Und am Ende trifft der Papierkrieg den Steuerzahler
Das Stadion Letzigrund zeigt exemplarisch, wie sich Rechtsstreitigkeiten im Zürcher Baugewerbe verändern.

Sie dürften sich manchmal vorkommen wie Sisyphos: die Anwälte der Baufirma Implenia und des Hochbaudepartements Zürich. Anders als die Steine rollende Mythenfigur müssen die Juristen allerdings keinen Berg überwinden. Sie stellen selbst einen her: einen Aktenberg. Sechs Jahren dauert der Streit ums Letzigrundstadion bereits, ohne dass es zu einem abschliessenden Urteil gekommen wäre. Derweil die Parteien fleissig Papier anhäufen: Einzelne Dokumente sind mehr als 1000 Seiten dick.
Einen «juristischen Filibuster» nennt Gewerbeverbands-Präsidentin Nicole Barandun dieses Vorgehen. Der Filibuster: Eine US-amerikanische Praktik der Dauerrede, die eine Beschlussfassung durch möglichst lange Verzögerung verunmöglichen soll. Der Papierkrieg hat ein dermassen absurdes Ausmass angenommen, dass er selbst Gegenstand eines Prozesses geworden ist. Die Implenia klagte 2011 gegen die Stadt, weil diese auf eine 70-seitige Klageschrift eine Klageantwort von rund 1500 Seiten folgen liess. Die Baufirma warf der Stadt «Weitschweifigkeit» vor. Sie sah sich ausserstande, mit einer gleich langen Replik zu antworten – wegen der Mehrkosten. Das Gericht lehnte die Klage ab, tadelte aber die Stadt.
Auch Implenia schweift aus
Was bisher nicht bekannt war: Auch die Implenia verfasst äusserst umfangreiche Rechtsschriften. Dies geht aus Fallakten hervor, die Redaktion Tamedia vorliegen. In einem anderen Streitpunkt betreffend Letzigrund hatte die Baufirma insgesamt fast 1000 Seiten eingereicht, bei einem Streitwert von «nur» 1,8 Millionen Franken. «Das kann als rekordverdächtig gelten», sagt der zuständige Anwalt der Stadt, der seinen Namen aus «anwaltrechtlichen Gründen» nicht in der Zeitung lesen will. Der verhältnismässig kleine Streitwert hatte eine umso grössere Papierschlacht zur Folge: Die Implenia verfasste eine 203 Seiten dicke Klageschrift. Die Stadt reagierte mit einer Klageantwort von 332 Seiten. Das Hin und Her ging weiter. Es folgten eine Replik (441 Seiten), darauf eine Duplik (445 Seiten), eine Triplik (278 Seiten) und zu guter Letzt eine Quadruplik (24 Seiten). Insgesamt sind dies 922 von Implenia geschriebene Seiten.
Die Implenia wirft der Stadt etwas vor, was sie selbst betreibt: Weitschweifigkeit. «Es stellt sich die Frage, ob die Baufirma versucht, den Streit vom Wesentlichen auf das Unwesentliche zu lenken», sagt der externe Anwalt der Stadt. So habe sie kein einziges Beispiel dargelegt, in dem die Stadt einen ihrer Standpunkte wiederholt hätte. Die Implenia liess sämtliche Anfragen von Redaktion Tamedia bis gestern Abend unbeantwortet.
«Es ist ein allgemeiner Trend, dass die Rechtsschriften immer länger werden», sagt Dieter Hofmann, Leiter der Fachgruppe Zivilprozessrecht des Zürcher Anwaltsverbandes. Bei zu langen Dokumenten bestehe ein Risiko, dass die Gerichte sie gar nicht mehr adäquat würdigen könnten. Handkehrum hätten die Gerichte auch hohe Ansprüche, was den Detailierungsgrad der Ausführungen betrifft. «Das wiederum verlängert die Rechtsschriften. Die Fachwelt nennt dies substanziieren», sagt Hofmann. Gerade das Baurecht sei besonders komplex. Die Stadt Zürich hat dafür ihren internen Justizapparat in den letzten Jahren ausgebaut. Zusätzlich arbeitet sie mit externen Anwälten zusammen. 600 Stellenprozente umfasst der interne Rechtsdienst des Hochbaudepartementes, wie Recherchen von Redaktion Tamedia zeigen. Bald möchte die Stadt das Team mit temporären Mitarbeitern aufstocken.
«Die Verrechtlichung ist ein allgemeines Phänomen – gerade in der Baubranche ist dies deutlich zu spüren», sagt Departementssekretär Urs Spinner. Das schlägt sich auch im jährlichen Aufwand der Rechtsabteilung im Hochbaudepartement nieder: Die Zahl der Arbeitstage erhöhte sich innert drei Jahren um mehr als 60 Prozent, wie aus dem Geschäftsbericht hervorgeht.
Im Interesse der Steuerzahler
Gemäss Spinner ist jede aufgewendete Arbeitsstunde die Mühe wert – im Interesse der Bevölkerung, des Steuerzahlers. Im Verfahren mit Implenia gehe es «um richtig viel Geld», sagt Spinner. Insgesamt habe die Stadt im Letzigrund 50 grosse Baumängel und Dutzende Untermängel festgestellt. So seien Mehrkosten, Minderwerte und Schäden in der Höhe von 33 Millionen Franken entstanden. Geld, das vom Steuerzahler aufgewendet werden müsste, falls die Implenia nicht dafür belangt werden kann. Deshalb wolle die Stadt gegen die hohen Mehrkosten ankämpfen – wenn nötig mit umfangreichen Dokumenten. «Wenn wir nicht alle Mängel bis ins kleinste Detail dokumentieren, besteht die Gefahr, dass wir vor Gericht abblitzen», sagt Spinner.
Sicher ist allerdings schon jetzt: Die Anwaltskosten der Stadt können nicht gedeckt werden. Selbst wenn sie in allen Punkten recht bekommen sollte. Dies zeigt das erste Hauptverfahren, in dem es um einen Streitwert von 20 Millionen Franken geht. Falls sich die Stadt am Bundesgericht durchsetzen würde, erhielte sie von der Implenia 200'000 Franken für Anwaltskosten zugesprochen. Dieser Betrag wurde allerdings schon längst überschritten. Noch bevor ein Prozess überhaupt in Gang gesetzt war, entstanden Rechtsvertretungskosten von rund einer Million Franken.
Die rechtliche Vertretung der Stadt übernimmt ein renommiertes Zürcher Anwaltsbüro. Wie viele Arbeitsstunden inzwischen dazukamen, will die Stadt nicht sagen. Der Honoraransatz richte sich «nach den Empfehlungen des Zürcher Anwaltsverbandes (ZAV)», sagt Spinner. Der ZAV verzichtet zwar seit 2005 auf Empfehlungen. In einem konkreten Fall von 2011 erachtete jedoch die Honorarkommission des ZAV einen Stundenansatz von 460 Franken als angemessen. Dies geht aus Angaben der Webseite Antwaltshonorare.ch hervor.
Die Stadt möchte den juristischen Kampf gemäss Spinner fortsetzen. «Die Implenia stösst mit ihrer Klage auf eine professionelle Organisation.» Die Stadt verbaue jährlich Immobilien von 360 bis 400 Millionen Franken. Sie werde alles dafür unternehmen, dass am Ende die Implenia und nicht der Steuerzahler bezahlen müsse. «Vor Gericht geht es um Details», sagt Spinner. Jetzt sei «harte juristische Knochenarbeit» erforderlich.
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