Überlebende des Nazi-Terrors berichten in Sihlcity
Zum Gedenken an die Kristallnacht und die Ermordung von 6 Millionen Juden: Gabor Hirsch und weitere Überlebende des Holocaust diskutieren am Samstag in Sihlcity mit Jugendlichen.

Gabor Hirsch hat Auschwitz überlebt. 27 Kilo wog er, als die Russen ihn Ende Januar 1945 völlig abgemagert befreiten. Er habe sich nicht mehr selber bewegen können, sagt der gebürtige Ungar und zeigt bei unserem Treffen am Freitag in Sihlcity ein Foto seiner Befreiung, auf dem er in eine Decke gehüllt ist.
Als die deutsche Wehrmacht ein Jahr zuvor in seiner Heimatstadt Békéscsabe einmarschiert, ist Hirsch 14 Jahre alt. Juden wie seine Eltern und er werden mit dem Stern markiert. Zusammengepfercht sind sie zuerst in sogenannten Judenhäusern, dann in einer Tabaktrocknungshalle untergebracht – «ohne elementarste Hygiene». Elf Todesfälle habe er allein während dieser paar Tage gezählt.
Via Ghetto in Békéscsabe wird Hirsch mit seiner Mutter nach Auschwitz ins Konzentrationslager deportiert, wo er als Erstes in der «Sauna» desinfiziert wird und ihm seine Körperhaare entfernt werden. Nur Schuhe, Brille, ein Taschentuch und seinen Gurt darf er behalten. Er erhält eine gestreifte Hose, Jacke und Mütze. Und später die Nummer B 14781 als Tätowierung auf seinen linken Arm.
Die Begegnungen mit seiner Mutter
Ob er an Gott glaubt? «An eine höhere Macht, ja, nicht aber wörtlich an die Schöpfungsgeschichte», antwortet Hirsch, nimmt KZ-Pläne aus seiner Tasche und zeigt auf die Blöcke und Baracken in Auschwitz. Im KZ hätten Häftlinge die neu ankommenden Männer und Frauen getrennt, erzählt er weiter. Die Jugendlichen werden ins «Zigeunerlager» oder «Transitlager» gesteckt, die Frauen ins «Mexiko». Obwohl er wie seine Mutter arbeitsfähig ist, sieht er sie nur zweimal wieder. «Das waren die bewegendsten Momente meines Lebens.» Sein Arbeitskommando sticht hinter dem Frauenlager Grasziegel aus, als die Wachen für einmal kurz ein Auge zudrücken. Hirsch darf zu ihr. Er hat eine Portion Butter für seine Mutter gespart. Sie lehnt ab und überreicht ihm ein Stück Brot. Von der zweiten Begegnung hat Hirsch keine Bilder mehr im Kopf. Bis zu ihrem Tod am 18. Dezember sieht er sie nicht wieder. Todesursache: unbekannt.
«Am schlimmsten während der Gefangenschaft im KZ waren die Selektionen», sagt Hirsch. An einem wichtigen jüdischen Feiertag muss er mit anderen Selektierten in eines der fünf Krematorien. Diese befinden sich in Sichtnähe. «Wir sahen die lodernden Flammen, die rauchenden Kamine.» Und sie glauben wenigstens zu Beginn, was ihnen andere Häftlinge sagen: Nämlich, dass der viele Rauch von einer Bäckerei stammt. Wer gross und stark genug ist, darf nach den Selektionen des KZ-Arztes Mengele zurück auf die Pritsche in der Baracke. Wer beim Test durchfällt, wird vergast. «Ich erinnere mich, dass bei einer Selektion 21 von 640 Insassen als arbeitsfähig eingestuft wurden.» Viele der Insassen hätten dabei vergeblich versucht, grösser zu erscheinen und sich Kieselsteine in die Schuhe gelegt, sagt Hirsch. Allein 1944 wurden mehr als 618'000 Juden aus Ungarn und den annektierten Gebieten durch das Nazi-Regime getötet.
Nach seiner Befreiung setzt Hirsch sein Studium fort. Nur 60 von mehreren Tausend Deportierten sind nach Békéscsabe zurückgekehrt. Nach dem Ungarn-Aufstand emigriert er in die Schweiz und wird Vater zweier Söhne. Es habe lange gedauert, bis er sich habe durchringen können, Kinder auf die Welt zu stellen, sagt der 79-Jährige, der in Esslingen wohnt und eine Beratungsstelle für die Überlebenden des NS-Terrors leitet.
«Die Nacht gegen das Vergessen» heisst die Filmnacht im Kino Arena in Sihlcity zur Erinnerung an die Kristallnacht 1938. Der Anlass beginnt um 22.30 Uhr in der Lounge mit einem Apéro, Filmstart ist um 23.15 Uhr. Vor und nach dem Film besteht die Möglichkeit, mit Überlebenden des Holocaust zu diskutieren. Reservationen unter www.arena.ch oder an der Tageskasse.
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