Verstehen, was das Pferd sagen will
Werner Muff zählt zum Favoritenkreis am CSI Zürich. Erinnerungen an eine Zeit vor 30 Jahren kommen in ihm hoch.

Die Erinnerung ist noch frisch. «Im ersten Moment habe ich mich brutal geärgert», beschreibt Werner Muff seine Gefühle vor zwei Wochen, als er im Grossen Preis am CSI Basel im zweiten Umgang nur von Martin Fuchs mit Clooney geschlagen worden war. «Alles hat gestimmt, und Daimler ist ein schnelles Pferd», erklärt der 43-jährige Zürcher, der nach einem Stolperer seines Partners zu Beginn des Stechens nicht mehr mit vollem Risiko ritt. Sein 13-jähriger Sohn Louis hat gegenüber seinem Vater später die Enttäuschung relativiert: «Du hast am Freitag gewonnen, du bist der erfolgreichste Reiter des Turniers, und du hast den Grand Prix auf Rang 2 beendet.»
Noch etwas hat Werner Muff an jenem Sonntagabend gewonnen: die definitive Erkenntnis, dass er mit dem erst 10-jährigen Daimler über ein Weltklassepferd verfügt. Denn auch beim Sieg im Championat von Basel zwei Tage zuvor war er im Sattel des braunen Wallachs aus holländischer Zucht gesessen.
Sein Potenzial hat Daimler schon früher angedeutet. Muff war bereits beim ersten Mal, als er ihn an einem Turnier in Belgien gesehen hatte, begeistert und hat danach die Leistungen der Nachwuchshoffnung weiterhin beobachtet. Im April 2015 erwarb er ihn für Marlis Mühlebach. Die Luzerner Besitzerin und ihr Mann Urs hatten schon seit vielen Jahren immer wieder Schweizer Springreitern Pferde zur Verfügung gestellt. Unter anderen auch die Stute Quinta C, mit der Willi Melliger 1993 an der EM im spanischen Gijon zwei Goldmedaillen gewann. Der vor zehn Tagen verstorbene Solothurner war es auch, der Muff nach Deutschland begleitete und ihn zum Kauf von Daimler motivierte.
Mit grossem Kämpferherz
Schon im vergangenen Jahr hatte dieser mit einigen ausgezeichneten Resultaten auf sich aufmerksam gemacht. Mit zwei fehlerfreien Umgängen im Nationenpreis von Aachen etwa oder danach als Grand-Prix-Sieger in Dublin. Und damit natürlich auch das Interesse von potenziellen Käufern geweckt. Die Besitzer sind allerdings über das Pferd hocherfreut, und sie wollen den Sport mit ihm geniessen. Deshalb ist die Hoffnung berechtigt, dass der Wallach weiterhin in den Stallungen auf dem Gut Heimenstein oberhalb von Seuzach bleiben wird.
Daimler verhalte sich vor einer Prüfung so, wie er es von keinem anderen Pferd kenne, erklärt Muff: «Er hat ein riesiges Kämpferherz und weiss, wann er bereit sein muss.» Habe er aber einmal seine Aufgaben über den Hindernissen beendet, sei er sofort völlig entspannt, und man könne mit ihm am langen Zügel den Parcours verlassen.
Dreimal schon hat Muff mit der Schweizer Springreiterequipe an internationalen Titelkämpfen teilgenommen. 2006 an den Weltreiterspielen in Kentucky, ein Jahr später an der EM in Mannheim und zuletzt 2012 an den Olympischen Spielen in London. Auf die Europameisterschaften im vergangenen Jahr in Göteborg hatte er verzichtet, da Daimler erst 9-jährig war und er ihn nicht überfordern wollte. Im kommenden Herbst hat er erneut eine Chance, mit einem Pferd nach Nordamerika zu reisen, wo in Tryon, North Carolina, die Pferdesport-WM stattfinden: «Das ist mein grosses Saisonziel, und Daimler ist jetzt auch bereit dazu.»
Muff hat einen ausgezeichneten Ruf als Ausbilder von jungen Pferden und versteht sich auch mit solchen, die nicht einfach zu reiten sind. Erarbeitet hat er sein Können und grosses Wissen in vielen Jahren vorwiegend selber. Und mit viel Geduld und Verständnis für die Tiere: «Man muss verstehen, was einem das Pferd sagen will.» Schon in jungen Jahren verfolgte er im Fernsehen Springprüfungen und beobachtete dabei ganz genau, wie sich die Reiter im Parcours verhielten und wie sie ihre Pferde unterstützten. Und probierte das Gesehene aus, etwa auf der alten Stute Faretra, dem Kavalleriepferd seines Vaters. Und wenn dann beim Ausritt einmal ein etwas grösserer Grasbusch im Weg stand, steuerte er auf ihn zu. Faretra sprang darüber, und ihr Reiter stellte sich vor, es sei ein hohes Hindernis gewesen.
Erinnerungen an Walzerkönig
Für die Mercedes-Benz-Classic, das Hauptereignis am CSI Zürich, dessen Erfolgsgeschichte mit diesem Weltcupspringen morgen Mittag zu Ende geht, ist Muff zuversichtlich. Er erinnert sich, wie er als Teenager mit Kollegen des Reitvereins Beromünster «mit Estermann Reisen» im Autocar an den CSI fuhr, der damals noch in der Offenen Rennbahn Oerlikon ausgetragen wurde. Und auch an ein Pferd mit Namen Walzerkönig, das 1988 als erstes die prestigereiche Classic gewann. Zum Abschluss eines «der schönsten Turniere, die es gibt», wie Muff mit «ein bisschen Wehmut» sagt, wäre dies eine wunderbare Geschichte: wenn 30 Jahre später der junge Zuschauer von damals morgen vom Publikum als Sieger der gleichen Prüfung gefeiert würde. «Mit Daimler ist alles möglich», ist Muff überzeugt.
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