Türkische Diplomaten suchen Asyl in der Schweiz
Der Vizebotschafter in Bern und weitere Abgeordnete bitten um Schutz vor Präsident Erdogan.

Der 7. Februar 2017 war kein guter Tag für Volkan Karagöz. Nicht nur wurde klar, dass seine langjährige Diplomatenkarriere ein jähes Ende gefunden hatte. Vielmehr wurde auch deutlich, dass die Nummer zwei der türkischen Botschaft in Bern fürchten muss, dass er in seiner Heimat im Gefängnis landet.
Denn an jenem Tag veröffentlichte Ankara ein Dekret mit langen Listen. Unter anderem publizierte das türkische Aussenministerium 48 Namen. An vierter Stelle tauchte der Name Volkan Karagöz auf. Noch vor wenigen Monaten hatte er sein Land als Botschafter ad interim in der Schweiz vertreten, ehe er wieder ins zweite Glied zurücktrat. Jetzt warf Staatschef Recep Tayyip Erdogan höchstpersönlich ihm und allen anderen Aufgeführten vor, die «Terrororganisation» des islamistischen Predigers Fethullah Gülen zu unterstützen.
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Gülen, einst enger Weggefährte Erdogans, gilt in der Türkei als Drahtzieher hinter dem fehlgeschlagenen Militärputsch vom vergangenen Juli. Der Geistliche, der in US-Exil lebt, bestreitet jegliche Verwicklung. Doch Erdogan hält dies nicht davon ab, den Staatsapparat und die Streitkräfte von tatsächlichen und vermeintlichen Anhängern der Gülen-Bewegung zu säubern.
Auf der Liste des Aussenministeriums steht neben Volkan Karagöz' Namen die Anmerkung: «Wird dem zentralen Dienst zugeteilt». Das ist Beamtentürkisch für den Befehl an Karagöz, seinen Posten in Bern zu räumen und nach Ankara zurückzukehren. Dort würde der abgehalfterte Diplomat vermutlich in die Mühlen der Justiz geraten. Und um dem vorzubeugen, hat Karagöz zusammen mit seiner Familie kurzerhand Asyl in der Schweiz beantragt. Damit beschert er Bern einen brisanten Fall. Die Türkei ist für die Schweiz ein wichtiger, aber schwieriger Partner. Immer wieder gibt es diplomatischen Zwist, sei es wegen des Völkermords an den Armeniern, den türkische Offizielle leugnen, sei es wegen militanter Kurden. Bei Letzterem wirft Ankara der Schweiz vor, Terroristen Schutz zu gewähren. In Karagöz' Fall könnte dies ebenfalls passieren.
Er drohte den «Gülenisten»
Verkomplizierend kommt hinzu, dass Volkan Karagöz im vergangenen August, kurz nach dem blutigen Putschversuch, vor die Schweizer Presse trat und den hierzulande lebenden «Gülenisten» drohte. Auch wenn die Schweiz einen anderen Terrorbegriff kenne, betonte er, werde die Türkei im Ausland lebende Gülen-Anhänger zur Verantwortung ziehen – und zwar rechtsstaatlich korrekt. Karagöz gebärdete sich als Erdogans Sprachrohr in der Schweiz. Nun steht er selbst unter dem Verdacht, der «fethullahistischen Terrororganisation» (Fetö) nahegestanden zu haben. Ein mit den Vorgängen vertrauter türkischer Beamter, der anonym bleiben möchte, erklärt dies damit, dass ein Familienmitglied des Diplomaten nach dem versuchten Staatsstreich verhaftet worden sei.
Bekannt ist, dass die Türkei mit solchen Festgenommenen nicht gerade zimperlich umspringt. Wie Hohn klingt da ein Leserbrief, den die «NZZ am Sonntag» im vergangenen November abdruckte. Darin schreibt Karagöz, dass sein Land «eine Politik der Nulltoleranz für Folter» verfolge und die Gefängnisse regelmässig von in- und ausländischen Kontrollbehörden überprüft würden. Vollkommen inakzeptabel sei die Behauptung, es gebe systematische Folter. Vielmehr sei die Türkei ein Rechtsstaat, in dem nur jene etwas zu befürchten hätten, welche die «Gülen-Terroristen» unterstützten. In den angeblich so vorbildlichen Rechtsstaat will Karagöz nun aber nicht mehr zurückkehren.
