Tod von George FloydGeschworene sprechen Ex-Polizisten Derek Chauvin schuldig
Im Prozess um die Tötung des Afroamerikaners George Floyd ist Derek Chauvin in allen Anklagepunkten für schuldig befunden worden. Das genaue Strafmass wird erst in ein paar Wochen festgelegt.

Der weisse Ex-Polizist Derek Chauvin ist im Prozess um die Tötung des Afroamerikaners George Floyd von den Geschworenen in allen Anklagepunkten für schuldig befunden worden. Das erklärte Richter Peter Cahill am Dienstag in Minneapolis im US-Bundesstaat Minnesota. Damit droht Chauvin eine lange Haftstrafe. Das genaue Strafmass soll erst später vom Richter festgelegt werden. Chauvins Verteidigung könnte noch Berufung gegen das Urteil einlegen.
Der 46-jährige Floyd war am 25. Mai vergangenen Jahres in Minneapolis bei einer Festnahme ums Leben gekommen. Videos dokumentierten, wie Polizisten den unbewaffneten Mann zu Boden drückten. Chauvin presste dabei sein Knie gut neun Minuten lang auf Floyds Hals, während dieser flehte, ihn atmen zu lassen. Floyd verlor der Autopsie zufolge das Bewusstsein und starb wenig später. Die Beamten hatten ihn wegen des Verdachts festgenommen, mit einem falschen 20-Dollar-Schein bezahlt zu haben.
Der schwerwiegendste Anklagepunkt gegen Chauvin lautete Mord zweiten Grades ohne Vorsatz. Darauf stehen in Minnesota bis zu 40 Jahre Haft. Zudem wurde Chauvin auch Mord dritten Grades vorgeworfen, was mit bis zu 25 Jahren Haft geahndet werden kann. Auch musste er sich wegen Totschlags zweiten Grades verantworten, worauf zehn Jahre Haft stehen. Chauvin hatte auf nicht schuldig plädiert. Experten gehen davon aus, dass der bislang nicht vorbestrafte Chauvin ein geringeres Strafmass bekommen dürfte als maximal zulässig.
Anwalt von Floyds Familie: Urteil gegen Chauvin ist Wendepunkt
Der Anwalt der Familie des getöteten Afroamerikaners hat den Schuldspruch als «Wendepunkt in der Geschichte» bezeichnet. «SCHULDIG!», schrieb Ben Crump am Dienstag auf Twitter, nachdem die Geschworenen Chauvin in allen Anklagepunkten für schuldig befunden hatten. «Endlich ist schmerzlich verdiente Gerechtigkeit für George Floyds Familie eingetroffen.
Dieses Urteil ist ein Wendepunkt in der Geschichte.» Es sende eine klare Botschaft, dass auch die Strafverfolgung zur Rechenschaft verpflichtet sei. Crump schrieb weiter: «Gerechtigkeit für das schwarze Amerika ist Gerechtigkeit für ganz Amerika!» Mit dem Urteil sei es aber nicht getan – es müsse nun eine Polizeireform geben.
Biden: «Schandfleck auf der Seele unserer Nation»
Nach dem Schuldspruch hat US-Präsident Joe Biden eindringlich zu einem weiteren Kampf gegen Rassismus und Polizeigewalt aufgerufen. Struktureller Rassismus sei «ein Schandfleck auf der Seele unserer Nation», sagte Biden am im Weissen Haus. Mit Blick auf die Familie Floyds betonte der Präsident: «Nichts kann jemals ihren Bruder, ihren Vater zurückbringen. Aber dies kann ein riesiger Schritt vorwärts auf dem Marsch zur Gerechtigkeit in Amerika sein.» Das reiche aber nicht aus. Nötig seien echter Wandel und echte Reformen, damit Vorfälle wie die Tötung Floyds nicht mehr geschähen.
Man dürfe nach dem Schuldspruch nicht wegschauen und denken, «unsere Arbeit ist getan», betonte Biden. Der Präsident erinnerte an Floyds letzte Worte «I can’t breathe» («Ich kann nicht atmen») und sagte: «Wir können diese Worte nicht mit ihm sterben lassen.» Der Demokrat forderte den Kongress zur Verabschiedung eines nach George Floyd benannten Gesetzes für Polizeireformen auf, das allerdings an den Republikanern im Senat scheitern könnte. Biden hat den Kampf gegen den Rassismus zu einem seiner zentralen Anliegen erklärt.
