Unruhe in der NZZ nach Kurswechsel
Die Energiewende spaltet nicht nur die FDP, sondern auch die ihr nahestehende «Neue Zürcher Zeitung». Nun verfügte der Chefredaktor eine neue Position der Zeitung.

Es war ein Positionsbezug, wie man ihn sich von der «Neuen Zürcher Zeitung» (NZZ) gewohnt ist: nicht euphorisch, sondern pragmatisch. Inlandredaktor Helmut Stalder kritisierte im Januar in einem Leitartikel die vom Parlament verabschiedete Energiewende zwar als «Murks». Trotzdem weise das Gesetz in die richtige Richtung, leite das Ende der Energiesubventionen ein – «auch ein Grund, warum die FDP mehrheitlich zustimmte». Stalder empfahl ein Ja zur Vorlage, die am 21. Mai zur Abstimmung gelangt.
Ganz anders äusserten sich zwei Monate später Wirtschaftschef Peter Fischer und Wirtschaftsredaktor Giorgio V. Müller. In zwei langen Artikeln schossen sie gegen die Vorlage und gegen die Wirtschaft, der das Rückgrat fehle, die planwirtschaftliche Energiestrategie abzulehnen. Es war auch eine Kritik am Inlandkollegen Stalder und seinem Ja. Gleichzeitig wurde die offizielle Position der NZZ zur Energiestrategie 2050 denn auch umgekehrt, wie mehrere Redaktoren auf Anfrage bestätigen.
Eric Gujers Machtwort
Wirtschaftschef Fischer kehrte im März nach längerer Abwesenheit in die Redaktion zurück und fand sich bezüglich der Position zur Energiestrategie vor vollendete Tatsachen gestellt, was er offensichtlich nicht hinnehmen wollte. In der Folge habe Chefredaktor Eric Gujer dem Inlandressort beschieden, die offizielle Position der NZZ zur Energiestrategie 2050 laute jetzt Nein, wie es aus der Redaktion heisst. Noch im Herbst hatte sich Gujer in Absprache mit Inlandchef Michael Schoenenberger und dem für das Dossier zuständigen Redaktor Stalder auf ein Ja geeinigt.
Dass eine offizielle Position so kurz vor der Abstimmung geändert wird, ist für die Redaktorenschaft der NZZ neu und sorgt im Inlandressort für Konsternation. Der zuständige Redaktor hatte sich bereits öffentlich positioniert und gemeinsam vereinbarte Geschichten zum Thema publiziert. Mit dem Meinungswechsel desavouiert Gujer das Inlandressort sowohl intern als auch gegenüber der Leserschaft. Normalerweise sprechen sich die Spitzen von Inland und Wirtschaft bei innenpolitischen Vorlagen früh ab und einigen sich auf eine Position, die der Chefredaktor absegnet – oder nicht. Diesmal wurde dieser Prozess aus mehreren Gründen erschwert: Der Wirtschaftschef war in der entscheidenden Phase abwesend, und die Neubesetzung verschiedener Posten führte zu einem wenig routinierten Vorgehen. Inlandchef Michael Schoenenberger ist seit dem vergangenem Herbst auf seinem Posten, Redaktor Helmut Stalder seit Frühling 2016 und Chefredaktor Eric Gujer seit Frühling 2015.
Burkaverbot sorgte bereits für Unruhen
Die Energiestrategie ist denn auch nicht das erste Thema, bei dem die NZZ in jüngster Zeit durch einen abrupten Meinungswechsel aufgefallen ist. Das war auch beim Burkaverbot der Fall, zu dem sich in der Zeitung mehrere Inlandredaktoren ablehnend geäussert hatten. Nichts hatte darauf hingedeutet, dass der Chefredaktor anderer Ansicht ist, bevor dieser im Sommer 2016 in einem viel beachteten Leitartikel («Gefängnis aus Stoff») für ein Verbot plädierte.
Widersprechende Meinungen von Redaktoren würden bei anderen Zeitungen nicht auffallen; sie sind zum Teil sogar gewollt. Anders bei der NZZ, die einigermassen streng hierarchisch organisiert ist und wo die Positionen per Chefentscheid gefällt werden. Sie gelten für alle Vertreter der Redaktion, Gegenmeinungen gibt es nur in Gastkommentaren.
Auf der rechten Spur
Vielleicht sind die jüngsten Slalomfahrten ein Zeichen dafür, dass sich dieses eherne Gesetz aufweicht. Vielleicht wird die NZZ, die seit Amtsantritt von Chefredaktor Eric Gujer vor zwei Jahren einen dezidiert rechten Kurs fährt, beim Positionsbezug flexibler und vielseitiger. Auf die Frage, warum die NZZ bei der Energiestrategie die Meinung geändert habe, sagt Gujer: «Man kritisiert bei der NZZ die Energiestrategie grundsätzlich, wobei es zwei Sichtweisen gibt: ein pragmatisches Ja und ein ordnungspolitisches Nein.» Für beide Sichtweisen fänden sich Kommentare in der NZZ. Wobei in der Wirtschaft der ordnungspolitische Aspekt überwiege, im Inland der politisch-pragmatische.
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