US-Justizsystem könnte Knox die Freiheit bringen
Der Mordprozess um Amanda Knox wird neu aufgerollt. Doch auch wenn die US-Studentin verurteilt wird, heisst das nicht zwingend, dass sie die Strafe antreten muss. Grund ist die Auslegung des US-Rechtssystems.
Schuldspruch, Freispruch, Neuauflage: Der spektakuläre Mordprozess gegen die Amerikanerin Amanda Knox und ihren Ex-Freund Raffaele Sollecito in Italien geht in die nächste Runde. Dies entschied das höchste Strafgericht Italiens am Dienstag. Damit wird nun erneut geprüft, ob die ehemalige Austauschstudentin und ihr damaliger Partner 2007 am Mord an ihrer britischen Mitbewohnerin Meredith Kercher beteiligt waren.
Nach der Aufhebung des Freispruchs hat in den US-Medien eine breite juristische Diskussion eingesetzt. Rechtsexperten erwarten ein kompliziertes Verfahren, das sich jahrelang hinziehen könnte. Ted Simon, der US-Anwalt von Knox, legte sich am Dienstag in mehreren Fernsehinterviews nicht darauf fest, ob Knox zu dem vom höchsten italienischen Gericht angeordneten neuen Prozess nach Italien zurückkehren werde. Erst solle die Entscheidung der höchsten Instanz geprüft werden, sagte Simon dem Sender CNN.
Er betonte zugleich, dass Knox nicht verpflichtet sei, persönlich zum Prozess zu erscheinen. Ihr italienischer Anwalt Carlo Dalla Vedova erwartete hingegen nicht, dass die 25-Jährige für den Prozess anreisen werde.
Unterschiedliches Rechtsverständnis
Kernfrage ist Juristen zufolge, ob Knox nach Italien ausgeliefert werden könne, falls sie im neuen Verfahren schuldig gesprochen und dieses Urteil von Berufungsinstanzen bestätigt werde. Wahrscheinlich werde Italien in einem solchen Fall eine Auslieferung beantragen, sagte Rechtsexperte Paul Callan in einem CNN-Interview. Es sei aber fraglich, ob die USA diesem Ersuchen folgen würden.
Callan verwies auf das geltende US-Recht, demzufolge in den Vereinigten Staaten niemand zweimal wegen desselben Verbrechens vor Gericht gestellt werden dürfe. Demnach könnten die US-Behörden argumentieren, dass der Fall nach dem vorausgegangenen Freispruch für Knox erledigt sei. Umgekehrt könnten die italienischen Stellen darauf pochen, dass nach ihrem Landesrecht ein Verfahren erst dann abgeschlossen sei, wenn es alle Instanzen durchlaufen habe.
Insgesamt halten es US-Experten aber für eher unwahrscheinlich, dass es zu einer Auslieferung kommen würde. Knox-Anwalt Simon betonte, ein solcher Schritt sei zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht «in der Landschaft».
Ein Teil der Haftstrafe bereits verbüsst
Der Fall um Knox hatte weltweit Aufsehen erregt. Kercher war 2007 mit aufgeschlitzter Kehle in einem Haus gefunden worden, das sie mit Knox und anderen Mitbewohnern in der italienischen Universitätsstadt Perugia bewohnte. 2009 waren Knox und Sollecito zunächst wegen Mordes schuldig gesprochen und zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Im Berufungsverfahren wurden sie dann aber 2011 freigesprochen.
Knox und Sollecito bestritten eine Beteiligung an dem Mord und erklärten, sie seien zur Tatzeit gar nicht in der Wohnung gewesen. Ein dritter Verdächtiger, der Ivorer Rudy Guede, wurde in einem separaten Verfahren wegen des Verbrechens schuldig gesprochen. Er verbüsst derzeit eine 16-jährige Haftstrafe.
Warum das Kassationsgericht den Freispruch nun kippte, blieb zunächst unklar. Dies wird wohl erst aus der schriftlichen Begründung hervorgehen. Knox bezeichnete die Entscheidung am Dienstag als schmerzhaft. Sie vertraue aber auf die Wahrheit, erklärte sie. Fragen zu ihrem Fall müssten nun von unbefangenen und fähigen Staatsanwälten geklärt werden. Die Annahme der Staatsanwaltschaft, dass sie eine Rolle bei dem Mord an Kercher gespielt habe, sei «vollkommen unbegründet und unfair».
Studium in Washington
Der heute 29-jährige Sollecito studiert derzeit in Verona Informatik. Auch er hatte einen Teil seiner ursprünglichen Gefängnisstrafe verbüsst. Derzeit seien weder er noch Knox in Gefahr, verhaftet zu werden, sagte sein Anwalt Luca Maori. Sollecito selbst wollte sich nach der Gerichtsentscheidung nicht äussern.
Knox und Kercher waren zur Zeit des Mordes Austauschstudentinnen in Perugia. Die Staatsanwaltschaft hält Kercher für das Opfer eines durch Drogen befeuerten Sexspiels. Die Argumentation überzeugte aber nicht das Berufungsgericht, das Knox und Sollecito 2011 freisprach. Es hielt eingebrachte DNA-Tests für fehlerhaft. Die Staatsanwaltschaft habe auch kein Tatmotiv vorgebracht, kritisierte das Berufungsgericht. Auch die Tatwaffe wurde nie gefunden. Die Staatsanwaltschaft hatte den Freispruch angefochten.
Das höchste Strafgericht hörte am Montag sechs Stunden lang die Argumente beider Seiten, ehe es am Dienstag seine Entscheidung traf. Kerchers Familie erklärte, man habe mit der Gerichtsentscheidung erreicht, was man wollte. Es gehe darum, die Wahrheit zu verstehen. Mehr könne man für die Ermordete nicht mehr tun.
AP/vin/bru
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