Trotz Russlands DrohgebärdenUSA sehen China als gefährlichsten Widersacher
US-Präsident Joe Biden hat eine neue Sicherheitsstrategie vorgestellt. Als Transatlantiker bekennt er sich zur engen Zusammenarbeit mit Europa und ausdrücklich mit der Nato.

Die Bedrohung durch russische Nuklearwaffen beschäftigt den US-Präsidenten derzeit gerade am stärksten. Joe Biden sieht die Welt gegenwärtig so nah an Armageddon, am Untergang, wie seit der Kubakrise nicht mehr, wie er jüngst sagte.
Trotz dieser historischen Dimension des Kriegs in der Ukraine gewichtet Biden aber die Herausforderung durch China langfristig als eindeutig grösser. Das geht aus der neuen nationalen Sicherheitsstrategie hervor, die das Weisse Haus am Mittwoch mit mehrmonatiger Verspätung vorgestellt hat – wegen des Angriffs Russlands auf die Ukraine, der wichtige Erkenntnisse brachte.
Wohl stelle Russland eine unmittelbare Gefahr dar, schätzt das Weisse Haus. Aber: «Die Volksrepublik China ist im Kontrast dazu der einzige Mitbewerber, der sowohl die Absicht hat, die internationale Ordnung umzugestalten, als auch zunehmend über die wirtschaftliche, diplomatische, militärische und technologische Macht verfügt, um dieses Ziel voranzutreiben.»
Das sei keine völlig neue Erkenntnis, sagte Bidens Nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan am Mittwoch. Doch der Verlauf des Kriegs in der Ukraine hat die Grenzen der russischen Streitkräfte aufgezeigt – und für das Weisse Haus umso deutlicher gemacht, dass es sein Hauptaugenmerk China schenken kann und soll.
Ein «entscheidendes Jahrzehnt»
Als alter Transatlantiker bekennt sich Biden in seiner neuen Sicherheitsstrategie zur engen Zusammenarbeit mit Europa und ausdrücklich mit der Nato. Auffallend betont das Weisse Haus dabei die Rolle der Europäischen Union.
Bidens Sicherheitsberater sagte, die Welt habe ein «entscheidendes Jahrzehnt» begonnen, in zwei Punkten: erstens im Wettstreit zwischen den Grossmächten, wer die Zukunft der internationalen Ordnung bestimmen darf, und zweitens in der Bekämpfung von Hunger, Krankheitserregern, Terrorismus und Klimawandel in weltweiter Zusammenarbeit, trotz dieses Wettstreits.
Sehr deutlich drückt Biden aus, dass dieses entscheidende Jahrzehnt wohl von Handelskriegen begleitet sein wird. Die USA wollten jene Macht sein, die Standards für die Weltwirtschaft setzt. Investitionen und Handel würden darauf ausgerichtet, dass die internationale Ordnung den Werten und Interessen der USA entspricht.
Bei anderen Massnahmen bleibt die Sicherheitsstrategie schwammig. Die Vereinigten Staaten müssten in die Quellen amerikanischer Macht investieren, heisst es etwa. Offensichtlich ist, dass die USA zum Beispiel die Zuverlässigkeit der Lieferketten verbessern müssen, zum Beispiel mit Anreizen für Chip-Fabriken. Darüber hinaus zählt das Papier vor allem Bidens politisches Programm auf, die Wirtschaft «von unten und aus der Mitte» wachsen zu lassen. Das Weisse Haus verwies etwa auf das Gesetz zur Inflationsbekämpfung.
Desinteresse am Nahen Osten
Neu und ganz anders als Donald Trump deklariert Joe Biden Desinteresse am Nahen Osten. «In den vergangenen zwei Jahrzehnten hat sich die US-Aussenpolitik vor allem auf Bedrohungen aus dem Nahen Osten und Afrika fokussiert», heisst es in der neuen Sicherheitsstrategie.
Grandiose Pläne seien nun über Bord zu werfen zugunsten von «pragmatischeren Schritten, die die amerikanischen Interessen voranbringen». Die USA würden das Militär nicht mehr für Regimewechsel und den Wiederaufbau von Gesellschaften einsetzen, hält das Papier ausdrücklich fest.
Die arabischen Staaten und Israel sollten ihre gegenseitigen Annäherungen nun selbstständig fortsetzen, die Amerikaner wollen in Ruhe gelassen werden. Biden definiert dafür bemerkenswert präzise rote Linien: Die USA tolerierten erstens keine Bedrohungen für den Schiffsverkehr in den Strassen von Hormuz und Bab al-Mandab und zweitens keine Versuche von Ländern in der Region, andere durch Aufrüstung, Angriffe oder Drohungen zu dominieren.
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