Viktor Orban und der böse Rest der Welt
Wahl am Sonntag: Für Ungarns Premier sah es lange nach einem sicheren Sieg aus. Doch dann tauchte ein Gegner auf.
Von der Strasse bis in den Festsaal hinein stehen die Kadetten in historischen Uniformen Spalier, und natürlich ist auch der rote Teppich ausgerollt bis zum Rednerpult. Die Bühne ist mit zehn ungarischen Fahnen ausreichend geschmückt. Und als der Ministerpräsident zu den Fanfarenklängen einer Blaskapelle einzieht, da erheben sich die Gäste ehrerbietig von ihren Stühlen. Viktor Orban darf zufrieden lächeln.
Es ist ein Empfang ganz nach dem Geschmack des 54-jährigen ungarischen Regierungschefs. Eine Folkloretanzgruppe steht bereit, ein Opernsänger schmettert die Nationalhymne – mit solchem Pomp und Pathos weiss Orban sich zu inszenieren, seit er 2010 nach acht Jahren Pause an die Macht zurückgekehrt ist. An diesem Apriltag geht es zwar offiziell nur um die Einweihung des neuen «Ludovika-Campus» der Budapester Universität für öffentliche Verwaltung. Inoffiziell aber geht es wie immer ums grosse Ganze: um Ungarns Schicksal, um die überall lauernde Bedrohung – und um die Rettung, die an ein entscheidendes Datum geknüpft ist. Es ist der 8. April, der Wahltag in Ungarn.
«Man will uns heute die Heimat wieder wegnehmen», sagt Orban, «wir sollen zum Einwanderungsland werden.» Eindringlich warnt er vor «zehn Millionen Menschen im Nahen Osten und in Afrika», die auf dem Weg nach Europa seien. «Eine falsche Entscheidung, eine falsche Wahl, und wir können Budapest nicht mehr schützen.» Mit dieser Zuspitzung und diesem einzigen Thema beherrscht Orban die Debatten.
Nicht einmal ein Wahlprogramm hat seine nationalkonservative Fidesz-Partei veröffentlicht, und zu ihrem Hauptgegner hat sie keinen der oppositionellen Spitzenkandidaten erkoren, sondern einen Mann, der gar nicht zur Wahl steht: George Soros. Der einst in Ungarn geborene Philantrop wird von der Regierungspropaganda zum Kopf einer internationalen Verschwörung stilisiert, die angeblich eine «islamische Invasion» in Europa vorbereitet. Von den UNO bis zur EU ist demnach alles von Soros unterwandert. Die Wahlplakate von Fidesz zeigen Soros in einer Fotomontage umringt von den Führern der ungarischen Oppositionsparteien, die mit riesigen Zangen in der Hand den zum Schutz vor Flüchtlingen errichteten Grenzzaun zerschneiden wollen.
Ein Netz von Oligarchen
Angst ist das Argument, mit dem Orban die Wähler am Sonntag zur Stimmabgabe für seine Fidesz-Partei antreiben will. Erleichtert wird ihm dies dadurch, dass er die meisten Medien unter seine Kontrolle gebracht und den Staat zu einer von ihm proklamierten «illiberalen Demokratie» umgebaut hat. An allen Schaltstellen der Macht sitzen treue Gefolgsleute, die Wirtschaft wird von einem Orban-treuen Netz von Oligarchen beherrscht. Vor diesem Hintergrund konnte es bis vor kurzem keinen Zweifel daran geben, dass der Regierungschef auf einen sicheren Triumph zusteuert. Doch dann ist ihm doch noch ein Gegner erwachsen.
Dieser Gegner wird auf der Bühne eines Budapester Kulturzentrums schon als «nächster Ministerpräsident Ungarns» angekündigt. Trotz hünenhafter Gestalt steht Gergely Karacsony fast schüchtern am Rednerpult, und bevor er überhaupt richtig ansetzen kann zu seiner Wahlkampfrede, stürmen ein paar Störer in den Saal. Als Araber haben sie sich verkleidet, um den Spitzenkandidaten der sozialistischen MSZP als Freund der Muslime zu schmähen. Erst als der Spuk vorbei ist, kann Karacsony in seiner Wahlkampfrede auf den Kern seines Programms eingehen: höhere Löhne, höhere Renten, ein besseres Bildungs- und Gesundheitssystem.
Als eigentlich aussichtsloser Kompromisskandidat ist der 42-jährige Bürgermeister des 14. Budapester Stadtbezirks erst im Dezember auf den Schild gehoben worden. Bis dahin war er der Chef einer grünen Splitterpartei namens Dialog für Ungarn, die sich mit den Sozialisten zu einem Wahlbündnis zusammengeschlossen hat. Als Spitzenkandidat unterstützt wird er inzwischen auch von der Demokratischen Koalition (DK) des früheren Regierungschefs Ferenc Gyurcsany. Ein wichtiger Anlauf ist dies, um die Zersplitterung des linksliberalen Lagers in Ungarn zu überwinden. Gemeinsam können diese Parteien den Umfragen zufolge nun auf gut 20 Prozent der Stimmen hoffen. Für einen Regierungswechsel jedoch ist das allein viel zu wenig. Der kann nur gelingen, wenn sich neben weiteren Kleinparteien auch noch die rechte Jobbik-Partei, der bis zu 20 Prozent zugetraut werden, in ein Anti-Orban-Bündnis einreiht. Offiziell wird eine solche Allianz über die ideologischen Gräben hinweg sowohl von den Linken als auch von Jobbik abgelehnt. Doch seit vor einigen Wochen in einer Stadt namens Hodmezövasarhely ein von der gesamten Opposition unterstützter Bürgermeisterkandidat einen Sensationssieg über den Fidesz-Bewerber feierte, wächst der Druck von unten zum Zusammenschluss.
Wer die Chance der Opposition ausloten will, muss sich hinabbegeben in die Tiefen des ungarischen Wahlsystems, das die Fidesz-Partei 2011 zu ihren Gunsten umgestaltet hatte. Von den insgesamt 199 Parlamentssitzen werden nur 93 nach dem Verhältniswahlrecht über die landesweite Liste vergeben. Über die anderen Mandate wird in 106 Wahlkreisen nach reinem Mehrheitswahlrecht entschieden. Das begünstigt die stärkste Partei: 2014 gewann Fidesz 96 der 106 Wahlkreise und sicherte sich so eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, obwohl nur rund 43 Prozent der Wähler für sie gestimmt hatten. Nun könnte die Opposition versuchen, den Spiess umzudrehen. Wo keine gemeinsamen Kandidaten gefunden wurden, werden Listen erstellt mit den Namen der aussichtsreichsten Bewerber in jedem Wahlkreis.
Solche Rechenspiele sind es, die den Wahlkampf in Ungarn am Ende doch noch spannend gemacht haben. Die meisten Beobachter rechnen dennoch mit einem Sieg für Orban, aber weit weniger glorreich als noch 2014.
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