«Versagt die Steuerung in dieser Situation, stürzt man senkrecht ab»
Ein Militärpilot hat die Ju-52 kurz vor ihrem Absturz bei einem ungewöhnlichen Manöver beobachtet. Er vermutet Probleme mit der Steuerung.
Schon beim Dorfeingang wird klar: Etwas ist vorgefallen. Auf dem abgesperrten Feld neben der Feuerwache warten am Sonntag Helikopter auf ihren Einsatz, ein grosser Militärhelikopter und ein roter der Rega. Vor dem Depot stehen kreuz und quer Rettungsfahrzeuge, dazwischen ein Dutzend Personen in gelben Westen. Der Postauto-Chauffeur lehnt sich zum Mikrofon: «Ein Flugzeug ist abgestürzt.» Im Postauto wird es ruhig.
Wenig später setzt sich im alten Schulhaus von Flims Kurt Waldmeier ans Rednerpult, gebräuntes Gesicht, weisses Hemd, die Mappe unter dem Arm. Vor ihm steht ein Wald von Mikrofonen, der Saal ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Aus der ganzen Schweiz und gar aus Deutschland sind Journalisten angereist. «Der gestrige Tag ist der schwärzeste in der 36-jährigen Geschichte der Ju-Air. Wir sind alle tieftraurig», sagt Waldmeier, der CEO und zugleich auch Mitbegründer der Ju-Air. Waldmeier sagte dies so gefasst, so ruhig, dass nach der Medienkonferenz, als sich alle Journalisten um ihn drängen, eine der ersten Fragen ist: «Wie sieht es in Ihnen drinnen aus?»
21 Stunden nachdem eine Ju-52 am Piz Segnas abgestürzt ist, informieren die Kantonspolizei Graubünden und die Ju-Air darüber, was sie seither in Erfahrung bringen konnten. Fest steht: Alle zwanzig Insassen sind ums Leben gekommen. Das Flugzeug war ungebremst, mit der Nase senkrecht nach unten, auf dem Boden aufgeschlagen. Unter den Insassen waren 17 Passagiere zwischen 42 und 84 Jahren – sieben Paare aus der Schweiz und ein Paar mit Sohn aus Österreich. Begleitet wurden sie von einer Flight Attendant und zwei Piloten – Freunde von Kurt Waldmeier. So antwortete er auf die Journalistenfrage: «Es ist eine sehr schwierige Situation. Es sind Freunde, Kollegen von mir, die ich sehr gerngehabt habe.»
Die Passagiere hatten am Samstag um 16.10 Uhr in Locarno-Magadino die Ju-52 bestiegen, ein ausgemustertes Militärflugzeug, das zu jenem Zeitpunkt bereits 10 187 Stunden in der Luft war, das erste Mal im Jahr 1939. Die Reisegruppe war am Vortag ins Tessin geflogen und wollte über die Alpen zurück nach Dübendorf. Eine halbe Stunde später ging bei der Einsatzzentrale der Kantonspolizei Graubünden eine Meldung ein. Ein Flugzeug war abgestürzt, mitten in ein Wandergebiet. Die Polizei liess das Wrack über Nacht bewachen, die Überreste der Verunglückten wurden erst am Sonntag geborgen.
Eine Blackbox oder ein anderes Aufzeichnungsgerät hatte das alte Flugzeug nicht an Bord, Radare, die Bewegungen aufzeichnen, gibt es in Alpentälern kaum. Das macht es schwierig, die Gründe für den Absturz herauszufinden, wie Daniel Knecht von der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchung vor den Medien meinte. So konnte er nur sagen, welches nicht die Gründe für den Absturz gewesen sein können. Die Ju-52 ist nicht mit einem anderem Flugzeug oder einem Hindernis kollidiert, sie hat nicht gebrannt und ist nicht in der Luft auseinandergebrochen.
Die historischen Maschinen waren sorgfältig gewartet
Welche Rolle spielte die Hitze? Nur Stunden vor der Ju-52 war an diesem heissen Tag in Hergiswil ein Kleinflugzeug abgestürzt, die Insassen, eine vierköpfige Familie, waren ebenfalls ums Leben gekommen. «Die hohen Temperaturen sind eine Beeinträchtigung, aber nie die Ursache eines Absturzes», sagt Knecht. Wenn es heiss sei, sei die Luft dünner, und dies beeinträchtige die Leistung der Motoren. Es brauche Erfahrung, um damit umgehen zu können. Die Piloten können etwa weniger Gewicht laden oder tiefer fliegen.
Beide Piloten der Ju-52 waren nach den Worten von Kurt Waldmeier sehr erfahren. Sie waren 62 und 63 Jahre alt, beide haben rund dreissig Jahre als Militär- und Linienpiloten gearbeitet, und beide hatten sich während vieler Flugstunden mit der Ju-52 vertraut gemacht. So geht Waldmeier davon aus, dass sie den Flug an die Bedingungen anpassten, die an jenem Tag geherrscht hatten.
Bilder: Absturz der Ju-52 oberhalb von Flims
Waldmeier sagt in die vielen Mikrofone, erst habe er es gar nicht glauben können, dass eine seiner Maschinen abgestürzt sei. Nicht zuletzt wegen ihres hohen Alters seien die drei Flugzeuge der Ju-Air streng kontrolliert worden: Alle 35 Flugstunden wurden sie gewartet und einmal pro Jahr vollständig überholt. Die abgestürzte Maschine war erst Ende Juli gewartet worden, die Techniker hatten keine Probleme ausgemacht. Auch Daniel Knecht von der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle sagte, ältere Flugzeuge seien nicht weniger sicher als neue, wenn sie korrekt gewartet würden.
Probleme mit der Steuerung?
Der Absturz wurde von mehreren Augenzeugen beobachtet, wie Andreas Tobler, Einsatzleiter der Kantonspolizei Graubünden, sagte. Redaktion Tamedia konnte mit einem Zeugen sprechen, einem Militärpiloten aus der Region. Er war in seinem Garten, als er das laute und ihm vertraute Brummen der Ju-52 hörte. Er ist der Ansicht, dass die Piloten ein ernsthaftes Problem mit der Steuerung hatten. Er sah zu, wie das Flugzeug über das Tal flog, zu einer Linkskurve ansetzte – und dann plötzlich abrupt nach links vorne wegkippte. «Solche Manöver machte man früher, um den Ausfall eines Motors zu simulieren. Aber mit Passagieren macht das niemand», sagt er. Daraufhin heulte ein Motor laut auf, Sekunden später war das Flugzeug wieder ausbalanciert und setzte den Flug normal fort.

Etwa 10 bis 15 Minuten später war die Ju-52 abgestürzt. Dass das Flugzeug senkrecht zu Boden ging, stützt die Vermutung des Zeugen. «Wahrscheinlich hatten die Piloten oben auf dem Berg nochmals dasselbe Problem und konnten das Flugzeug nicht mehr aufrichten.» Wenn das Flugzeug seitlich wegkippe, senke sich die Nase gegen Boden. «Wenn die Steuerung in dieser Situation versagt, stürzt man senkrecht ab.»
Die Ursache des Absturzes klärt nun die Bundesanwaltschaft zusammen mit der Schweizerischen Sicherheitsuntersuchungsstelle sowie mit der Staatsanwaltschaft und Kantonspolizei Graubünden ab.
Der Ju-Air bleiben nach dem Absturz nun noch zwei Maschinen. Sie bleiben bis auf weiteres auf dem Boden. Wann und ob überhaupt die Ju-Air ihren Betrieb wieder aufnehmen wird, das konnte Kurt Waldmeier gestern nicht sagen. Aber er wolle wenn immer möglich weitermachen, meinte er. Schon wegen der 160 Freiwilligen, die sich für die Flugzeuge engagierten.
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Video: Chronologie der Katastrophen im zivilen Flugverkehr der Schweiz
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