Nicht zu beneiden ist das Staatssekretariat für Migration (SEM), das sich mit dem Asylgesuch der Familie zu befassen hat. Die Äusserungen Karagöz' hatten im vergangenen Sommer bei vielen Türkischstämmigen in der Schweiz und hiesigen Politikern von Kopfschütteln bis hin zu heller Entrüstung gesorgt. Sollte Bern zum Schluss kommen, dass Karagöz ein Bleiberecht zusteht, weil ihm in der Türkei aus politischen Gründen Repressalien drohen, könnte das zu neuen Konflikten mit Ankara führen.
Andere Diplomaten wollen Asyl
Hinzu kommt, dass der Fall Karagöz kein Einzelfall ist. Dies geht aus einer Antwort des Bundesrats in der Fragestunde des Nationalrats vom Montag hervor. Die knappe Auskunft deutet ebenfalls darauf hin, als wie heikel die Sache eingestuft wird. Der SVP-Vertreter Peter Keller wollte wissen, wie viele türkische Diplomaten die Schweiz um Asyl ersucht hätten. Der Bundesrat antwortete mit vier Sätzen: «Seit dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 sind 408 Asylgesuche von türkischen Staatsangehörigen eingegangen. Darunter befinden sich auch vereinzelt Inhaber türkischer Diplomatenpässe. Da es sich um sehr wenige Einzelfälle handelt, kann der Bundesrat keine Zahlen bzw. Dienstorte öffentlich machen, weil dadurch auf konkrete Personen geschlossen werden könnte. Über die Chancen dieser Asylgesuche können keine Angaben gemacht werden, da es sich um Einzelfallprüfungen handelt.» Die Zahl der Asylgesuche türkischer Staatsangehöriger in der Schweiz ist seit dem Putschversuch angestiegen, allerdings nur leicht. Die Anerkennungsquote bei Türken ist eher hoch, wenn man sie mit jener von Gesuchstellern mit anderen Nationalitäten vergleicht.
Nationalrat Keller findet es auf TA-Anfrage unverständlich, dass der Bundesrat keine konkrete Zahl von Diplomaten nennt. Er räumt aber auch ein, dass es für den Bund schwierig sei, allen Seiten gerecht zu werden und die Türkei dabei nicht vor den Kopf zu stossen. «Es ist legitim, die Hintermänner eines Staatsstreichs zur Verantwortung zu ziehen, aber das muss natürlich rechtsstaatlich korrekt erfolgen», sagt Keller. «Auf der anderen Seite wirken die Säuberungen im türkischen Staatsapparat und in den Streitkräften problematisch.»
Spitzeln aus der Botschaft
Während Karagöz' Botschafterintermezzo in der Schweiz fanden Spitzeleien gegen «Gülenisten» statt. Dies macht den Fall noch brisanter. So verfasste das Büro des Rats für Religionsangelegenheiten der Botschaft in Bern einen Bericht über die Aktivitäten der Gülen-Bewegung in der Schweiz. Unterzeichnet wurde das Papier im vergangenen September von Engin Yilmaz, Imam der türkischen Moschee in Zürich-Oerlikon und zugleich Stellvertreter im Rat für Religionsdienste. Darin schwärzte Yilmaz Bildungseinrichtungen und «Gülenisten» in der Schweiz an. Gewaltbereite «Fetö-Terroristen» hätten sich gemäss unbestätigten Berichten in der Schweiz festgesetzt, befand der Prediger. Die Organisation nehme mittels Geld Einfluss auf die Schweizer Presse und betreibe damit antitürkische Propaganda. Ausserdem transferierten Vereine und Bildungszentren der Gülen-Bewegung Einnahmen aus In- und Ausland auf geheime Schweizer Bankkonten.
Die türkische Botschaft in Bern verzichtete auf eine Beantwortung von TA-Fragen. Das SEM verwies auf die Auskunft in der Fragestunde des Nationalrats vom Montag. Karagöz war gestern nicht erreichbar. Auf seinem Twitter-Konto sind seine früheren Diplomatenstationen aufgelistet. Demgemäss kam er über Algerien, Florida und Strassburg 2014 in die Schweiz. Daneben steht noch: «Bern – 2017 the end».
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