Überleben in der Affenhitze
Die Schimpansen in der Savanne Senegals lassen neue Rückschlüsse auf die menschliche Entwicklung zu.

«Es kommt einem vor, als ob man in einen Backofen läuft», sagt die Primatenforscherin Erin Wessling vom Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie in Leipzig, als sie von ihren Aufenthalten in der Fongoli-Savanne im Südosten Senegals berichtet. Bis zu 43 Grad heiss kann es dort werden. Und jedes Jahr fegen Buschfeuer über die ausgedörrte Landschaft hinweg und hinterlassen Baumskelette und gebackene orange Erde. Trotz dieser harschen Bedingungen kommen Wessling und andere Verhaltensforscher immer wieder zurück nach Fongoli. Der Grund: Dort leben Schimpansen.
Um unsere nächsten Verwandten zu studieren, reisen Primatenforscher meist in Regenwälder und andere Waldgebiete, wo die Schimpansen in kompakten Gruppen leben. Von den verstreuten Populationen in den Savannen West- und Zentralafrikas weiss man hingegen viel weniger. Wessling und ihre Kollegen sind aber überzeugt davon, dass die Fongoli-Schimpansen uns viel über unsere eigene Evolution erzählen können.
Vor Millionen von Jahren bewegten sich unsere affenähnlichen Vorfahren langsam aus den Waldgebieten in Richtung Savanne. Wie schwierig dieser Übergang gewesen ist – und wie die neuen Herausforderungen zu neuen Merkmalen wie Schweissdrüsen, Fellverlust und aufrechtem Gang geführt haben könnten –, darauf sollen die Fongoli-Schimpansen nun Hinweise liefern.
Andere Verhaltensweisen als in den Regenwäldern
Seit dem Jahr 2000 beobachten Forscher in der senegalesischen Savanne Schimpansen. Initiantin des «Fongoli Savanna Chimpanzee Project» war die Primatologin Jill Pruetz von der Texas State University in San Marcos (USA). Ihre Motivation damals: herausfinden, wie sich die meist waldbewohnenden Schimpansen an das Leben in der Savanne angepasst haben. Im Regenwald zum Beispiel können sich die Menschenaffen von einem Buffet reifer Früchte ernähren. In der Savanne sind diese viel seltener.
Doch erst nach jahrelangen Bemühungen gewöhnten sich die Schimpansen an die menschlichen Beobachter, sodass diese erst ab 2004 den Affen von der Morgen- bis zur Abenddämmerung folgen konnten. Das Team um Pruetz stellte nach und nach einen Katalog mit seltsamen Verhaltensweisen zusammen, die man bislang von Schimpansen nicht kannte.
Waldschimpansen kriegen zum Beispiel genug Flüssigkeit durch den Verzehr von Früchten, sie müssen kaum trinken. Fongoli-Schimpansen hingegen müssen zwingend jeden Tag trinken und gruppieren sich daher um verlässliche Wasserquellen in der trockenen Landschaft. Waldschimpansen sind zudem den ganzen Tag unterwegs, während die Savannentiere fünf bis sieben Stunden untertags ruhen. Jill Pruetz konnte mehrmals beobachten, wie sich die Tiere in der Trockenzeit in kleinen Höhlen versteckten, während sie zur Regenzeit stundenlang in den Tümpeln baden konnten. Und abends ziehen sich die Waldschimpansen in die Bäume zum Schlafen zurück, während die Fongoli-Affen oft erst nach der Dämmerung auf Nahrungssuche gehen.
Urin gilt als Stresstest
All diese Verhalten deuten darauf hin, dass die Schimpansen mit den harschen Bedingungen in der Savanne zu kämpfen haben. Allerdings gaben die Beobachtungen keine Antwort auf die Frage, wie gestresst die Tiere wirklich sind.
Vor vier Jahren machte sich Erin Wessling, damals Masterstudentin bei Jill Pruetz, daran, dies zu untersuchen. Und zwar, indem sie den Urin der Tiere einsammelte. Dort finden sich Moleküle, die anzeigen, wie gestresst die Tiere sind (Cortisol), solche, die anzeigen, ob die Tiere gut ernährt (C-Peptid) oder ob sie dehydriert sind (Kreatinin).
Im Regenwald nehmen Wissenschaftler regelmässig Urinproben von Schimpansen. Aber dort müssen sie nur unter einem Baum stehen und mit einem Blatt den Urin auffangen. In Fongoli musste Wessling jeweils warten, bis sich die Affen vom Ort des Urinierens entfernt hatten. Wenn sie dort ankam, war der Urin oft schon verdunstet oder im Boden versickert. Trotzdem sammelte Wessling von 20 Tieren insgesamt 368 Proben ein, die sie in Leipzig untersuchte.
Dabei zeigte sich: Die Menge an C-Peptid war im normalen Bereich; die Schimpansen hatten also genug zu essen, vermutlich zählten auch Termiten zu ihrer Speisekarte. Die beiden anderen Indikatoren waren hingegen nicht im roten Bereich. Viele Schimpansen hatten hohe Cortisolmengen im Urin, was auf ein stressreiches Leben in der Savanne hindeutet. Auch die Kreatininmengen waren bei vielen Tieren zu hoch: Sie waren dehydriert. «Diese Schimpansen bewegen sich am Rande von dem, was sie machen können», sagt Pruetz. Zusammen mit Erin Wessling und anderen Forschern publizierte sie die neuen Erkenntnisse kürzlich im Fachblatt «Journal of Human Evolution».
Auch für unsere Vorfahren war die Hitze ein Problem
Für Forscher, die die menschliche Evolution studieren, zeigen die Fongoli-Schimpansen interessante Parallelen zu unseren Vorfahren auf. Vor etwa sieben Millionen Jahren trennten sich die Linien von Mensch und Schimpanse. In den Jahrmillionen danach schrumpfte die Regenwaldfläche in Afrika, während die Savannen sich ausbreiteten. In Ost- und Südafrika wanderten frühe Homininden (Vertreter der menschlichen Linie) in offene Habitate aus, später auch in trockene Graslandschaften, die zum Überleben wohl ebenso abschreckend waren wie die Fongoli-Savanne heute. Nahrung war auch damals nicht das grosse Problem, wohl aber die Hitze.
Möglicherweise haben die frühen Hominiden dabei ähnliche Strategien angewandt wie die Fongoli-Schimpansen. Sie hielten sich in der Nähe von Wasser auf und verlegten ihre Hauptaktivität vom Tag in die Nacht. Trotzdem waren sie gestresst. Um dies zu überwinden, haben sie neue körperliche Anpassungen entwickelt: Menschen können dank entsprechenden Drüsen viel besser schwitzen als Schimpansen.
Auch der aufrechte Gang könnte den Hominiden geholfen haben, mit der Hitze besser umzugehen. Dies zumindest schlägt der Anthropologe Peter Wheeler von der Liverpool John Moores University vor. In der Savanne würde ein aufrechter Gang besser kühlen. Jill Pruetz ist von der Idee angetan. Sie will nun mithilfe von Wärmekameras testen, inwiefern sich der Hitzeabfluss bei verschiedenen Körperhaltungen der Schimpansen verändert.
© The New York Times
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch