Verlierer sind die Beschäftigten
Weltweit schrumpft der Anteil der Arbeitseinkommen an der Gesamtproduktion. Doch die Schweiz ist ein Sonderfall.

Seit Beginn der 80er-Jahre geht der Anteil der Arbeitseinkommen an den Gesamteinkommen in den meisten Ländern zurück. Eine jüngst erschienene Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF) hat versucht, dieser Entwicklung auf den Grund zu gehen. Ein Grund dafür liegt im weltweit geringen Wachstum der Arbeitsproduktivität. Dass der Anteil der Arbeitseinkommen am Gesamtprodukt abgenommen hat, bedeutet, dass die Arbeitseinkommen nicht einmal mit diesem geringen Produktivitätswachstum mithalten konnten. Profitiert haben dagegen die Kapitaleinkommen. Und weil der Kapitalbesitz sich in der Hand der Reichsten konzentriert, hat das die Ungleichheit verschärft.
Verantwortlich für die negative Entwicklung des Anteils der Arbeitseinkommen ist laut IWF in erster Linie der technologische Fortschritt und in zweiter Linie die globale Integration, das heisst die Globalisierung.
Infografik: Sinkender Anteil der Arbeitseinkommen

Der Einfluss der neuen digitalen Informations- und Kommunikationstechnologien bewirkt gemäss der Studie, dass Investitionen und damit Kapital verbilligt werden. Das führt in entwickelten Ländern dazu, dass die Unternehmen Arbeit vermehrt durch Kapital ersetzen, was zu steigenden Einkommensanteilen für die Kapitaleigner führt und zu sinkenden für die Beschäftigten. Die Globalisierung wirkt sich vor allem über die internationalen Wertschöpfungsketten aus. Unternehmen setzen die Arbeit dort ein, wo sie relativ am billigsten ist, was ebenfalls zu Druck auf die Löhne führt. Besonders unter Druck kommen Beschäftigungen, die auf Routineprozessen beruhen. Weil das zunehmend Jobs mit einem mittleren Anforderungsprofil betrifft, sind die mittleren Einkommensbezüger laut IWF die grössten Verlierer.
Eine weitere Erklärung für den sinkenden Anteil der Arbeitseinkommen liefert eine Studie, an der unter anderem der in Zürich lehrende Ökonom David Dorn mitgearbeitet hat. Weil grosse Konzerne vor allem aus dem digitalen Sektor immer grössere Anteile des Marktes beherrschen, können sie ihre Gewinne und ihren Umsatz ausdehnen, ohne dass sie dafür entsprechend mehr Leute einstellen müssen. Je grösser daher ihr Anteil an der Gesamtwirtschaft, desto geringer ist die durchschnittliche Beschäftigung und desto grösser die Macht der Kapitaleigner gegenüber den Beschäftigten. Umso grösser wird deshalb auch der Druck auf die Löhne.
Sonderfall Schweiz
Nicht ins generelle Schema des sinkenden Einkommensanteils der Arbeit passt die Schweiz. Seit den 80er-Jahren ist dieser Anteil hierzulande zumindest insgesamt stabil geblieben, was allerdings nichts über die Verteilung der Löhne aussagt bzw. wie sie sich für konkrete Lohnklassen oder Beschäftigungsverhältnisse entwickelt haben. Den Gründen für diesen allgemeinen Ausnahmetrend in der Schweiz nachgegangen sind die beiden Ökonomen Michael Siegenthaler und Tobias Stucki in einer Studie der Konjunkturforschungsstelle der ETH (KOF) im Jahr 2014. Für die Sonderentwicklung in der Schweiz machen sie vier Gründe aus:
- Schweizer Exporteure konzentrieren sich hauptsächlich auf Nischenprodukte und solche, die überdurchschnittliche Fähigkeiten zur Herstellung erfordern. Diese Arbeiten sind deshalb weniger ersetzbar oder auslagerbar und stehen auch unter einem geringeren Lohndruck.
- Der Schweizer Arbeitsmarkt mit seiner vergleichsweise tiefen Arbeitslosenquote hat immer wieder Phasen von Arbeitskräfteknappheit erlebt. Das hat die Verhandlungsposition der Beschäftigten gegenüber den Unternehmen gestärkt und gegen Lohndruck gewirkt.
- In den 80er- und 90er-Jahren war die Schweizer Wirtschaft im Vergleich zu anderen Ländern relativ langsam in der Einführung von Informations- und Kommunikationstechnologien. Damit war der technologische Fortschritt in der Schweizer Wirtschaft vergleichsweise gering. Deshalb hatte die Technologie hierzulande in diesen Jahren auch weniger das Potenzial, Arbeitskräfte zu ersetzen.
- Als weiteren Grund nennen die Autoren das Ausbildungssystem der Schweiz, das sehr praxisnah aufgebaut ist – etwa dank den Berufslehren. Damit haben die Beschäftigten in der Schweiz überdurchschnittlich grosse berufsbezogene Fähigkeiten auch in Bezug auf die Informations- und Kommunikationstechnologien. Deshalb werden die Beschäftigten weniger ersetzt.
In den letzten Jahren ist der Anteil der Löhne in der Schweiz sogar angestiegen, wie Michael Siegenthaler, einer der Studienautoren, auf Anfrage erklärt. Das liegt vor allem an der Entwicklung des Preisniveaus. Weil dieses in den letzten Jahren sehr tief und oft sogar negativ war, hat sich die Kaufkraft der ausbezahlten Löhne (der Nominallöhne) erhöht. Das heisst, die Reallöhne sind stärker gestiegen als die Produktivität.
Ob der Anteil der Arbeitseinkommen künftig weiter schrumpft und ob sich die Schweiz dem weiterhin entziehen kann, ist allerdings alles andere als gesichert.
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