Überraschender Rücktritt von Matthias Mayer Und jetzt einfach: «Leben!»
In einem denkwürdigen Fernsehinterview verkündet der dreifache Olympiasieger Matthias Mayer seinen Rücktritt. Mit ihm geht ein brillanter Skifahrer mit dem Talent für die grossen Momente.

Kaum ein Vorgang ist im Ski-Weltcup so unspektakulär wie das Interview nach der Streckenbesichtigung. Ein Athlet nach dem anderen kommt knapp eineinhalb Stunden vor Rennbeginn durch den Zielraum spaziert, bleibt vor der Kamera stehen und berichtet von der Piste, die meist eisig ist, irgendeinem Abschnitt, der meist schwierig ist, und endet mit einer mutigen Ansage, mit der er sich meist selbst überzeugen will.
Hundertfach wiederholt sich dieses Interview-gewordene «Wie geht's denn so?» in jeder Saison, weshalb ORF-Reporter Rainer Pariasek auch Matthias Mayer am Donnerstag in einer Live-Schalte einfach nur die üblichen Fragen stellen wollte. Der allerdings hatte etwas von weitaus grösserer Bedeutung zu sagen.
«Die Piste ist sehr gut, ich bin fit», leitete Mayer, dreimaliger Olympiasieger und einer der erfolgreichsten österreichischen Skifahrer der vergangenen Jahre, ein: «Aber ich habe in den letzten Tagen ein bisschen nachgedacht und muss sagen: Für mich ist die Zeit gekommen, dass ich zurücktrete aus dem alpinen Skiweltcup.»
Ein feines Lächeln streifte über Mayers Gesicht in dem Moment, als er seinen Rücktritt verkündete. Kurz wirkte es so, als würde dem 32-Jährigen die Stimme etwas zittrig werden, vielleicht zeigte sich sogar eine kleine Träne in den Augen, die etwas glasig wirkten, als er sich umdrehte und in den Zielraum von Bormio blickte. Er dankte seinen Sponsoren, er bestätigte noch einmal, dass er sofort zurücktritt und nicht erst nach dem Super-G, für den er die Strecke gerade noch besichtigt hatte. Gerade da brach im ORF auch noch der Ton zusammen, in diesem jetzt schon ikonischen österreichischen Sportmoment, in dem sich Matthias Mayer auf eine für ihn typische Art und Weise verabschiedete.
Manche Skiathleten gehen mit einer Feier zum Saisonende in den Ruhestand, so wie der Schweizer Didier Cuche, der vor einigen Jahren mal bei seinem finalen Riesentorlauf mit Holzski antrat. Andere, wie der Österreicher Marcel Hirscher, berufen eine Pressekonferenz im Sommer ein oder kündigen ihr letztes Rennen zumindest an – so wie kürzlich Beat Feuz, der in einigen Wochen noch einmal in Kitzbühel auf der Streif fahren wird, bevor er aufhört.
Unauffällig, geradlinig – und selbstbewusst
Mayer, den alle nur «Mothl» nennen, wird keinen feierlichen Ausstand geben, das hätte auch nicht zu ihm gepasst: Im Skizirkus, in dem gerade die Abfahrer ihren Status als Rockstars ausleben, war Mayer schon immer eine besondere Erscheinung gewesen (lesen Sie hier das ausführliche Porträt über ihn). Manchmal allzu unauffällig in der Öffentlichkeit, mit einem typischen Kärntner Selbstvertrauen ausgestattet und nicht allzu nachdenklich, dafür stets geradlinig in seinen Worten und Gedanken.
Mayer war ein brillanter Athlet, vor allem weil er mit dem Talent für die grossen Momente ausgestattet war. Wenn anderen die Nerven versagten, gewann meist Mayer: Abfahrtsgold 2014 in Sotschi, Super-G-Gold 2018 in Pyeongchang, Super-G-Gold und Abfahrts-Bronze 2022 in Peking, elf Weltcupsiege, unter anderem in Kitzbühel und Bormio.

Und nun also der Abtritt über ein Interview, vor dem er nach eigener Aussage niemanden in seine Pläne eingeweiht hatte. Weder seine Familie noch seine Trainer oder seine Sponsoren hätten irgendetwas geahnt, das bekräftigten im Nachhinein alle noch einmal. Fernsehexperte Hans Knauss sagte, er habe Mayer bei der Streckenbesichtigung beobachtet: «Er war schneller als sonst», sagte Knauss, aber dafür habe er 20 Minuten lang immer wieder den Blick ins Tal schweifen lassen – möglicherweise reifte da die Entscheidung, den Rücktritt gleich zu verkünden.
Auch in einem zweiten, längeren ORF-Gespräch liess sich Mayer allerdings kaum etwas zu seinen Gedanken entlocken. Einen «fixen Zeitpunkt», an dem er sich entschieden hatte, habe es nicht gegeben. Weder familiäre noch gesundheitliche Gründe seien ausschlaggebend gewesen. Er könne noch zehn Jahre weiterfahren, sagte Mayer, aber ihm fehle der Biss: «Wir sind alle unterschiedliche Menschen und machen unterschiedliche Sachen», sagte er.
Seine Entscheidung wirkte wie sein Stil als Abfahrer: instinktgetrieben. «Keine Ahnung» habe er, ob er seinen Rücktritt in ein paar Wochen bereuen würde, im ersten Moment wirkte es nicht so. Sein Mannschaftskollege Daniel Hemetsberger berichtete aus dem Hotel, er habe sich noch von Mayer verabschiedet: «Matthias hat sehr glücklich gewirkt mit der Entscheidung.»
«Wir werden ihn schmerzlich vermissen.»
Hemetsberger ist nun einer der wenigen verbliebenen Abfahrer in der österreichischen Mannschaft, die in Mayer ihren erfolgreichsten Athleten verliert. «Er war unser Teamleader», sagte Vincent Kriechmayr, der zwar nur ein Jahr jünger ist als Mayer, aber erst später in seiner Karriere in die Weltcup-Elite vorstiess: «Er hat mir damals sehr viel geholfen, menschlich ist er ein gewaltiger Typ. Wir werden ihn schmerzlich vermissen.» Kriechmayr nahm symbolisch seine Kappe vom Kopf, als er das sagte.
Matthias «Mothl» Mayer war da längst nicht mehr in Bormio. Noch bevor der Super-G begann, war er mit einem Rollkoffer und einer Plastiktüte in der Hand aus dem Hotel abgereist. Zurück in die Heimat, nach Kärnten, wo an der Ortseinfahrt in Afritz am See ein Schild mit seinem Namen steht und Vater Helmut – Silbermedaillengewinner bei den Olympischen Spielen 1988 – und seine junge Familie ihn erwarten.
Was er nun tun wolle, wurde Mayer noch gefragt, der seit seiner Kindheit von Rennen zu Rennen gedacht hatte. Von Weltcupsaison zu Sommertraining zu Weltcupsaison, immer im gleichen Rhythmus, unterbrochen nur von Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften. Es war die kürzeste, aber eindrücklichste Antwort auf Fragen zu seinem Rücktritt: «Leben!»
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