Tritt Doris Leuthard bald zurück? Fünf Gründe dafür – und dagegen
Die Spekulationen um einen Abgang der CVP-Magistratin nehmen zu. Jetzt naht der perfekte Termin.

Sie befinde sich «am Ende ihrer letzten Legislatur», sagte Doris Leuthard vor neun Monaten im Westschweizer Fernsehen RTS. Seither rätselt die politisch interessierte Schweiz, wann die CVP-Bundesrätin abtritt. Erst nach Abschluss ihrer regulären Amtszeit Ende 2019? Oder doch schon früher? Vielleicht sogar schon am nächsten Freitag?
Der 15. Juni wird in Bundesbern heiss gehandelt. Der Grund: Das Datum scheint nahezu perfekt für einen Rücktritt. Die Tradition will es, dass Magistraten ihren Abschied verkünden, wenn sich die National- und Ständeräte in Bern befinden. Besonders geeignet ist jeweils der letzte Freitag einer Session, weil dann praktisch zeitgleich der Bundesrat und das Parlament zusammentreten.
Am kommenden Freitag könnte Leuthard zuerst ihre Regierungskollegen und gleich anschliessend das Parlament informieren. Ähnlich gute Zeitfenster gibt es für Leuthard bis zum Legislaturende nicht mehr. Je näher das Wahljahr 2019 rückt, desto eher würde ihr der vorzeitige Rücktritt als schäbiges parteipolitisches Wahlkampfmanöver ausgelegt.
Weil Doris Leuthard sich nicht in die Karten blicken lässt, nennen wir hier die fünf wichtigsten Argumente für und gegen einen Rücktritt kommende Woche.
Das spricht für einen Abschied am Freitag:
Die kontrollierte Nachfolge: Doris Leuthard hat ein ausgeprägtes Machtbewusstsein. Selbstverständlich würde sie gerne mitbestimmen, wer ihre Nachfolge antritt. Beobachtern zufolge ist die Walliser Nationalrätin Viola Amherd Leuthards Favoritin. Ein Rücktritt am nächsten Freitag würde Amherds Wahlchancen erhöhen, da die Bundesversammlung unter Druck stünde, eine Frau zu wählen. Bei einem Rücktritt Ende Legislatur ist die Nachfolge sehr viel unberechenbarer. Warum also soll Leuthard warten und zulassen, dass sie die Kontrolle über ihre Nachfolge verliert?
Die grosse Leere: Sachpolitisch ist die Sache für Doris Leuthard eigentlich bereits gelaufen. Ihre grössten Schlachten hat die ehemalige Parteipräsidentin gewonnen (Atomausstieg, Energiestrategie 2050, No-Billag-Initiative, die zweite Gotthardröhre und die Fonds für die Verkehrsinfrastruktur). Die einzige grosse Baustelle in ihrem Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation ist das neue Mediengesetz. Hier zeichnet sich aber eine mühsame Auseinandersetzung ab, bei der für Leuthard wenig Lorbeeren zu holen sind. Warum also noch 18 Monate im Bundesrat verweilen und darauf warten, dass der Vorwurf der «Lame Duck» ertönt?
Die grüne Gefahr:Falls die CVP bei den Wahlen 2019 einbricht, könnte ihr Bundesratssitz in Frage gestellt werden. Namentlich durch die Grünen. Mit einem Wähleranteil von 7,1 Prozent lagen diese 2015 zwar noch deutlich hinter der CVP (11,6 Prozent). Aber der Trend in den Kantonen verspricht Spannung: Die CVP verliert Wahl um Wahl, die Grünen sind im Hoch. Mit einem vorzeitigen Rücktritt könnte Leuthard jede Diskussion um den CVP-Bundesratssitz verhindern. Warum also ausharren und das Risiko eingehen, dass die CVP ihre Vertretung in der Landesregierung verliert?
Die rasche Erneuerung: Mit einem Rücktritt am 15. Juni könnte die CVP das mediale Sommerloch nutzen, um der Öffentlichkeit ihre Nachfolgekandidaten zu präsentieren, so wie das die FDP 2017 erfolgreich vorgemacht hat. Zudem würde Leuthard ihrer Partei ermöglichen, mit einem frischen Aushängeschild ins Wahljahr zu gehen. Neuen Schub hat die Partei bitter nötig. Warum also am Amt festhalten und die Chance auf rechtzeitige Erneuerung verstreichen lassen?
Die ungeteilte Aufmerksamkeit: Wenn Doris Leuthard jetzt geht, hat sie die ganze Show für sich. Warum also bis zum Ende der Legislatur bleiben und die Aufmerksamkeit mit Johann Schneider-Ammann (FDP) teilen, dessen Rücktritt auf diesen Zeitpunkt hin erwartet wird?
Und das spricht dafür, dass Doris Leuthard im Amt bleibt:
Der schwelende Skandal: Doris Leuthard ist nicht dafür bekannt, Problemen aus dem Weg zu gehen. Genau dies könnte ihr aber vorgeworfen werden, wenn sie kommende Woche ihren Abschied von der politischen Bühne verkünden würde. Der Subventionsskandal bei Postauto Schweiz, der in Leuthards Zuständigkeitsbereich fällt, ist noch nicht ausgestanden. «Es ist wichtig, dass die grössten Baustellen gelöst sind, und ich bin motiviert, dies zu tun», sagte Leuthard dazu im Februar in der NZZ. Bis Ende Juni werden nun zwar erste Resultate einer externen Untersuchung erwartet. Das Verwaltungsstrafverfahren im Bundesamt für Polizei (Fedpol) dürfte aber noch dauern. Warum sollte sie nach 12 Jahren im Bundesrat das Risiko eingehen, plötzlich als Abschleicherin zu gelten?
Das grosse Nichts: Doris Leuthard liebt die Macht. Mit 55 Jahren ist sie aber zu jung für ein Frührentnerdasein. Was also soll sie künftig tun? Ein Job in einer internationalen Organisation? Ein Verwaltungsratspräsidium in einem grossen Konzern? Falls sie derzeit keine attraktiven Angebote in ihrer Schublade hat, dürfte sie das zum Weitermachen motivieren. Warum gehen, wenn es keinen starken Pull-Faktor gibt?
Die drohende Zerreissprobe: Ein baldiger Rücktritt Leuthards dürfte in der CVP einen Geschlechterkampf entfachen. Zum einen sind da zahlreiche ambitionierte Männer. Zum anderen kann die Bundesversammlung kaum einen Mann wählen, weil das Geschlechterverhältnis im Bundesrat sonst sehr unausgewogen wäre. Für die CVP könnte die Nachfolgefrage zur Zerreissprobe werden. Warum also ohne Not zurücktreten, wenn damit so grosse Unwägbarkeiten verbunden sind?
Das fehlende Schlussbouquet: Jeder Magistrat wünscht sich, auf dem Höhepunkt abzutreten. Doris Leuthard befindet sich nach der Postauto-Affäre aber eher in einem Tief. Indem sie bis Ende Legislatur ausharrt, kann sie darauf hoffen, einen angemesseneren Moment für den Abschied zu finden. Warum jetzt schon gehen, wenn es nicht eilt?
Das schönste Schnippchen: Seit Monaten laufen in Bern die Wetten auf einen baldigen Rücktritt. Die Spannung steigt. Doch genau dies könnte Leuthard zum Ausharren anstacheln. Warum sollte die Aargauerin dem Druck nachgeben, wenn sie den Menschen in Bern ein letztes Schnippchen schlagen könnte, indem sie nicht der harten Polit-Logik folgt, sondern ihrem Instinkt?
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