«Und schon war ein Polizist mit Gummiknüppel da»
Als Vorband der Rolling Stones spielte Düde Dürst vor 50 Jahren in Zürich. Und hörte fast nichts, sah aber viel.
Das Landesmuseum Zürich hat Stühle gesammelt, die vor 50 Jahren beim Konzert der Rolling Stones im Einsatz standen. Beschriftet sind sie wie folgt: «Am legendären Konzert der Rolling Stones, am 14. April 1967, kam es im Hallenstadion Zürich zu Ausschreitungen. Das Publikum randalierte, Stühle wurden zu Kleinholz geschlagen...» Wie erlebten Sie das?
Schaut man sich Bilder aus jener Zeit an, erhält man einen anderen Eindruck. Demolierte Stühle muss man suchen. Es gibt Fotografien, auf denen zwei, drei Zuschauer Stühle zu Boden schlagen, aber im Hintergrund liegen die Stühle in grosser Zahl zusammengeklappt am Boden, manche auf einem Haufen. Kaputt sind die wenigsten. Das ist ein typisches Beispiel dafür, wie sensationsgierig die Medien schon damals waren. Man hat nur die vereinzelten kaputten Stühle gesehen und das aufgebauscht. Wenn man sieht, was heute so abgeht, war das doch völlig harmlos. Jedes Fussballspiel verläuft aggressiver. Schiebt man so einen klapprigen Stuhl zur Seite, fällt der von allein um, da muss niemand randalieren. Man muss einfach sehen: Es war ein Fehler der Organisatoren, bei diesem Konzert überhaupt erst Stühle aufzustellen.
Sie spielten an diesem Abend als Drummer der Vorband Les Sauterelles. Wo waren Sie genau, als die Stones mit dem Konzert anfingen?
Ich war seitlich auf der Bühne und habe die ganze Halle überblickt, denn die Organisatoren haben die Bühne viel höher gebaut als sonst. Sie war gut fünf Meter hoch; man hatte Angst, Fans könnten hochklettern. Das hat die Zuschauer prompt provoziert, einer ist kurz nach Beginn hochgeklettert und hat Mick Jagger umgestossen. Unter der Bühne und bei den Durchgängen standen überall Polizisten, manche hatten einen Hund dabei, auch das hat die Fans provoziert. So wurden ein paar Hitzköpfe, die es an jedem Grossanlass gibt, zum Krawallmachen verleitet. Aber das gab es auch schon früher; es hat immer wieder mal Radau gegeben, das gehört irgendwie zur Musik dazu. Stühle zertrümmert haben Fans bereits in den Vierziger- und Fünfzigerjahren bei Jazzkonzerten in den USA.
Was war denn letztlich der Auslöser für den Stones-Krawall im Hallenstadion?
Da stiess einer vielleicht zu heftig an einen Klappstuhl, der Stuhl fiel um, und schon war ein Polizist mit Gummiknüppel bei ihm. Das war damals eine sehr konservative Zeit, in der es immer hiess: «Du musst brav sein, du musst nett sein.» Und dann kommen die Rolling Stones, und es geht endlich einmal etwas ab. Es gab damals diese zwei Strömungen: Beatles und Stones. Die Beatles waren die Braven, die Stones die Bösen. Die Beatles machten saubere Musik, die Stones kamen vom Blues her. Aber ich meine: Wenn man dem «böse» sagt, das war ja alles so harmlos. Und doch hat es auf die Bürger enorm gewirkt, viele haben sich vor diesen Stones gefürchtet. Was zeigt, in welch starren Mustern man damals gedacht hat.
Können Sie sich gut an die Stones erinnern?
Ich war oben auf der Bühne, unten waren etwa 12 000 Zuschauer. Es gab diese wenigen, die Action gemacht haben. Alle anderen sassen einfach auf der Tribüne und hatten Freude, dabei zu sein. Gehört haben die Leute auf den Rängen fast nichts, weil die Verstärkeranlage viel zu schwach war. Und die Fans kreischten so laut, dass ich selbst kaum etwas von der Musik mitbekommen habe. Aber es war ein Highlight, die Stones waren neben den Beatles damals die ganz Grossen. Und ich war mit den Sauterelles die Nummer eins in der Schweiz und durfte im Vorprogramm spielen.
Wie verlief Ihr Tag mit den Stones?
Irgendwann am Nachmittag kam ich mit meinen Bandkumpels ins Hallenstadion. Ein Soundcheck fand nicht wirklich statt, das gab es damals kaum. Man ging auf die Bühne und prüfte kurz, ob alles richtig aufgebaut war. Es gab kaum Mikrofone für die Instrumente, auch kein Monitoring. Kurz bevor wir auf die Bühne mussten, bin ich an der Garderobe der Stones vorbeigekommen. Durch den Türspalt habe ich den Drummer Charlie Watts gesehen, aber sprechen konnte man nicht mit den Stones, die wurden ständig abgeschirmt. Dann haben wir unser Set gespielt, wir fanden es toll, dass die Leute ziemlich schnell von den Klappstühlen aufstanden, an den Bühnenrand strömten und mittanzen wollten. Nach unserem Konzert habe ich den Auftritt der Stones mitverfolgt. Als der Gig fertig war, sind wir bald nach Hause gegangen. Damals hatten wir mit den Sauterelles praktisch jeden Abend ein Konzert, am nächsten Tag musste man wieder fit sein.
Waren die Einflüsse aus den USA, vor allem aus San Francisco, wo gerade der Summer of Love stattfand, auch in Zürich spürbar?
Wir wussten vom Summer of Love, auch vom Monterey-Festival. Dieses Festival war anders, ein Open Air, bei dem man friedlich sitzen konnte. Bei grösseren Konzerten in einer Halle war es damals üblich, Stühle aufzustellen. Später machte das keinen Sinn mehr.
Die Leute wollten mehr Freiheit beim Konzertgenuss. War das eine nachhaltige Forderung?
Dass man an Konzerten steht, hat sich nach und nach etabliert. Als ich ab 1969 mit der Band Krokodil unterwegs war, haben wir oft in grossen Hallen gespielt, häufig in Deutschland. Da kamen die Leute mit ihren Schlafsäcken an den Gig und lagen in der Halle verstreut am Boden. Sie kifften und nahmen LSD, dabei wollte man nicht sitzen oder stehen. Das war die Psychedelic-Zeit, und wir von Krokodil hatten die Songs dazu, die manchmal eine halbe Stunde dauerten. Manche Stücke begannen mit langen Intros auf der indischen Sitar, um die Leute auf einen Trip zu schicken. Jetzt schliesst sich der Kreis: Heute sitzt man bei einem Sauterelles-Konzert wieder; weil unser Publikum über 70 ist und nicht mehr stehen mag.
War das Stones-Konzert 1967 ein Auftakt zu den Zürcher Unruhen?
Es war schon ein Aufbruch. Im August und September 1967 haben Hardy Hepp und ich die ersten Zürcher Love-ins organisiert. Es war die Zeit der Flower-Power, die Zeit von Love and Peace. Das war wie eine Welle, die plötzlich losbrach. Man wollte sich wehren gegen die konservative, bürgerliche Gesellschaft. Dieses verknorzte Zürich konnten wir nicht mehr ertragen, wir wollten das einfach nicht mehr.
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