Übernachtung als luxuriöse Zeitreise
Hotel des Jahres: Der Zürcher Widder ist ein Gesamtkunstwerk, eingepasst in neun Häuser aus dem 15. Jahrhundert.
Mit diesem Lift möchte man eigentlich immer nur rauf- und runterfahren. Zwischen uralten, offengelegten Mauern schwebt die Glaskabine in den fünften Stock. Der spektakuläre Lift ist das vitale Rückgrat des Widders, von hier aus gehts in die fein verzweigten Seitenarme der Häuser mit 49 Zimmern und Suiten, dem Gym, den Sitzungszimmern und dem Zunftsaal – der Guten Stube der Widderzunft, der ehemaligen Gilde der Metzger. Zunftmeister, wohlhabende Handwerker und Kaufleute haben die Augustinerhäuser am Rennweg gebaut und während Jahrhunderten verändert und ausgeschmückt.
Kein Zimmer gleicht dem anderen, jedes für sich ist eine Persönlichkeit. Einige sind gemütlich, andere prunkvoll. Etliche haben farbige Wandfresken, andere punkten mit Kachelofen, Erker und Täfer. Glanzstück ist die Penthouse-Suite mit eigener Dachterrasse. Wer hier für 4000 Franken logiert, hat den ultimativen Blick über Altstadt, See und Alpenkranz. Doch so interessant die unterschiedlichen Zimmer auch sind, sie machen neugierige Menschen etwas nervös. Als wir im 2. Stock aus dem Lift steigen und unser Design-Doppelzimmer beziehen, kommt sofort die Frage auf, ob das Zimmer nebenan vielleicht noch schöner wäre. Egal – man muss da grosszügiger denken, wir sind hier in einem Gesamtkunstwerk.
Im ganzen Haus wird das historische Erbe aufgemischt mit Möbeln der klassischen Moderne: Eames Chairs, Sofas und Liegen von Le Corbusier, Sessel der Wiener Werkstätten. Auf rustikalen Tonplatten und Granitböden spaziert man staunend durch die Zeiten. Besonders eindrücklich: die Bibliothek im ältesten Teil des Ensembles, der um 1200 errichtet wurde. Hier wird auf Wunsch Tee serviert, nur einen Schritt und man steht draussen im hübschen Gärtchen. An den Wänden hängt Kunst im Original – Rauschenberg, Warhol, Taeuber-Arp. Kuratiert von Tilla Theus, der Zürcher Architektin, die hier vor fast 25 Jahren aus einem baufälligen Ensemble ein fulminantes architektonisches Feuerwerk gestaltet hat. Ein frühes Boutiquehotel der Spitzenklasse.
Das Haus zeigt, was es intellektuell drauf hat
Sie hat Mauern durchbrochen, Decken versetzt, die neun hohen und schmalen Häuser innen miteinander verbunden. Das ist aufregend labyrinthisch, gut gibts den Lift, der einen stets verlässlich wieder zur Rezeption bringt. An jeder Ecke und auf jedem Quadrat-zentimeter gibts etwas zu sehen – der Widder fordert einen heraus, denn das Haus zeigt, was es intellektuell drauf hat. So hat Tilla Theus die Zimmertüren mit aufwendigen Holzintarsien im Renaissance-Stil gestalten lassen, eine Hommage an den Bestand. In unserem Zimmer trennt ein ähnlicher Intarsienschrank Eingang und Bad vom Schlafraum. Spezialanfertigungen allesamt, wie das grosse, ovale Pult, das ausgerüstet mit der neusten Elektronik in jedem Zimmer einen zentralen Platz einnimmt. Geschäftsleute, die den Hauptteil der Gäste ausmachen, schätzen das.
Im Badezimmer aus dunkelgrünem Marmor und farbigen Mosaiken ist im Wandspiegel ein Fernseher integriert. Und in den Suiten kann das Bad mit Dampf in einen privaten Spa verwandelt werden. Der Salontisch schiebt sich auf Knopfdruck in die Höhe, damit man, wenn einen des nachts ein Hüngerchen befällt, komfortabel speisen kann. Der 24-Stunden-Service bringt leckere Kleinigkeiten – Salate oder Tatar. Wohltuend bei all den optischen Reizen: Die Regler für Licht und Lüftung sind genau dort angebracht, wo sie gebraucht werden.