US-Vizepräsidentin Kamala Harris hat Reformen angemahnt, um strukturellen Rassismus in den USA zu überwinden. Die institutionalisierte Diskriminierung sei nicht nur ein Problem des schwarzen Amerikas oder anderer Minderheiten, sagte Harris im Weissen Haus. «Es ist ein Problem für jeden Amerikaner. Denn es hält uns davon ab, das Versprechen von Freiheit und Gerechtigkeit für alle zu erfüllen. Und es hält unsere Nation davon ab, unser volles Potenzial auszuschöpfen.»
Der Schuldspruch gegen den weissen Ex-Polizisten Derek Chauvin lasse aufatmen, sagte Harris. Nach dem Urteil der Jury in Minneapolis müsse die Arbeit aber weitergehen. «Wir müssen immer noch das System reformieren», sagte Harris. Die Aufgabe der Vereinigten Staaten sei es nun, George Floyds Vermächtnis und ihn als Person zu ehren. Sie warb für einen Gesetzesentwurf für weitreichende Polizeireformen.
Der Gouverneur des US-Bundesstaates Minnesota, Tim Walz, sieht das Urteil als ersten Schritt zu mehr Gerechtigkeit im Land. «Das heutige Urteil ist ein wichtiger Schritt zu mehr Gerechtigkeit in Minnesota», sagte er am Dienstag (Ortszeit). «Der Prozess ist vorüber, aber unsere Arbeit hat gerade erst begonnen.» Wahre Gerechtigkeit werde es nur durch grundlegende Veränderungen im System geben, um zu verhindern, dass so etwas wieder passiere. Nur echte Reformen im System könnten etwas ändern.
Urteil begrüsst, Jubel vor dem Gericht
Ex-US-Präsident Barack Obama hat tiefgreifendes Umdenken und Reformen angemahnt. «Wahre Gerechtigkeit erfordert, dass wir die Tatsache einsehen, dass schwarze Amerikaner anders behandelt werden, jeden Tag», erklärte Obama am Dienstag auch im Namen seiner Frau Michelle. «Wir müssen anerkennen, dass Millionen unserer Freunde, Familienangehörigen und Mitbürger in Angst leben, dass ihre nächste Begegnung mit der Polizei ihre letzte sein könnte.»
Es brauche konkrete Reformen, um die Ungleichbehandlung im Strafrechtssystem verringern und letztendlich ganz beseitigen. «Das heutige Urteil mag zwar ein notwendiger Schritt auf dem Weg zu Fortschritt gewesen sein, aber bei weitem kein ausreichender.» Bei wahrer Gerechtigkeit gehe es um viel mehr als um ein einzelnes Urteil in einem einzelnen Prozess.
Die führenden Demokraten im US-Kongress haben das Urteil begrüsst. Die demokratische Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, sagte in Washington, Floyds Name werde von nun an für immer ein Synonym für Gerechtigkeit sein. An Floyd gerichtet sagte sie: «Danke, George Floyd, dass Sie Ihr Leben für die Gerechtigkeit geopfert haben.»

Der demokratische Mehrheitsführer im US-Senat, Chuck Schumer, sagte, er sei für Floyds Familie und Freunde dankbar, dass der Gerechtigkeit Genüge getan worden sei. Schumer mahnte zugleich: «Wir sollten einen Schuldspruch in diesem Fall nicht irrtümlich als Beleg dafür halten, dass das Problem von Polizei-Fehlverhalten gelöst ist.» Man müsse weiter daran arbeiten, die Polizeidienststellen im Land grundlegend zu verändern.
Nach dem Schuldspruch ist vor dem Gericht in Minneapolis Jubel ausgebrochen. Hunderte Menschen versammelten sich vor dem Gebäude im Zentrum der Stadt, wie ein dpa-Reporter berichtete. Anwesende skandierten unter anderem «Black Lives Matter» und «Wer hat gewonnen? Wir haben gewonnen», sie riefen ausserdem George Floyds Namen. Der Verkehr in den umliegenden Strassen kam zum Erliegen. Floyds Ex-Partnerin Courtney Ross sagte, sie sei sehr erleichtert über den Schuldspruch.
Biden-Kommentar brachte Weisses Haus in Erklärungsnot
Die Entscheidung über Schuld oder Unschuld fiel dem US-Rechtssystem folgend den Geschworenen zu. Für die seit Montagnachmittag andauernden Beratungen der zwölf Jury-Mitglieder gab es keine Zeitvorgabe. Sie durften während der Unterredungen aber nicht mehr nach Hause, sondern waren in einem Hotel untergebracht. Ihr Urteil musste einstimmig getroffen werden. Die Geschworenen bleiben in diesem Fall aus Sicherheitsgründen bis auf Weiteres anonym.
