Transformation im Kopf
Am Montag kommt der Dokumentarfilm «Transformance» ins Kino. Er hat wenig mit den Technologien der Energiewende zu tun, dafür umso mehr mit diversen Denkansätzen.
Vielleicht war es keine gute Idee, mit Konstantinos Boulouchos einen Dokumentarfilm über die Energiewende anzuschauen. Der Professor am Institut für Energietechnik der ETH Zürich arbeitet seit Jahren «an der Entwicklung bestmöglicher Strategien für ein von Nachhaltigkeit geprägtes globales und nationales Energiesystem», wie es auf seiner Website heisst. Kaum jemand weiss besser, welcher Energiemix hier zum Ziel führt, welcher Anteil an regenerativen Energien sich künftig wie ins Stromnetz einbauen lässt und welche Rolle Elektro- und Hybridautos in der Mobilität der Zukunft spielen dürften.
Offizieller Trailer zu «Transformance». Video: Youtube
Nun sitzt er also in «Transformance» von Ron Maxim und wird gegen Ende zunehmend unruhig, schaut wiederholt auf die Uhr. Boulouchos ist der Stratege hinter der Energiewende, hat den Blickwinkel der technologischen Machbarkeit, kennt die Stärken und Tücken jeder Energietechnologie. Diesem komplexen technologischen Anspruch wird der Dokumentarfilm nicht gerecht, dem kann er nicht gerecht werden, natürlich nicht. «Das kann man in einem Film, der eine gute Stunde läuft, gar nicht behandeln», sagt Boulouchos.
Trotzdem wird der Energietechniker den Film später empfehlen. «Interessant war für mich ein Aspekt, den wir immer in der Diskussion mit unseren Studenten sehen», sagt Boulouchos. «Es gibt Leute, die denken, der Mensch muss sich fundamental verändern, sonst wird das nichts mit der Transformation. Und es gibt Leute, die denken, wir können das allein mit Technologie schaffen. Das ist ein grosses Spannungsfeld.» «Transformance» handelt von diesem Spannungsfeld. Es ist ein Film über die unterschiedlichen Blickwinkel auf die Energiewende, ein Film über die Transformation in den Köpfen der Menschen, die wohl auch nötig ist, damit die Energiewende gelingt.
Hyperloop versus Degrowth
Das eine Extrem der Sichtweisen verkörpern Dirk Ahlborn und Bibop Gresta mit der Firma Hyperloop Transportation Technologies. Das US-Unternehmen entwickelt eine Magnetschwebebahn, die mit mehr als 1000 Kilometern pro Stunde durch vakuumierte Röhren rasen soll. «Mit Hyperloop können alle Probleme des öffentlichen Verkehrs gelöst werden», verkündet Ahlborn mit grossem Selbstbewusstsein. Laut Boulouchos ist der Hyperloop allerdings eher ein Randthema in der Energie- und Mobilitätsdebatte. Auch äusserten Experten wiederholt Bedenken in puncto technischer Machbarkeit und Sicherheit des Hyperloop. Wie dem auch sei: Die Protagonisten repräsentieren jene Gruppe der Technologiegläubigen, deren Optimismus scheinbar keine Grenzen kennt.
Für das andere Extrem steht die Politikwissenschaftlerin Nina Treu. Sie ist Mitbegründerin von Konzeptwerk Neue Ökonomie mit Sitz in Leipzig und Teil der sogenannten Degrowth-Bewegung. Aus deren Perspektive ist eine nachhaltige Gesellschaft im Rahmen unserer auf Wachstum ausgerichteten Wirtschaft kaum möglich. «Seit der Industrialisierung ist unsere Wirtschaft und Gesellschaft total auf Wachstum ausgerichtet», sagt Treu. «Es ist extrem schwierig, wieder davon wegzukommen, und nicht einfach, die Grenze zu ziehen und zu entscheiden, bis wohin Wachstum Sinn macht.»