So komplex das Haus innen ist, so kompliziert war seine Vorgeschichte. Dass es existiert, ist ein kleines Wunder. Es musste 1985 gar eine Volksinitiative überstehen, die verlangte, die Stadt solle die Augustinerhäuser kaufen und günstig vermieten. Die Initiative richtete sich gegen die Pläne der damaligen Schweizerischen Bankgesellschaft (SBG), die Altstadthäuser auszukernen. Es war ein Kampf von Quartier gegen Bank, Heimat gegen Kapital. Die Initiative wurde schliesslich abgelehnt, doch war sie mit ein Grund, weshalb die SBG ihre Pläne änderte und Rücksicht auf die Häuser nahm. Eine Spezialistin für altes Gemäuer wurde engagiert: Tilla Theus. Aber es vergingen weitere neun Jahre, bis 1995 Eröffnung gefeiert werden konnte. Im Herbst 2018 verkaufte die UBS die Augustiner-Immobilien dann an Swiss Life, das Hotel übernahm Bührle-Spross Gratian Anda mit seiner Gruppe Living Circle.
Ein Gast wollte den Widder 1:1 in Floria nachbauen
Seit der Renovation 2012 ist das Mobiliar deutlich charmanter geworden, die Stahlrohrsessel in der Lobby wichen kleinen Polstersesseln, in den Zimmern wurden schwere Bettüberwürfe aus Leder durch feine Stoffe in kunstvoll gerafftem Look ersetzt.
Wer im Widder absteigt, sollte sich mit Vorteil ein wenig für Architektur und Design interessieren. «Das Hotel ist einzigartig, und es polarisiert», sagt Hoteldirektor Jan E. Brucker denn auch. Immerhin sind 30 Prozent Stammgäste. Einem Gast gefiel es sogar so gut, dass er Tilla Theus bat, für ihn den Widder in Florida 1:1 nachzubauen. Theus lehnte dankend ab. Die Auslastung beträgt 80 Prozent, das ist beachtlich für ein Hotel in der Kategorie Fünfstern-Superior. Es ist eine anspruchsvolle Klientel, die diskret umworben werden will und der man etwas bieten muss. «Früher haben wir uns nur mit Luxushotels messen müssen», sagt Regula Brucker, die den Widder zusammen mit ihrem Mann seit 18 Jahren führt. «Heute sind die neuen Dreistern-Hotels zusätzliche Wettbewerber, zum Beispiel in Zürich-West.» Viele jüngere Gäste zieht es ins Trendquartier.
Ein Restaurant muss ein Treffpunkt sein, von dem man spricht
Im Wissen, dass Stillstand schon der erste Schritt Richtung Rückstand sein kann, hat Jan E. Brucker das Gastrokonzept vor fast zwei Jahren komplett umgekrempelt. Gute Küche reicht nicht mehr, ein Restaurant muss ein Treffpunkt sein, von dem man spricht. Das Restaurant im 1. Stock wurde mit einer Showküche aufgewertet und mit der legendären Bar und ihren 600 Whiskys verbunden. Das Ganze heisst nun Bar & Kitchen, und Küchenchef Tino Staub hat sich bereits 15 «Gault Millau»-Punkte erkocht. Nicht mit herkömmlichem Fine Dining, sondern mit Sharing Plates – man bestellt vieles, und alle essen von allem. Der Clou dabei: Man isst entlang von Aromen gemäss der Regel «Follow the Flavour». Das kann Salt and Pepper sein, Chili oder Curry.
Frühstück gibts am Morgen im AuGust mit Blick auf den Rennweg, schwarzweisse Wandkacheln verbreiten hier französisches Flair. Später am Tag wandelt sich AuGust dann zur Brasserie mit dem Schwerpunkt Fleisch. Womit sich der Kreis zu den Anfängen, der Zunft der Metzger, harmonisch schliesst.
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch