Vernarrt in Handball
Trainer Michael Suter hat die Nationalmannschaft wiederbelebt. Heute winkt ein schöner Zahltag: Holt die Schweiz gegen Kroatien in Zug einen Punkt, ist sie an der EM 2020 dabei.

Der Bub aus Winkel bei Bülach bewunderte die Künste von Diego Maradona, ihn beeindruckte die Unerschrockenheit des jungen Boris Becker, er staunte über den waghalsigen Peter Müller. Aber aus Michael Suter wurde weder ein Fussballer noch ein Tennisspieler oder Skifahrer. Weil er mit 13 die Sportart entdeckte, die ihn mehr faszinierte als jede andere: Handball.
1988 fing er beim HC Bülach an, 31 Jahre später ist er Nationalcoach und eben erst erneut zum Schweizer Trainer des Jahres gewählt worden. Sein Name steht für die Wiederbelebung des nationalen Handballs, der nach der EM 2006 im eigenen Land komplett in die europäische Bedeutungslosigkeit abgerutscht war. Suter wagte sich an eine komplizierte Aufgabe, an der zuletzt der Deutsche Rolf Brack gescheitert war, er, der in seiner Heimat auch schon als «Handball-Professor» betitelt wurde. Die dreijährige Aufbauarbeit kann nun gekrönt werden: Holt die Schweiz einen Punkt in den zwei restlichen Spielen gegen Kroatien und Serbien, ist sie an der EM 2020 dabei. Für den 43-jährigen Suter wäre es «ein riesiger Traum».
Gelernt von Kang
Als Spieler erlebt Suter ruhmreiche Momente mit Pfadi Winterthur. Vier Meistertitel schmücken sein Palmarès, in der Champions League glückt zweimal der Vorstoss in den Viertelfinal. Der Flügel bringt es auf 75 Länderspiele, 1996 nimmt er an Olympia teil, 2002 an der EM. Zwei Jahre später hört er bei den Kadetten Schaffhausen auf, wird 2007 Nachwuchstrainer beim Verband, übernimmt das NLB-Team der Kadetten und arbeitet in einem Teilpensum als Lehrer. In Sachen Handball hat ihn ein Kollege bei Pfadi nachhaltig geprägt: Jae-Won Kang, Südkoreaner, Weltklasse, «mit seiner hoch professionellen Einstellung zum Sport ein perfektes Vorbild».
2011 meldet sich Kadetten-Präsident Giorgio Behr bei ihm, er sucht für die neu geschaffene Suisse Handball Academy in Schaffhausen einen Leiter. Und kann sich für diesen Posten keinen Besseren vorstellen als Suter. Der sagt sich: «Okay, ich fange einmal an.»
Zu tun hat er genug. Der Handballsport hat sich rasant entwickelt, ist dynamischer geworden, professioneller, «eigentlich eine andere Sportart», sagt Suter. «In der Schweiz dachte man, die EM 2006 löse einen Boom aus, und vieles ergebe sich von alleine. Stattdessen ging der Anschluss verloren, weil man nicht realisierte, was abging. Man kann auf diesem Niveau nicht mit drei, vier Trainings pro Woche mithalten wie vielleicht früher noch.»
Er verlangt viel, vor allem ein Bekenntnis zum Spitzensport und das Bewusstsein, was das bedeutet: Arbeit. Dafür benötigt er starke Argumente, er muss Perspektiven aufzeigen können, damit sich die Talente nicht früh vom Handball abwenden. Suter schafft es, eine neue Denkweise zu vermitteln, und hilfreich sind rasche Erfolge. Zwischen 2010 und 2016 qualifiziert er sich mit der U-19 und U-21 für zehn Endrunden. Er hat einen Mentalitätswechsel hinbekommen und beobachtet ein zunehmendes Selbstbewusstsein: «Die Spieler zeigen selbst vermeintlich stärkeren Gegnern: Wir haben keine Angst, wir bezwingen euch.»
Entlastung für Andy Schmid
Die Arbeit des Trainers an der Basis bleibt nicht verborgen. Suter wird zum Chef des A-Teams befördert – und erkennt rasch die Notwendigkeit eines Totalumbaus. Er trifft eine Gruppe an, die ziellos unterwegs ist, ohne Ausstrahlung. Kontinuierlich integriert er willige, hungrige Junge, die er in den U-Teams und in der Schaffhauser Akademie ausgebildet hat. Zudem gelingt es ihm, Andy Schmid vom Projekt zu überzeugen, indem er dem Ausnahmekönner aus der Bundesliga verspricht: «Du wirst eine funktionierende Einheit vorfinden.»
Schmid willigt ein, das Kapitel Nationalmannschaft doch noch nicht für beendet zu erklären, er spürt: Da wächst etwas heran. Der 35-Jährige, der schon fünfmal zum besten Bundesligaspieler des Jahres gekürt worden ist, tut sich anfänglich nicht leicht mit der fordernden Art des Trainers: «Ich kann in meinem Alter nicht mehr ein Pensum wie die Jungen bewältigen.» Er schätzt aber, dass Suter ihm die nötigen Freiräume gibt. Und: «Er ist der erste Coach seit langem, der mich nicht auf einen Sockel stellt. Es ist eine Entlastung für mich, wenn mir nicht das Gefühl vermittelt wird, dass ich den Laden alleine schmeissen muss.»
Das Gesicht des Teams bleibt er trotzdem, er ist für Suter unverzichtbar, «weil er schlicht brillant ist». Um sich herum hat er nun aber Spieler, die «auf den Leistungsgedanken getrimmt worden sind», wie Schmid sagt: «Alles andere ist keine Option.»
Es sind Spieler wie der 19-jährige Wädenswiler Samuel Zehnder, Flügel bei den Kadetten Schaffhausen. Er gehört zu einer Generation, für die Handball mehr als nur ein Hobby ist und über die Suter sagt: «Diese Spieler wollen in jedem Training gefordert werden. Sonst ist es für sie eine Zeitverschwendung.»
Zehnder hat in der vorigen Woche den letzten Teil der KV-Lehrabschlussprüfung hinter sich gebracht und plant als Nächstes die Berufsmatura. Droht ein Absprung vom Handball mit 22, 23 Jahren? «Das ist nicht vorstellbar. Der Handball erlebt einen Aufschwung, und für mich sind Leute wie Michael Suter und Andy Schmid Glücksfälle.» Sein Ziel: eine Zukunft als Handballprofi in Deutschland oder Frankreich. Zehnder dient als ideales Vorbild für die Jugend. Und er ist für Giorgio Behr ein Beleg dafür, wie wichtig die Suisse Handball Academy ist, die weiterhin von Suter geleitet wird. «Die Nationalmannschaft wird in den nächsten zwei Jahren noch stärker», sagt Behr, «und dem Trainer traue ich es zu, dass er mit seiner Akribie die Schweiz wieder in Europas Top 16 etabliert.»
Suters Werbebotschaft
Michael Suter hat inzwischen reichlich Auswahl. Er braucht sich keine Sorgen mehr zu machen, ob sich genügend Spieler finden lassen, die grosse Lust auf die Nationalmannschaft haben. Die Identifikation ist zurück und wirkt sich auch auf das Publikumsinteresse aus. Der Coach findet, diese breite Beachtung sei durchaus verdient: «Es gibt für mich keinen schöneren, packenderen Sport mit dieser Komplexität, Intensität, Vielseitigkeit, mit diesen Feinheiten und taktischen Anforderungen.»
Fussball, Tennis, Skifahren – alles schön und gut für Suter: Er ist vernarrt in Handball. «Wer diesen Sport einmal richtig versteht, kommt nicht mehr davon los.»
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