Die Erwartungen an das Verfahren waren in den USA daher immens: Viele Menschen, darunter viele Schwarze, hatten auf ein Urteil gehofft, das ein Zeichen gegen Rassismus und Polizeigewalt setzen würde. Selbst US-Präsident Joe Biden sagte am Dienstag, er bete dafür, dass das «richtige Urteil» gefällt werde. Für den Fall eines Freispruchs oder einer geringen Haftstrafe war mit neuen Protesten gerechnet worden.
Doch Bidens Äusserung brachten das Weisse Haus in Erklärungsnot. Seine Sprecherin Jen Psaki sah sich daraufhin mit zahlreichen Fragen von Journalisten zu einer möglichen Einflussnahme des Präsidenten auf den Prozess konfrontiert. Psaki wies das mehrfach zurück. «Er will gewiss nicht beeinflussen», betonte sie. Sie glaube auch nicht, dass der Präsident seine Aussage als Meinungsäusserung zum anstehenden Urteil verstehe. Er habe lediglich ausgedrückt, was viele Menschen im Land fühlten – und zwar «Mitgefühl mit der Familie» von George Floyd.
Auf Proteste vorbereitet
Unmittelbar vor der Bekanntgabe des Urteils hatten sich bereits Hunderte Aktivisten der «Black Lives Matter»-Bewegung vor dem massiv gesicherten Gerichtsgebäude im Zentrum von Minneapolis versammelt. Sie skandierten unter anderem den Namen George Floyds, die Worte «Hört auf, uns zu töten» und «Chauvin – schuldig». Floyds Ex-Partnerin Courtney Ross sagte vor der Urteilsverkündung, ein Schuldspruch wäre nicht nur ein Zeichen der Gerechtigkeit für Floyd, sondern auch Rückenwind für den Kampf gegen den Rassismus.

Wegen des Prozesses war in Minneapolis ein Grossaufgebot der Sicherheitskräfte im Einsatz, inklusive Soldaten der Nationalgarde. Gouverneur Tim Walz hatte zuvor dazu aufgerufen, friedlich zu demonstrieren und Ausschreitungen und «Chaos» zu vermeiden.
Chauvins Verteidiger Eric Nelson hatte argumentiert, dass Chauvins Gewaltanwendung gerechtfertigt gewesen sei, weil sich Floyd der Festnahme widersetzt habe. Zudem vertrat er die Meinung, dass Floyds Tod nicht primär auf Gewalteinwirkung zurückging, sondern vor allem auf bestehende Herzprobleme und Rückstände von Drogen in seinem Blut.
Experten der Staatsanwaltschaft wiesen diese Argumentation klar zurück. Ein Lungenspezialist etwa erklärte, Floyd sei an den Folgen von Sauerstoffmangel gestorben. Der niedrige Gehalt an Sauerstoff habe Hirnschäden verursacht und Floyds Herz zum Stillstand gebracht. Der Polizeichef von Minneapolis, Medaria Arradondo, bezeichnete Chauvins Gewaltanwendung als unverhältnismässig und vorschriftswidrig.
Chauvin war nach Floyds Tod entlassen worden. Er befand sich gegen Kaution auf freiem Fuss und war während des ganzen Prozesses anwesend. Neben Chauvin sind drei weitere am Einsatz gegen Floyd beteiligte Ex-Polizisten angeklagt, die in einem separaten Verfahren ab dem 23. August vor Gericht stehen werden. Ihnen wird Beihilfe zur Last gelegt. Auch ihnen könnten langjährige Haftstrafen drohen.
Jury bleibt aus Sicherheitsgründen anonym
Der 46 Jahre alte Floyd war am 25. Mai vergangenen Jahres in Minneapolis bei einer Festnahme ums Leben gekommen. Videos dokumentierten, wie Polizisten den unbewaffneten Mann zu Boden drückten. Chauvin presste dabei sein Knie rund neun Minuten lang in Floyds Hals, während dieser flehte, ihn atmen zu lassen. Floyd verlor der Autopsie zufolge das Bewusstsein und starb wenig später.
Die Auswahl der Geschworenen hatte sich in diesem Fall lange hingezogen. Verteidiger, Staatsanwälte und das Gericht befragten zweieinhalb Wochen lang Dutzende Kandidaten, um trotz der Bekanntheit des Falls möglichst faire und unvoreingenommene Jury-Mitglieder zu finden. Zudem wollte die Anklage auch sicherstellen, dass Schwarze und andere Minderheiten ausreichend in der Jury vertreten sind.

SDA/AFP
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