Zwischen diesen Extrempositionen kommen im Film diverse Wissenschaftler, Philosophen und Wirtschaftsvertreter zu Wort. Da ist zum Beispiel Greta Patzke, Professorin für anorganische Chemie an der ETH Zürich. «Der Trend, den die Welt nimmt, ist kein guter», sagt Patzke. «Es ist unsere Pflicht, menschliche Kultur weiter zu ermöglichen.» Sie möchte als jemand in Erinnerung bleiben, der den Menschen die künstliche Fotosynthese gegeben habe, sagt sie. Denn damit liesse sich aus Sonnenlicht speicherbare Energie gewinnen. So möchte die Chemikerin zur Lösung des Energie- und Klimaproblems beitragen.
Neue Probleme für die nächste Generation
Greta Patzke versteht den Menschen als Glied in einer langen Kette, ein Gedanke, der Boulouchos gefällt. «Die Menschheit hat ja viel erreicht. Es ist nicht alles schlecht, was wir erschaffen haben. Dank der Nutzung von Energie hat sich die Menschheit enorm entwickelt. Das geht gerne vergessen», sagt der ETH-Forscher. «Nur stossen wir mit unserem heutigen System an Grenzen. Wir haben Probleme geschaffen, welche die kommende Generation lösen muss. Aber es ist nicht so, dass wir ihr nichts zu bieten hätten. Auch die künftige Generation steht auf unseren Schultern.»
Zu den weiteren Protagonisten im Film gehört Steve Howard, bis Mitte 2017 verantwortlich für die Umwelt- und Nachhaltigkeitsstrategie des Ikea-Konzerns. Er sieht keinen Widerspruch zwischen Wachstum und den Nachhaltigkeitszielen von Ikea. Eine wesentlich kritischere Sicht der Dinge vertritt Anton Gunzinger vom Departement Informationstechnologie und Elektrotechnik der ETH Zürich. Aus seiner Optik leben wir heute von der Substanz der Erde. Etwa bei der Mobilität. Realistisch wäre laut Gunzinger ein Preis von 12 Franken pro Liter Benzin. Und es sei eigentlich unmöglich, für 30 Franken aus der Schweiz nach Berlin zu fliegen. Ein solcher Preis würde die Umweltschäden nicht abbilden.
Das Verhalten ändern
Boulouchos sieht sich irgendwo in der Mitte. Der stark moralisierende Ton der Degrowth-Bewegung missfällt ihm ebenso wie die Technikgläubigkeit einzelner Protagonisten. Dass es nicht nur um Klimaschutz geht, sondern auch um die knapper werdenden Ressourcen und um globale Gerechtigkeit, da ist er mit der Degrowth-Bewegung hingegen einig. Es brauche aber auch disruptive Technologien, um die Energiewende zu schaffen, wohl weniger den Hyperloop, aber zum Beispiel gute Batteriespeicher. «Wir haben Probleme. Diese sind nicht einfach zu lösen. Es wird eine Verhaltensänderung brauchen, vor allem um die Zeit zu strecken, bis wir die Treibhausgasemissionen auf nahezu null heruntergefahren haben», sagt Boulouchos. «Aber wir können es schaffen. Unser Planet ist zwar beschränkt. Das Potenzial für intelligente Lösungen ist es aber nicht.»
Zwischen den spannenden, vielfältigen und teils unversöhnlichen Gedanken der Protagonisten hat der Film gelegentlich Längen. Etwa wenn die Kamera wiederholt auf autoreiche Strassenkreuzungen fokussiert oder eine Stimme aus dem Autoradio zum x-ten Mal verkündet, am Gotthard herrsche 20 Kilometer Stau, eine Umfahrung sei nicht möglich. Spätestens nach der zweiten Einstellung dieser Art hat der Zuschauer verstanden, was der Dokumentarfilmer sagen will: Unsere heutige Mobilität führt sich in manchen Situationen ad absurdum.
Er selbst würde zwar andere Schwerpunkte setzen, dennoch könne er den Dokumentarfilm empfehlen, sagt Boulouchos. «Der Wert des Films liegt darin, dass er gute Anregungen liefert für die Diskussion über die Energiewende, durchaus auch für Schulklassen. Und das ist doch schon mal was.»
«Transformance» läuft ab Montag, 8. Januar, in diversen Schweizer Kinos.
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