
Bevor der «Tatort» loslegt, mitten auf der Pfauenbühne, spricht Henrike Jörissen die sogenannte Audiodeskription des Sonntagskrimi-Vorspanns: «Das Augenpaar eines Mannes. Um sein linkes Auge schliesst sich ein Fadenkreuz. Das Fadenkreuz reisst auf. Die verschwommene Silhouette eines Mannes. Rennende Beine auf nassem Asphalt.»
Und während man sich noch fragt, wieso die Schauspielerin für diese Intro-Anspielung daherkommt wie eine Hitchcock-Heldin, mit ihrem Petticoat-Kleid und der weissblonden Fünfzigerjahre-Frisur, nähert sich schon der Mörder in Anzug, Krawatte und Bogart-Hut. Sanft streichelt er den Hals der Dame, unsanft drückt er zu. Sie röchelt, strampelt, stirbt. Er lacht tonlos: ah-ha-ha-habgrundtief böse.
Blutiges Ballett
Aber halt! Das ist doch Wolfram Koch, der seit 2015 den «Tatort»-Kommissar Paul Brix gibt. Brix hat das Herz auf dem rechten Fleck, musste jüngst aber vor dem Schweinesystem kapitulieren (in der Folge «Der Turm», siehe TV-Kritik). Umso hübscher hats nun der Theatermann Herbert Fritsch in seiner Krimi-Persiflage «Totart Tatort» gewendet, die er am Freitag in Zürich zur Uraufführung brachte: Der langjährige Kommissarsdarsteller verwandelt sich da in der grotesken Ouvertüre des überdrehten blutigen Balletts in einen Täter kurz vor dem Nervenzusammenbruch.
Regisseur Fritsch weiss, wie wunderbar ironisch der Koch auf der Bühne irrwitzen kann, denn er hat oft mit ihm zusammengespannt, auch in Zürich («Die Physiker»). Also wirft er dem Mörder hier immer noch eine weitere Leiche vor die Füsse und choreografiert so eine Tarantella aus tonlosem Lachen, hilflosem Leichnamschleppen und würdelosem Hutaufklauben.
Der hysterische Slapstick ganz im Geist des «Krimi noir» gibt fürs gesamte Stück die Tonlage vor. Und die Zuschauer hängen bereits nach diesem Einstieg totgelacht auf ihren Sitzen. Nicht alle freilich. Wer für den Krimi des öffentlich-rechtlichen Fernsehens nichts übrig hat oder wer, im Gegenteil, dessen Konventionen über alles liebt und deshalb Experimental-«Tatorte» wie zum Beispiel die Murot-Fälle nicht ausstehen kann – der wird mit Herbert Fritschs «Totart Tatort» kaum warm werden.
Im diesem Bühnenbild meint man den Zelluloidstreifen rattern zu hören.
Die andern aber können sich lockermachen: Der 68-jährige Theaterzirkusclown hat einfach mal munter Kameramann spielen wollen bei einem Thriller-Medley, in dem sich Hitchcock-Look mit James-Bond-Gestik und «Tatort»-Sound mischt, von den Satzfetzen bis zur Begleitmusik (Ingo Günther). Hoch die Tassen, äh, Waffen!
So sieht der Zürcher Guckkasten aus wie das sacht abstrahierte Innere einer alten Filmkamera und verjüngt sich nach hinten. Man meint wirklich, in Fritschs Bühnenbild den Zelluloidstreifen rattern zu hören. In den Fond gehört da natürlich eine kleine Öffnung: das Kameraauge, durch das sich die zehn Schauspieler von Jan Bülow bis Friederike Wagner auf die Bühne zwängen – darauf bedacht, später im Film was herzumachen. Die blauen Wände bieten für die Selbstbetrachtungssucht der Selfie-Ära den nötigen Spiegeleffekt.
Eine leidenschaftliche Jamsession
Das Team kaspert sich in urkomischen Variationen und Repetitionen – es ist ein Filmdreh – durch eine Polonaise obligater Krimiszenen: Leichenfund und Spurensicherung. Obduktion, Befragung von Verdächtigen, Gekabbel unter den Ermittlern. Schauerelemente, Zombie-Zitate. Indiziensammlung, Deduktion, Geständnis. Dramatischer Untergang des letzten Kämpfers für Recht und Gerechtigkeit.
«Mord! – Was? – Nichts!» Mit diesem Dreischritt, unisono vorgetragen, verabschiedet sich das Ensemble ins Dunkel, aus dem es kam: So ein Krimi ist am Ende eben ein sinnloses Nullsummenspiel. Aber was für eins, wenn eine derart grandiose Mannschaft sich auf seine Karikatur einschiesst: «Totart Tatort» ist eine leidenschaftliche Jamsession aus getanzten Gags, komödiantischen Akrobatiknummern und fröhlichem Textbaustein-Weitwurf. Nur stellenweise fällt diese Recherche in Sachen Sonntagskrimi ein Spürchen zu lang aus.
Da ist noch was
«Angelika Scheuche Vogel war nur ein Strohmann», zischt Wortvirtuose Markus Scheumann. Und die Wagner klappert so ausdrucksvoll mit den Augendeckeln, dass nur schon diese einen Szenenapplaus verdient hätten. Miriam Maertens stimmt den «Kriminaltango» an, Elisa Plüss rappt das klassische «Da ist noch was» ad absurdum, Lisa Mayer zeigt Bein und lässt es sich abschiessen, während Claudius Körber seinen ganz grossen Auftritt als Kopf im Kameraauge hat. Und Nicolas Rosat zuckt überfordert mit den Schultern, wie es Columbo nicht tollpatschiger hingekriegt hätte: eine Lust!
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Und sie tanzen einen Tango
Der Bühnen-Maestro Herbert Fritsch hat mit «Totart Tatort» das kultige Fernsehkrimi-Format am Pfauen virtuos in seine Einzelteile zerlegt. Eine sinnlose, aber süffige Ermittlung.