ausland vorzugehen. Prokoptschuk sei «persönlich in diese Einschüchterungsstrategie involviert» gewesen. Moskau reagierte verärgert auf diese Kritik. Der Kreml sprach von einer «unzulässigen Politisierung Interpols» sowie «der Einmischung in einen Wahlprozess».
Auch aus der Ukraine oder Deutschland hatten sich Prokoptschuk-Kritiker zu Wort gemeldet, etwa Norbert Röttgen (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag. Röttgen sagte, Prokoptschuk sei als «führendes Mitglied des russischen Sicherheitsapparates» ein «Teil des Machtzentrums von Wladimir Putin». Prokoptschuk habe sein Amt als Leiter von Interpol Russland «vielfach missbraucht», um unliebsame Personen verfolgen zu lassen. Die Ukraine und Litauen drohten mit dem Austritt aus der internationalen Polizeibehörde, sollte der Russe Interpol-Präsident werden.

Gemäss einem Europarat-Bericht aus dem letzten Jahr gehört Russland, wie zum Beispiel auch die Türkei und der Iran, zu jenen Ländern, denen Missbrauch des Interpol-Systems vorgeworfen wird. Zwar hat Interpol keine eigenen Polizeikräfte und darf auch keine Strafverfolgung anstossen oder Haftbefehle ausstellen. Die 194 Mitgliedsstaaten können aber über Interpol einen internationalen Haftbefehl veranlassen. Interpol gilt offiziell als neutral.
Bisheriger Interpol-Chef in China festgehalten
Der bisherige Interpol-Chef, der Chinese Meng Hongwei, war Ende September in sein Heimatland gereist. Seine Frau meldete ihn daraufhin als vermisst. Erst Tage später informierte Peking Interpol darüber, dass Meng von seinem Posten zurücktrete. Zudem gaben die chinesischen Behörden bekannt, dass gegen Meng wegen Korruptionsvorwürfen ermittelt werde. Sein Nachfolger Kim Jong-yang soll nun Mengs Amtszeit bis 2020 komplettieren.
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