Verteidigerin in allen Lebenslagen
Sarah Akanji hat gelernt, sich zu wehren. Als Zürcher Kantonsrätin würde sie für die Rechte aller kämpfen.

Heute streckt sie sich das Haar nicht mehr. Heute trägt Sarah Akanji ihren Afrolook mit Stolz. Als kleines Mädchen jedoch hatte sie unter den gekrausten, nach allen Seiten abstehenden dichten Locken und der dunkleren Hautfarbe gelitten. Sie kann sich noch genau daran erinnern, wie eine Mitschülerin in der ersten Klasse spottete: «Hast du in die Steckdose gelangt?» Alle haben gelacht.
Du bist anders, du bist keine von hier – dieses Gefühl habe sie ein Leben lang begleitet. Sarah Akanji, 25, ist Doppelbürgerin, ihr Vater stammt aus Nigeria, die Mutter aus der Schweiz. Die Heimat des Vaters kennt die Tochter allerdings nur als Touristin. Zusammen mit einem jüngeren Bruder und einer älteren Schwester ist sie in Wiesendangen bei Winterthur aufgewachsen. Alle drei sind in der Schweiz geboren, haben den Schweizer Pass, reden Schweizerdeutsch, fühlen sich als Schweizer. Und doch: Woher seid ihr adoptiert? Woher kommt ihr tatsächlich? Fragen, welche die Geschwister oft zu hören bekommen. Und oft würden sie auf Englisch angesprochen. «Das ist verletzend, weil man uns damit ausschliesst», sagt Sarah Akanji.
Junge Frauen sollen sich wehren – nicht nur nett lächeln
Wegen ihrer Hautfarbe gehöre sie in der Schweiz einer Minderheit an. Das habe sie geprägt, geformt, wehrhaft gemacht. «Meine Hautfarbe hat mich politisiert», sagt Sarah Akanji. Das Thema «Gleichstellung aller Menschen» ist denn auch ihr grösstes politisches Anliegen. Aber nicht nur dafür möchte sie sich künftig im Zürcher Kantonsrat starkmachen. Am 24. März stellt sie sich zur Wahl, Akanjis Name steht auf dem vierten Platz der SP-Liste Winterthur. Politik und Geschichte hat sie studiert, danach ein Praktikum auf dem Parteisekretariat der SP absolviert, wo sie heute in einem 70-Prozent-Pensum als Wahlkampf-Mitarbeiterin tätig ist.
Bei unserem Treffen trägt sie das Haar streng nach hinten gekämmt und zu einem Dutt gebunden. Sie ist eloquent, wirkt selbstbewusst, sie weiss, was sie will, und lässt nicht locker: Wie damals, 2016, als sie das Frauenteam des FC Winterthur gründete. Als Mädchen kickte sie zunächst mit den Buben, und war sie am Ball, riefen die Kinder rassistisches Zeug. Ihr Bruder, zwei Jahre jünger als sie, wurde anfangs auch mit den gleichen Schlötterlig eingedeckt. Er aber konnte das wegstecken. Denn er war bald der Beste auf dem Platz: Manuel Akanji, heute Fussballprofi bei Borussia Dortmund, Stammkraft in der Schweizer Nationalmannschaft.
Heute noch werde ihr immer wieder ins gekrauste Haar gefasst, erzählt Sarah Akanji. Von wildfremden Menschen, oft Männern, auf der Strasse, im Ausgang. Aber inzwischen weiss sie sich zu wehren. Und sie möchte auch andere junge Frauen inspirieren, ihnen Mut machen, an sich zu glauben. Ihre Botschaft: «Es ist okay, etwas zu fordern, es ist okay, hässig zu sein und nicht immer nur lieb zu lächeln.» Das gelte auch bei einem scheinbar nett gemeinten Kompliment: «Es ist im Fall nicht in Ordnung, dass du mir nachpfeifst!»
Nur zwei unter 30-Jährige sitzen im Parlament
Der Vorwurf, das Fokussieren auf Gleichstellungs- und Gender-Fragen würde die Sozialdemokraten Stimmen kosten, lässt sie kalt. «Ich kämpfe für das, was mir wichtig ist. Gleichheit ist ein Menschenrecht, ich werde nicht aufhören, bis das erreicht ist.» Sarah Akanji sagt, sie verlasse sich auf ihren Instinkt und lebe nach dem Motto «Be brave!». Sehe sie Unrecht, reagiere sie. Wie damals auf dem Bahnperron, als sie einen Betrunkenen, der eine indische Familie rassistisch beleidigte, in die Schranken wies. Als politisches Vorbild nennt sie, wenig überraschend, den südafrikanischen Freiheitskämpfer Nelson Mandela. Aber auch SP-Nationalrätin Mattea Meyer, ebenfalls aus Winterthur, beeindrucke sie.
42 Prozent der Kandidierenden für den Zürcher Kantonsrat sind Frauen, so viele wie noch nie. Erfreulich, findet Sarah Akanji, «aber wir sind noch lange nicht dort, wo wir sein sollten». Erst ein Drittel der 180 Kantonsratsmitglieder ist weiblich. Noch schwächer vertreten sind Junge: Nur zwei unter 30-Jährige sitzen im Parlament. Aber die Jugend von heute sei nicht unpolitisch, wie man ihr gern vorwerfe. «Würden sonst so viele Junge fürs Klima auf die Strasse gehen?», fragt sie rhetorisch. Dieses Engagement findet sie «extrem positiv» – vergangenen Samstag ist sie ebenfalls an der Klimademo in Zürich mitmarschiert.
Die SP-Frau und der junge Fussball-Millionär
In den nächsten Wochen wird Sarah Akanji in den Gassen von Winterthur auf Stimmenfang gehen. Flyer verteilen, am SP-Stand für ihre Partei werben und den Kontakt zur Bevölkerung suchen. Erfahren, was die Menschen beschäftigt, findet sie «enorm wichtig». Vor allem aber wolle sie ihr Umfeld, Freunde, Bekannte oder auch Bruder Manuel, 23, für die Wichtigkeit der Politik sensibilisieren.
Ihr Bruder verdient als Fussballprofi in jungen Jahren schon Millionen. Das kann sie als SP-Frau nicht gerecht finden, oder? «Ungerecht finde ich, dass Fussballerinnen praktisch nichts verdienen», kontert Sarah Akanji. Eine Saison lang hatte sie für den FC St. Gallen in der höchsten Liga gekickt, ohne einen Franken Lohn, «ich musste gar den Mitgliederbeitrag selber bezahlen». Und nein, sie gebe dem Bruder keine Tipps, wie er das viele Geld sinnvoll einsetzen könnte. Aber selbstverständlich unterstütze er wohltätige Organisationen, fügt sie an – und natürlich sei ihr das wichtig.
Obwohl Verletzungen eine eigene Profi-Karriere verhindert haben, Fussball ist auch ihre Leidenschaft geblieben. Mit ihr als Captain ist das Frauenteam des FC Winterthur bereits in die 1. Liga aufgestiegen. Am 24. März wird Sarah Akanji auf der Schützenwiese gegen den SC Schwyz verteidigen – und hofft, gleichentags das Zürcher Kantonsparlament zu stürmen.
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