Wieso hat Donald Trump gerade jetzt die riskante Entscheidung getroffen, mit mehr als einem halben Jahrhundert amerikanischer Aussenpolitik zu brechen und Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen? Will der Präsident ein für allemal beweisen, dass die vermeintlich ehrliche amerikanische Maklerrolle im Nahost-Konflikt vor allem Geschwätz war und ist? Oder möchte Trump seine christlich evangelikale Basis noch fester an sich binden?
Trumps innenpolitischem Kalkül könnte eine Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem in mehrfacher Hinsicht dienen. Gewiss werden jüdische Geldgeber der Republikaner wie der Milliardär Sheldon Adelson glücklich sein, dass Trump einmal mehr den Schulterschluss mit der Netanyahu-Regierung sucht.
Dem «Deal des Jahrhunderts», den Trump zur Lösung des Nahostkonflikts versprochen hat und den sein Nahost-Lehrling und Schwiegersohn Jared Kushner umsetzen soll, dürfte die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels indes nicht gut bekommen. Beifall für seine riskante Hauptstadt-Politik wird Trump schon eher von seinen evangelikalen Fans erhalten. Zwar stehen sie auch ohne Jerusalem brav zu Trump, sie zu hofieren aber kann nicht schaden.
Trumps Geschenke an die evangelikale Gemeinschaft
Als Trump im Juni mal wieder die alle sechs Monate fällige Sondergenehmigung zum Verbleib der US-Botschaft in Tel Aviv unterzeichnete, waren viele Evangelikale nicht glücklich: Der Präsident wisse, «dass Jerusalem die ewige und ungeteilte Hauptstadt ist, und wir sind überzeugt, dass der Standort unserer Botschaft dies widerspiegeln soll», maulten die «Christians United For Israel» stellvertretend für die evangelikale Gemeinschaft.

Trumps Jerusalem-Entscheidung wird sie noch enger an einen Präsidenten binden, der ihnen wie kein anderer Präsident zuvor, nicht einmal Ronald Reagan, Geschenke macht. Wie etwa die Ernennung des obersten Bundesrichters Neil Gorsuch, eines erklärten Feindes der Abtreibungsfreiheit. Oder die Unterstützung religiöser Schulen. Oder die Absicht, Pastoren künftig Politik von den Kanzeln zu erlauben, ohne dass ihre Kirchen deshalb die Steuerbefreiung verlieren würden.
«Starker Christ» oder oberflächlicher Bibelkenner?
Bereits im Wahlkampf spielte Trump die evangelikale Orgel virtuos: Die US-Steuerbehörde IRS habe ihn im Visier, weil er ein «starker Christ» sei, behauptete der Lebemann. Dabei bezeichnete er die Kommunion als «meinen kleinen Wein und meinen kleinen Cracker», überhaupt war die Bekanntschaft des nicht bekennenden Presbyterianers mit der Bibel eher oberflächlich. Mit Religion habe Trump nichts am Hut, er gehe «vollkommen zynisch» mit ihr um, sagte sein Biograf Timothy O'Brien.
Den Präsidenten hält das selbstverständlich nicht davon ab, sich im Weissen Haus mit Pastoren ablichten zu lassen, die ihm segnend ihre Hände auf die Schultern legen. Vielleicht darf Jerusalem zu Benjamin Netanyahus Hauptstadt werden, weil Trump und sein ethno-nationalistischer Kumpan Steve Bannon derzeit mit allen Mitteln versuchen, den republikanischen Senatskandidaten und evangelikalen Darling Roy Moore trotz dessen mutmasslicher sexueller Übergriffe in Alabama über die Ziellinie zu ziehen.
Der Zynismus Trumps würde auch davor nicht Halt machen, umso mehr als ein Sieg Moores die Liebe zwischen den moralischen Evangelikalen und ihrem unmoralischen Anführer vertiefen würde. Aber vielleicht versteckt sich hinter Trumps Umzug von Tel Aviv nach Jerusalem lediglich die Einsicht, dass der «Deal des Jahrhunderts» nur dem Wunschdenken einer Clique von Amateuren wie Jared Kushner entsprang.
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